Peter Hossli: «Der Wein ist wichtiger als der Schlauch»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Peter Hossli, Reporter bei der «NZZ am Sonntag» und designierter Leiter der Ringier Journalistenschule. Er sagt, der Ausstieg aus Twitter sei «ein Ziel, an dem ich seit Jahren scheitere.» Seit er auf Anraten seiner Töchter zu Beginn der Pandemie AirPods gekauft hat, ist er begeisterter Nutzer der kleinen, drahtlosen Apple-Kopfhörer und schwärmt: «Seit meiner ersten Mail-Adresse hat nichts meinen medialen Alltag so sehr verändert wie AirPods.» Text findet er nach wie vor ein wichtiges Medium, doch sei «die Sorgfalt bei der Schreibe geringer geworden». Der Grund: «Da die Löhne sinken, zieht es weniger kluge Menschen in die Medienbranche.» Insgesamt findet er, die Journalist:innen sollten die Kanäle den Managern überlassen: «Statt über Kanäle zu reden, sollten wir Geschichten erzählen, aufdecken, einordnen und darstellen.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Meine beiden privaten Think Tanks: Je ein Gruppen-Chat mit Kollegen aus der Kantonsschule Baden, und einer mit einer kleinen, gut informierten Truppe Medienschaffender.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Die Leichtigkeit von Instagram gefällt mir. Facebook verstehe ich nicht. Twitter ist das Gift des Newsjunkies, ein elender Zeitfresser. Der Ausstieg aus Twitter ist ein Ziel, an dem ich seit Jahren scheitere.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Auf Anraten meiner Töchter habe ich zu Beginn der Pandemie AirPods gekauft. Seither kann ich gleichzeitig Staubsaugen und an Sitzungen teilnehmen, die Küche putzen und Recherchegespräche führen, Fernseh- und Radiosendungen hören und alte Zeitungen zusammenbinden. Seit meiner ersten Mail-Adresse hat nichts meinen medialen Alltag so sehr verändert wie AirPods.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Superlative mag ich nicht, weil sie selten stimmen. Faktenchecks sind heute besser als früher, ebenso die mediale Vielfalt und Fernsehbeiträge. Es gibt viele gut geschriebene Texte, aber insgesamt scheint die Sorgfalt bei der Schreibe geringer geworden sein. Da die Löhne sinken, zieht es weniger kluge Menschen in die Medienbranche.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja. Bisher ist mir kein präziseres und günstigeres Kommunikationsmittel begegnet als das geschriebene Wort. Entscheidend ist nicht die Anzahl der Worte, sondern ihre Reihenfolge.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Seit 40 Jahren lese ich den «Spiegel», seit 30 Jahren die «New York Times», leider zu selten den «New Yorker». Für mich passt das.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Schlechte Bücher lege ich ohne schlechtes Gewissen weg. Schneller noch beende ich die Lektüre von Interviews, die mit der Frage «Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie …?» anfangen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In Gesprächen mit Menschen, sei es in der Familie, im Büro, auf Reportage oder mit Freunden.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Vor zwanzig Jahren habe ich in New York mit einem Diplomaten eine Kiste Champagner gewettet, dass es in zehn Jahren keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben werde. Seither stelle ich keine Prognosen über die Zukunft der Medien mehr an. Den Champagner schulde ich ihm noch.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
«Fake News» ist ein medienfeindlicher Kampfbegriff, zu dem ich mich nicht äussere, und den wir nicht verwenden sollten.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Live am Fernsehen schaue ich Fussball und Curling. Live am Radio höre ich das Regionaljournal Aargau/Solothurn auf SRF 1.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ja, vornehmlich amerikanische: die Diskussionssendung «Left, Right & Center», «Death, Sex & Money» über die grossen Themen des Lebens und «Fresh Air», die Interviewsendung von Terry Gross. Zu «Roger gegen Markus» lege ich Wäsche zusammen.