Rafaela Roth: «Guter Journalismus hat etwas Hoffnungsvolles»

Publiziert am 1. Dezember 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Rafaela Roth, Redaktorin im Ressort Hintergrund der «NZZ am Sonntag». Sie sagt, heute sei wohl vieles besser – journalistisch und stilistisch sowieso. «Wie ich höre, war es für Journalistinnen auch in den goldenen 90er Jahren des Journalismus nicht besonders lustig.» Sie empfiehlt, vor allem Bücher zu lesen, «sicher einfach lange Sachen». Roth ist überzeugt, «dass sich journalistische Qualität früher oder später durchsetzt.» In der Digitalisierung sieht sie für die Inhalte eher eine Hoffnung: «Für den Journalismus bedeutet jede neue Erzählform eine Befreiung, bloss nicht für die klassischen Geschäftsstrukturen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Whatsapp und Insta nach dem Aufwachen, Twitter beim Zähneputzen, «NZZ» und «Tagi» sobald ich wach bin. Ich bin wohl smartphonesüchtig, rede mir aber ein, es gehöre zu meinem Job. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Ähnlich wie mit Geburstagspartys von entfernteren Bekannten: Ich bleibe, so lange mich jemand interessiert oder ich mich gut unterhalte, ich teile mich mit und höre auch mal zu, ich haue ab, wenn nur noch Mist gelabert wird. 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Am Anfang wirkte Covid lähmend, weil das Leben verschwand, das man journalistisch beschreiben wollte. Dann wurde es ein Thema wie jedes andere. 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich bin 34, aber seit ich mich erinnern kann, misstraue ich der «Früher war alles besser»-Haltung mehr als der gegenteiligen. Wie ich höre, war es für Journalistinnen auch in den goldenen 90er Jahren des Journalismus nicht besonders lustig. Also ist heute wohl vieles besser – journalistisch und stilistisch sowieso. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbstverständlich, wir texten ja mehr denn je. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher; Mely Kiyak, Annie Ernaux, Leïla Slimani, Florian Ilies, Caroline Arni – die liegen nur gerade auf meinem Tisch, sicher einfach lange Sachen; die «NZZ am Sonntag», die «Zeit», den «Spiegel», die «Republik» und in Zürich den kleinen aber feinen Newsletter von «Tsüri». 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege weg, lese zwei mal, kaufe viel zu viele und manchmal solche, die ich schon gelesen habe.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In meinem Umfeld – von Freundinnen, meinen Buchclub-Mitgliedern, meinen Arbeitskollegen, den komischen Bekannten von Freunden, Interviewpartnerinnen, Familie oder aus Podcasts. 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

20 bis 30 Jahre – irgendwann habe ich verstanden, dass alles viel länger dauert, als ich es mir vorstelle.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sollte es einige von uns daran erinnert haben, dass wir uns für unsere Glaubwürdigkeit einsetzen müssen, dann eine Chance. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Linear meistens nur wenn ich jemanden in der Sendung kenne – auf Playern und als Podcasts sehr gerne. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, viele (beim Joggen, jetzt Knie kaputt, na bravo). Liebling: «Die sogenannte Gegenwart» der «Zeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich bin nicht sicher: Gab es diese fög-Umfrage früher schon? Ich bin überzeugt, dass sich journalistische Qualität früher oder später durchsetzt. Guter Journalismus hat etwas Hoffnungsvolles. Selbst wenn die Nachrichten schlecht sind.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Einfache Nachrichtenmeldungen lassen sich sicher automatisieren, man muss sich dann nur überlegen, was die Berufseinsteigerinnen stattdessen machen. Lernen sie Schreiben, Gewichten, Nachdenken, Abwägen und Verifizieren von Robotern?

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Für den Journalismus bedeutet jede neue Erzählform eine Befreiung, bloss nicht für die klassischen Geschäftsstrukturen. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Sollten wir künftig in einer Demokratie leben, ja. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja doch – dieses Jahr in der Garage eines Crystalmeth-Junkies, im Stall eines Viehzüchters oder auf dem Rütli voller Frauen – obwohl ich zugegebenermassen auch beim Recherchieren wenn immer möglich in den Laptop tippe. 

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut. Ich glaube nicht, dass Donald Trump schuld ist an Desinformation und Vertrauensverlust, er hat die Phänomene bloss für sich ausgenutzt. Für Klicks und Abos war er super – das kann aber auch wer anderes. 

Wem glaubst Du?

Menschen, die sich die Mühe machen, die Wahrheit wenigstens zu suchen. 

Dein letztes Wort?

Es gibt keine Wahrheit, nur Fakten. 


Rafaela Roth
Rafaela Roth, geboren 1987, ist Redaktorin im Ressort Hintergrund der «NZZ am Sonntag». Sie stieg beim damals neu gegründeten Newsportal «watson» in den Journalismus ein und wechselte später ins Ressort Zürich des «Tages-Anzeiger». Roth hat in Winterthur und Zürich Journalismus und Kulturpublizistik studiert.
www.rafaelaroth.ch


Basel, 1. Dezember 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

Ein Kommentar zu "Rafaela Roth: «Guter Journalismus hat etwas Hoffnungsvolles»"

  1. Schlechter Journalismus hilft, den Kopf in den Sand von Hoffnungen zu stecken, die längst gestorben sind. Guten Journalismus gab es lange auch in der «NZZ am Sonntag» … aber immer seltener: deshalb habe ich – als anfänglich jeweils stundenlang begeisterter Leser – nach nahezu 20 Jahren das Abo gekündigt.

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