Philipp Sarasin: «Online ist wichtiger»

Publiziert am 21. Oktober 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Historiker Philipp Sarasin. Für ihn sind Tageszeitungen nur noch «Nischenprodukte». Er selbst hat sich vom Print schon länger verabschiedet: «Ich finde das Lesen auf dem Phone oder dem Tablet viel einfacher.» Sarasin bedauert, dass sich die «NZZ» dem «Fischen im AfD-Sumpf» verschrieben habe und «im Feuilleton aktiv und führend ‹rechtsoffen› geworden» sei. Sarasin sagt, zu seiner eigenen Überraschung übrigens, dass sein wichtigstes Medium heute sein Twitter-Feed sei. Andere sozialen Medien nutzt er keine, insbesondere Instagram nicht: «Ich hasse diese Flut von unglaublich schlechten Fotos».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Mein Twitter-Feed (ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen werde – aber es ist so). Dazu die Guardian-App und immer wieder mal «Spiegel online». Und nein, die «NZZ» lese ich schon lange nicht mehr, mittlerweile aus Prinzip. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Eben: Twitter ist essenziell, weil ich mir da einen Feed mit sehr guten Accounts zusammengestellt habe. Auf Facebook bin ich zwar angemeldet, aber ich kann damit nicht umgehen – und Instagram…? Ich hab’s versucht, aber ich hasse diese Flut von unglaublich schlechten Fotos.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Nicht grundsätzlich. Ich habe schon zuvor praktisch keine Papierzeitungen mehr gelesen. Das soll kein Statement gegen den Print sein, es ist einfach so: Ich finde das Lesen auf dem Phone oder dem Tablet viel einfacher.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Was heisst «früher»? Vor sehr langer Zeit gab es mal noch eine Arbeiterzeitung und die «Basler Nachrichten», das heisst eine gewisse (partei-)politische Vielfalt, mit der ich aufgewachsen bin (die «Weltwoche» war damals auch noch lesbar). In den 1990er Jahren war die «NZZ» langsam aus dem ideologischen Pulverdampf des Kalten Krieges aufgetaucht und wurde zu einer lesbaren Zeitung, aber das ist jetzt auch wieder vorbei – auch wenn, ich weiss, dort auch sehr gute Journalist:innen arbeiten und auch immer wieder gute Autor:innen schreiben. Aber ein Blatt, das seine kommerzielle und politische Zukunft mit dem Fischen im AfD-Sumpf verbindet und im Feuilleton aktiv und führend «rechtsoffen» geworden ist, muss ich mir nicht antun. Aber gleichzeitig hat die (Deutsch-)Schweiz mit der «WoZ» und der «Republik» zwei Medien zu bieten, die ideologisch längst nicht so festgelegt sind wie die NZZ auf der andern Seite des politischen Spektrums – aber auch nicht so komplett ohne Linie wie TA-Media –, und die erfolgreich versuchen, journalistische Qualitätsstandards zu halten, wenn nicht zu heben.

Ach ja, und dann machen wir noch «Geschichte der Gegenwart»!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Du meinst im Gegensatz zu «nur» gesprochenen, in Podcasts oder Videos? Aber sicher!

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Nichts. Die Welt ist zu kompliziert und vielfältig, als dass es einen Kanon geben könnte.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Schwierige Frage… Am meisten Überraschungen bieten gewisse Accounts und ihre Retweets auf Twitter, da stosse ich auf Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wohl noch lange, ich denke nicht, dass sie ganz verschwinden werden, wenn auch nur noch als Nischenprodukt. Online ist zweifellos wichtiger.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wieso sollten sie eine Chance sein?! Sie sind, unter dem eigentlich zutreffenderen Titel «Desinformation», eine ständige Gefahr und Herausforderung für den Qualitätsjournalismus und die entsprechenden Medien – vielleicht die wichtigste Herausforderung der Zukunft, weil die Produktion von Fake News und ihre mediale Zirkulation so unglaublich einfach geworden ist.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Da bin ich ganz offline.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein, aber nicht aus besonderen Gründen, das ist mir einfach ein Vektor zu viel.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich finde es natürlich bedenklich, es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass man sich nicht via News – nur News, nota bene – für die Welt interessiert. Ich zweifle zwar daran, dass das «früher» grundsätzlich anders war. Aber diese 16-20-Jährigen sind, nun im Unterschied zu «früher», dennoch einem konstanten medialen Strom auf ihrem Phone ausgesetzt, der ihr Weltbild formt. Die Frage ist also wohl eher, was da alles ankommt, wenn’s nicht «News» sind (– was qualifiziert denn als «News», wäre daher noch zu fragen).

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Für den «Tagesanzeiger» glaube ich das sofort… Im Ernst: Ich weiss, diese Tendenz gibt es. Was wahrscheinlich automatisiert werden wird – und auch zum Zeil heute schon wird –, ist aber, wenn ich richtig sehe, nicht im eigentlichen Sinne Journalismus, sondern der Transport von Basisinfos (Wetter, Sportresultate, Börsendaten etc.). Aber das ist wohl nur die optimistische Lesart.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch – warum sollte es? Digitalisierung vervielfältigt mediale Formate, das sagt doch aber noch nichts über die mögliche Qualität des Journalismus. Man konnte und kann furchtbaren Unsinn im Print lesen – und Hervorragendes online.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, unbedingt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oh, eine Frage aus ferner Vergangenheit…! Nein, ich schreibe alle meine Texte digital.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht, weil er sie zur Dauerbeschäftigung mit ihm zwingt und im Grunde vom Politischen ablenkt.

Wem glaubst Du?

Medial? Gut recherchiertem, differenziert argumentierendem Journalismus.

Dein letztes Wort?

Zuletzt fällt mir nichts mehr ein.


Philipp Sarasin
Philipp Sarasin ist Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich. Er hat in Basel und Heidelberg Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft studiert und mit einer Arbeit über das Basler Grossbürgertum promoviert. 1999 hat er in Basel mit einer Arbeit über Körpergeschichte im 19. Jahrhundert promoviert. Sarasin ist Mitbegründer und Mitglied des Zentrums Geschichte des Wissens, des wissenschaftlichen Beirats der Internetplattform H-Soz-u-Kult und Herausgeber des Literaturverwaltungsprogramms Litlink. Seit 2016 ist er Mitherausgeber des Online-Magazins «Geschichte der Gegenwart».
https://geschichtedergegenwart.ch/


Basel, 21. Oktober 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Philipp Sarasin: «Online ist wichtiger»"

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