Philippe Chappuis: «Medienkonsum muss man lernen»

Publiziert am 26. Mai 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Philippe Chappuis, Chefredaktor Telebasel. Er sagt «Trotz Netflix, Spotify und Co. finde ich es noch immer angenehm, wenn jemand anderes für Dich eine Auswahl getroffen hat.» Chappuis ist überzeugt, dass sich die Medien stärker um junge Nutzer:innen bemühen müssen: «Der Kampf um die junge Zielgruppe ist nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen wichtig. Sondern auch, weil man die Jungen für Journalismus oder journalistische Produkte interessieren muss.» Die Medien müssten sich diesen Herausforderungen stellen: «Das Leben ist kein Ponyhof.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Keine Medien zum Frühstück. Frühstück ist Familienzeit, weil wir am Morgen fast immer zusammen essen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Nutze ich beruflich, wie auch privat. Die sozialen Medien sind ein Teil unserer Welt. Mit Betonung auf «ein Teil».

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Der mediale Alltag, also die Art und Weise, wie ich Medien sehe oder konsumiere, hat sich wenig verändert (mal abgesehen davon, dass man als Journalist vor einem Jahr wochenlang im Alarm-Modus war). Die journalistische Arbeit selbst ist durch die Pandemie datenlastiger geworden. Ich finde das prinzipiell gut. Informationen aus primären Quellen zu haben, in Rohdaten herumzuwühlen, zu validieren – das ist zentral und geht heute ultraschnell. Aber man muss auch die Grenzen der Datenwelt kennen. Oder erkennen, wo Daten fehlen oder wo etwas nicht richtig messbar ist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Anders.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«1984» von George Orwell.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Früher habe ich mich durchgequält, auch wenn mir ein Buch nicht gefallen hat. Das mache ich heute nicht mehr.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Über Freunde und Kollegen, im Bücherladen und vor allem über Podcasts.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wie heisst es so schön? Totgesagte leben länger. Ich tippe mal darauf, dass die gedruckte Tageszeitung überleben wird. Natürlich nicht jede.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides. Sie zeigen, dass sauberes journalistisches Handwerk essentiell ist. Aber die zunehmende Komplexität und Schnelligkeit unserer Welt, oder die Agenda von Entscheidungsträgern können durchaus den Boden für Fake News ebnen. Es ist verlockend, einem komplexen Thema mit einer simplen (oder falschen) Antwort zu begegnen. Es ist der Job der Medien, komplizierte Zusammenhänge verständlich und sachgerecht zu erklären.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live schaue und höre ich selten Radio und Fernsehen. Das lineare Programm wird es noch lange geben. Trotz Netflix, Spotify und Co. finde ich es noch immer angenehm, wenn jemand anderes für Dich eine Auswahl getroffen hat. Ich kann es gut finden oder umschalten. Es ist wie mit Starbucks. Manchmal ist es mühsam, wenn man bei jeder Bestellung zwei Gegenfragen beantworten muss. Manchmal möchte man einfach einen Kaffee. Wie man den zubereitet, soll das Gegenüber entscheiden.

Die Streamingdienste DAZN und Netflix sind übrigens beide daran, lineare Angebote zu entwickeln oder voranzutreiben.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Jede Menge. Ich mag vor allem Podcasts aus dem amerikanischen Raum. Die Sprechhaltung hat etwas Beiläufiges und Unaufgesetztes. Und gleichzeitig finde ich die Inhalte spannend: «Planet Monay», «Radiolab», «99% Invisible», «The Indicator». Aber auch hierzulande gibt es gute Podcasts: «Die 3. Halbzeit» oder «Zeitblende» (da bin ich etwas befangen, weil ich früher für SRF 4 News gearbeitet habe. Dort ist die Zeitblende entstanden.)

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass sich die Medien immer wieder fragen müssen, wie sie Inhalte transportieren sollen. Der Kampf um die junge Zielgruppe ist nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen wichtig. Sondern auch, weil man die Jungen für Journalismus oder journalistische Produkte interessieren muss. Medienkonsum muss man lernen.

Gleichzeitig bin ich nicht so pessimistisch. Als ich in diesem Alter war, erinnere ich mich an viele, die sich nicht für Politik oder Wirtschaft interessiert haben. Man hat das damals wahrscheinlich einfach noch nicht so genau gemessen. Und es gab die Bezeichnung «News-depriviert» noch nicht.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Zweifellos. Vor allem im Bereich von kurzen Agenturmeldungen wird Automatisierung ihren Platz finden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zu einem Wandel. In dem stecken wir ja eigentlich schon.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Natürlich. Aber er wird all diese Herausforderungen wie Fake News, Digitalisierung, Fragmentierung der Interessen meistern müssen. Das Leben ist kein Ponyhof.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nur, wenn ich Notizen nehme. Wenn es um Artikel oder Beiträge gibt, mache ich das immer mit dem Computer.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Anstrengend.