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Das weiss ich nicht. Meine Vermutung: Jungen Menschen gefällt TikTok besser als die Arbeit der Medienschaffenden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Roboter können orthografisch und grammatikalisch korrekte Texte schreiben und sprechen. Schreiben und Reden kommen aber erst am Schluss einer journalistischen Arbeit. Ebenso wichtig ist die Beobachtung, die Idee und die Umsetzung. Die dafür notwenige Kreativität erreicht künstliche Intelligenz noch nicht. Vielleicht nie.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Der Wein ist wichtiger als der Schlauch. Statt über Kanäle zu reden, sollten wir Geschichten erzählen, aufdecken, einordnen und darstellen. Bei einem Post auf TikTok wie bei einer langen Reportage muss das journalistische Handwerk stimmen. Um die Schläuche sollen sich Medienmanager kümmern.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Da bin ich angelsächsisch geprägt: Staatliche Medienförderung sollte es nicht geben, weil dadurch die Unabhängigkeit der Medien und eine wichtige Aufgabe – die Kontrolle von Politik und Behörden – untergraben wird. Von der Politik erwarte ich einzig, dass sie die Medienfreiheit stärkt. Ob ein mediales Erzeugnis erfolgreich ist, entscheidet der Markt. Zum Markt gehören Medienhäuser und ihre Kundinnen, Mäzenen, Crowdfunder, Mitglieder, Abonnenten, Werbetreibende oder anonyme Spenderinnen – aber nicht Beamte, die Steuergelder verteilen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Selbst Liebesbriefe schreibe ich mit dem Computer. Meine Handschrift ist seit meiner Kindheit unleserlich. Als Schüler litt ich, weil die vielen Stunden Nachsitzen mit dem Schönschreibheft nichts bewirkten. An meiner letzten Buchvernissage sagte ein ehemaliger Lehrer zu mir: «Vermutlich konntest du schon als Schüler schreiben, leider war es unmöglich, deine Schrift zu entziffern.» Mit 16 erlöste mich mein Vater und schenkte mir einen Mac.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump hat negative Seiten unserer Branche offenbart. An der US-Ost und -Westküste hat man ihn belächelt, statt sich mit seinen Anhängerinnen und Anhängern im Landesinnern zu befassen. Als er gewählt wurde, hat er manche Journalistinnen und Journalisten in den Aktivismus getrieben. Statt nüchtern und sachlich über seinen Leistungsausweise zu berichten, liessen sich Medienschaffende zu einer Hysterie verleiten – was letztlich Trump geholfen hat.
Wem glaubst Du?
Was meine Mutter sagt, stimmt. Alles andere überprüfe ich.
Dein letztes Wort?
Warum?
Peter Hossli
Peter Hossli (52) ist Reporter bei der «NZZ am Sonntag». Am 1. Mai übernimmt er die Leitung der Ringier Journalistenschule. Er hat in Zürich und New York Geschichte und Filmwissenschaften studiert, gehörte 1995 der Gründerredaktion von «Facts» an, war lange Zeit freier Korrespondent in den USA und ist Autor von zwei Büchern: «Die erste Miete ging an die Mafia. Was ich bin: Reporter» und «Revolverchuchi». https://www.hossli.com/
Basel, 18. März 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Ralph Diemer.
Seit Ende 2018 sind über 160 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:
https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Peter Hossli: «Der Wein ist wichtiger als der Schlauch»"
Sehr gute, differenziert Antworten. Von jemandem, welcher bald die „Riniger“-Journalistenschule leitet. Das freut und gibt Hoffnung auf den Nachwuchs…. Bravo.
NB:
Nur die Air-Pods (Funk-Kopfhörer direkt in der Ohrmuschel) nicht stark benutzen. Sie „können“ Krebs verursachen (durchaus plausibel, auch wenn Dr. Apple was anderes sagt….)
Sie wollen ja die „Riniger“-Rente noch geniessen…
Abschliessend der Link zum „Ringier“-Warn-Artikel:
https://www.blick.ch/news/250-forscher-warnen-bluetooth-kopfhoerer-koennten-krebs-verursachen-id15213471.html
Drei Aussagen finde ich speziell erwähnenswert: Sinkende Löhne sollen kluge Menschen abhalten (selber finde ich steigende Löhne kongruent mit Einfalt). «Fake News» ist ein medienfeindlicher Kampfbegriff (endlich sagt das einmal jemand). Staatliche Medienförderung sollte es nicht geben (gilt auch für die staatliche Bildungsförderung).