Peter Schneider: «Ich vertrage Softnews immer schlechter»

Publiziert am 23. September 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute Psychoanalytiker und SRF3-Presseschau-Kolumnist Peter Schneider. Er sagt, je länger er Zeitungen lese, desto genervter sei er davon. «Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich all diese Soft-News immer schlechter vertrage.» Ein Teil des Journalismus sei heute schon automatisiert, «daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Menschen die Artikel verfassen». Manches sei seit Jahren «derselbe sich wiederholende Käse, der immer dieselben Schemata erfüllt und mit denselben Textbausteinen und Floskeln arbeitet.» Er findet es denn auch «nicht so tragisch», wenn es bald keine gedruckten Zeitungen mehr gibt.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich lese «Tages-Anzeiger», «Blick», NZZ, FAZ und «Republik», ausserdem «20 Minuten» und den «Berliner Tagesspiegel» online. Am Sonntag die «SonntagsZeitung», die «NZZ am Sonntag» und den «Sonntagsblick». Ausserdem schaue ich, was es auf Twitter an Neuigkeiten gibt und lese die Newsletter von «Aeon» und «Geschichte der Gegenwart». Wenn ich Zeit habe, schaue ich noch in den «New Yorker», die «London-» und die «New York Review of Books». Alle drei habe ich abonniert, lese sie aber viel zu wenig.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin nur auf Twitter. Kurz habe ich es mal kurz auf Instagram probiert, es war mir zu mühsam.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe öfter wieder die «Tagesschau» geschaut.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Das lässt sich generell nicht sagen. Ich kenne die Entwicklung in der Schweiz seit den 80er Jahren. Damals gab es nur Print und öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen. Dann kamen die Privatsender. Dann die Gratiszeitungen, dann die sozialen Medien und die Streamingdienste. Besser waren sicherlich die Medienvielfalt im Print und die finanzielle Ausstattung der Printmedien. Früher ging einem der stramme FDP-Kurs der NZZ auf den Wecker, heute deren Anti-Political-Correctness Besessenheit. Je länger ich Zeitungen lese, desto genervter bin ich davon. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich all diese Soft-News immer schlechter vertrage. Mit der Zeit hat man davon eine Überdosis abbekommen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Warum sollten sie keine haben?

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Nichts. Ich bin froh, dass Lesen freiwillig ist.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Kann ich sehr gut. Ich kann auch Bücher weglegen, die gerade irgendwie nicht passen und sie dann später lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Twitter, FAZ, Aeon, Geschichte der Gegenwart.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch eine Zeitlang, aber wahrscheinlich – bis auf ein paar Liebhaber*innen-Blätter – nicht mehr in dreissig Jahren. An und für sich ist das nicht so tragisch. Ich lese inzwischen auch meine Tageszeitungen als e-Paper. Wichtig ist, dass der sogenannte Qualitätsjournalismus überlebt und nicht eine Internet-Nische für Info-Nerds wird, der mit den Beiträgen schlecht bezahlter Journalist*innen gefüllt wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Weder noch. Sie sind eben auch Teil der Medien.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Gar nicht. Weil mir die Zeit dazu fehlt. Allenfalls bleibe ich manchmal beim Post-Netflix-Zappen bei irgendwelchen Dokus hängen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein, und ich halte das für einen persönlichen Makel. Wenn ich höre, was es an guten Podcasts gibt, schaudert es mich, was ich da verpasse. Mir fehlt aber schlicht die Zeit und ich pflege keine Tätigkeiten, bei denen ich nebenher Podcast hören könnte.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es klingt deprimierend und könnte einen zur Klage veranlassen, dass früher alles besser war. Aber was heisst schon «News depriviert». Auch diese Altersgruppe lebt ja nicht abgeschirmt während 13 Jahren in einem unterirdischen Bunker.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein Teil des Journalismus ist heute schon automatisiert, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Menschen die Artikel verfassen. Manches ist seit Jahren derselbe sich wiederholende Käse, der immer dieselben Schemata erfüllt und mit denselben Textbausteinen und Floskeln arbeitet. Man merkt das, wenn man ein Faible für Parodien und Pastiches hat.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Was ist das für eine Alternative?