Wem glaubst Du?

Dem kritischen Optimisten.

Dein letztes Wort?

«Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Mass, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Massstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.»

Das ist von George Bernard Shaw und passt hervorragend, wenn man journalistisch arbeitet.


Philippe Chappuis
Philippe Chappuis, 46, ist der frischgebackene Chefredaktor von Telebasel. Er ist damit quasi zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Der studierte Jurist hat nach dem Nachdiplomstudium am Maz 2004 beim Basler Lokalfernsehen zum ersten Mal Fernsehluft geschnuppert. Er wechselte später zu «Cash-TV» und dann zu «SRF 4 News», wo er die Moderation und den Onlinebereich leitete. In den letzten vier Jahren arbeitete er als Nordwestschweiz-Korrespondent für Fernsehen SRF.
www.medienrevolution.ch | Twitter: @philippeonair


Basel, 26. Mai 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
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2 Kommentare zu "Philippe Chappuis: «Medienkonsum muss man lernen»"

  1. Möchte Herr Chappuis auffordern, seine eigene Handschrift bei TeleBasel einzubringen.
    Unvergessen die Sendungen von Felix-Rudolf von Rohr über unsere Regio. Man lernte als Zugezogener und sogar als Einheimischer immer etwas dazu, wenn er über das kleine Wiesental, das Elsass, das Sundgau, das Baselbiet, das Fricktal berichtete. Er tat es unaufgeregt, sachlich, er hatte ein grosses Wissen und vor allem – er hatte ein zusammenhängendes Stück Sendezeit, der diese profunde Art erst möglich machte.
    Unvergessen auch Minus-Monat, wo Stadtlegende Minu Ecken und Winkel Basels vorstellte, Menschen, Gesichter – und immer auch ein ausführliches Stück Kochen platz hatte. Manchmal kamen die „Monate“ auch aus seiner zweiten Heimat Rom, jener Stadt die er wie seine Westentasche kennt. Auch dort kam die Kulinarik nie zu kurz, unverwelklich wenn er in der engen Römer Küche italienische Spezialitäten zubereitete.
    Unvergessen auch der 061-Talk. Eine gute halbe Stunde wurde mit einem Gast diskutiert, ohne Zeitdruck, vertieft auf Einzelheiten eingegangen, zum Abschluss wurden auch noch Zuschaueranrufe via Telefon miteinbezogen. Miriam Jauslin war in dieser Disziplin das Aushängeschild….
    Es gäbe noch viele Sendungen, die seit der „Karin-Müller-Ära“ weggewischt wurden wie der „Snap auf dem Handy“. Wisch – und weg waren sie.
    Ein profundes Programm wie ein Regionalprogramm braucht unabdingbar Sendungen, die länger als gefühlte 10 Minuten gehen. Kurzfutter gibt es schon genug. In der Tiefe und dem Zeithaben steckt die Kraft welche das geneigte Telebasel-Publikum vor den Apparat zieht. Gerade einer Talk-Sendung will man doch etwas entnehmen können – kaum möglich bei 10-Minuten-Instant-Talk. Schlagzeilen und Phrasen – deswegen lasse ich mich nicht zum Talk ein.
    Kurzum – Karin Müller veränderte alles. Sie wollte ein Denkmal setzen. Vor allem sich selbst. Doch die Zeit der Denkmäler ist vorbei. Denkmäler werden zur Zeit von ihren Sockel gestossen, siehe in Ost (Russia) oder West (USA). Die morgendliche mindestens 4-Redbull-Trinkerin und eifrige Kaffeetrinkerin (Quelle: SRF 2 Morgengast) stand immer unter Strom. Immer hektisch. Gewusel. Schnappatmung. Kurz und schnell sollte es in und um sie herum gehen.
    Doch der Inhalt litt. Bis heute. Deshalb – lieber Herr Chappuis – wäre bei TeleBasel eine Rückbesinnung zu Werten, die Qualitätsregionalfernsehen ausmachen, von Nöten. Zurück zur alten Sendestruktur. Wissen vermitteln – länger als 15 Minuten. Und Talk mit Tiefe – 30 Minuten wäre das Optimum. Und den Mut haben, wieder Zuschauertelefone zuzulassen. Auch wenn es deswegen manchmal sehr unbequem werden kann. Auch dies wurde – wisch und weggefegt…..
    Sorry – aber den Zustand, das mehr Basler TeleZüri anstelle dieses TeleBasel gucken, kann geändert werden!

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