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Das ist immer eine Geldfrage. Solange die Werbung Journalismus «quersubventioniert», weil der professionelle Journalismus als Werbeumfeld seinerseits die Werbung quersubventioniert, ist alles in Butter. Aber dieser journalistische Gesellschaftsvertrag ist gekündigt. Journalismus und Werbung werden getrennte Geschäfte, der Journalismus ist defizitär, Geld wird auf Internetplattformen der einstigen Verlagshäuser verdient. Die Umbenennung von TAMedia in TXGroup veranschaulicht das mehr als deutlich. Vielleicht liegt die Zukunft in Leser*innen-Reporter*innen, welche die Leser*innen-Leser*innen mit lustigen Geschichten bedienen. Heute habe ich gelesen, dass «20 Minuten» in den USA lebende Schweizer*innen rekrutiert, um vom Wahlkampf zu berichten.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Als Medienfüller für Beiträge unter der Schlagzeile «Jetzt wird es eng für Donald Trump» sicher gut.

Wem glaubst Du?

Allen, bei denen ich keinen Grund habe, ihnen nicht zu glauben.

Dein letztes Wort?

Amen.


Peter Schneider
Peter Schneider lebt in Zürich und arbeitet dort als Psychoanalytiker und Kolumnist (SFR3, «Tages-Anzeiger», «Bund», «Sonntags-Zeitung»). Er war PD für Psychoanalyse und Prof. für Entwicklungspsychologie in Bremen. Derzeit ist er PD für Klinische Psychologie an der Uni Zürich und Gastprofessor für Geschichte und Epistemologie an der IPU Berlin. 2020 erschienen von ihm die Bücher «Normal, gestört, verrückt. Über die Eigenart psychiatrischer Diagnosen», «Follow the science?» und (zusammen mit Andrea Schafroth) «Jungbleiben ist auch keine Lösung. Ein Buch übers Älterwerden»).
www.peterschneider.info

Jungbleiben ist auch keine Lösung

Älter zu werden macht keine Freude. Das gilt für manche schon ab 20, andere haben erst Mühe damit, wenn der Rücken schmerzt und die Pumpe (und so manches andere) nicht mehr will. Aber irgendwann spüren wir alle, wie das Leben die Richtung wechselt: Es geht nicht mehr nur aufwärts, sondern auf das Ende zu. In diesem Buch unterhalten sich Psychoanalytiker Peter Schneider und Journalistin Andrea Schafroth über die kleinen und grossen Dinge, die einem beim Älterwerden passieren: Sind wir alt, wenn wir uns über Software-Updates ärgern? Wird die Menopause überschätzt? Warum haben wir keine Lust aufs Altersheim? Ist Sex mit 80 empfehlenswert? Wie in ihrem ersten Dialogbuch «Cool down – wider den Erziehungswahn» ziehen sie dabei wider fixe Vorstellungen und Klischees ins Feld.

Peter Schneider, Andrea Schafroth: Jungbleiben ist auch keine Lösung. Ein Buch übers Älterwerden. Zytglogge, 200 Seiten, 32 Franken; ISBN 978-3-7296-5047-3

Erhältlich ist das Buch hier. https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783729650473


Basel, 23. September 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman. Einfach hier klicken. Videos dazu gibt es auf meinem Youtube-Kanal.

Bild: Claudia Herzog, http://claudiaherzog.ch/

 

Ein Kommentar zu "Peter Schneider: «Ich vertrage Softnews immer schlechter»"

  1. „Das Leben ist keine abschüssige Bahn, muss keine abschüssige Bahn sein“ sagt der nun auch schon „alte, weisse Mann“ Roger Schawinski. Er zeigt mit seiner Lebensweise auf (praktisch keinen Alkohol, kein Fleisch, kein Fisch, kein Rauchen und viel Meditation und Spiritualität), wie man auch im Alter noch fit sein kann. Interesse haben, Lebensfreude und immer noch Tatendrang und Projekte, wenn auch vielleicht kleinere als früher.
    Peter Schneider’s Worten misstraue ich eher. Als Dauerplauderer (sollte spassig sein) redete er oft auf Radio SRF 3. Schmunzeln konnte ich dabei nie. Auch als Gast bei Fernseh-Shows wie „Deville“ usw. erlangte ich dabei für mich von ihm keinerlei Mehrwert. Er scheint bei SRF abonniert, und je mehr Auftritte, je überhöhter empfand ich ihn.
    Und als „Elternberater“, der dauernd bei der Eltern/Jugendzeitschrift „Fritz und Fränzi“ erscheint, gibt er den Erziehungsberechtigten haarstäubende Tipps. Ich weiss, es sollte „spassig“ gemeint sein, aber bei den oftmals schwerwiegenden Eltern/Jugendproblemen verträgt es keinen Humor.
    Deshalb würde ich sein neustes Werk, in dem er sich übers Älterwerden auslässt, mit äusserster Vorsicht und Skepsis zu Gemüte führen, würde ich es dann je erwerben….

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