Peter Bertschi: «Fake News sind ein Risiko, weil sie den Ruf des Journalismus in Gefahr bringen.»

Publiziert am 3. Oktober 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Peter Bertschi, ehemals stv. Chefredaktor Radio SRF, heute pensioniert, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, er sei ein radikaler Demokrat und halte als solcher viel von einer guten Streitkultur. «Die gibt es nicht ohne Medien.» Bei der heutigen Newsschwemme brauche es aber «eine gewisse Medienkompetenz, die guten Informationen und Nachrichten zu finden.» Bertschi warnt davor, Journalismus nur noch ab Büro zu betreiben. «Den direkten Kontakt der Journalisten und Journalistinnen zur Gesellschaft, über die sie schreiben, halte ich für wichtig.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Radio SRF und die NZZ (Zeitung).

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Da bin ich gar nicht aktiv, ist für mich Zeitverschwendung.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Radio SRF, SRF online, Online NZZ, Online-Medien des Ereignisortes.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

So plakativ lässt sich die Frage nicht beantworten. Einiges war früher besser, zum Beispiel das Profil der verschiedenen Medien (Medienvielfalt) – anderes ist heute besser, etwa die handwerkliche Professionalität.

Ist es für Medienkonsumenten einfacher oder schwieriger geworden, sich mit qualitativ hochstehenden Nachrichten und Informationen zu versorgen?

Es gibt sie noch – im In- und Ausland – aber bei der Newsschwemme braucht es eine gewisse Medienkompetenz, die guten Informationen und Nachrichten zu finden.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das wünsche ich mir zumindest – und eigentlich bin davon auch überzeugt. Das Buch wurde auch totgesagt, es lebt aber weiterhin recht gut.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Marion Gräfin Dönhoff – Die Gräfin, ihre Freunde und das andere Deutschland» von Gunter Hoffmann. Wie es dem langjährigen ehemaligen Journalisten der «Zeit» gelingt, die Dönhoff so differenziert, emphatisch-kritisch und intelligent in die deutsche Nachkriegsgeschichte einzubetten, ist ein Schulbeispiel für Historiker und Journalisten. Ausserdem ist das Buch sehr spannend zu lesen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese die Bücher meist zu Ende – ich informiere mich zuvor sorgfältig, was verschiedene Literaturkritiker schreiben.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In der Familie, bei Freunden – und in den Medien ( Zeitungen und Radio).

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Totgesagte leben länger.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich halte sie für eine Gefahr, sie haben den Ruf des Journalismus als Ganzes in Gefahr gebracht. Man vergisst dann gerne, wie wichtig (guter) Journalismus für eine lebendige Demokratie ist.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre regelmässig live das «Rendez-vous» und das «Echo der Zeit» von Radio SRF, «52 beste Bücher» von Radio SRF 2, und sehe regelmässig «Hart aber fair» (ARD), «Anne Will» (ARD) sowie Fussball (SRF).

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ab und zu höre ich Podcasts – öfters den «Echo der Zeit»-Podcast.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dieser Befund ist mir bekannt, ich halte ihn für alarmierend. Ich bin ein radikaler Demokrat, halte als solcher viel von einer guten Streitkultur. Die gibt es nicht ohne Medien.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Reine Newsaufbereitung lässt sich wohl weitgehend roboterisieren ( ich kann das allerdings nicht als Fachmann beurteilen) – doch eigene Recherchen, Kommentare, Meinungsartikel, die können wohl nicht Roboter schreiben. Abgesehen davon, wenn Journalismus nur noch ab Büro betrieben wird, halte ich das für schlecht. Den direkten Kontakt der Journalisten und Journalistinnen zur Gesellschaft, über die sie schreiben, halte ich für wichtig.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Er muss eine Zukunft haben. Wer Optimist ist, der will gestalten. Journalismus ist eine Möglichkeit, in einem demokratischen Land etwas zu bewegen – zum Wohle der Gesellschaft.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten Postkarten und öfters Einkaufszettel (!).

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump ist schlecht für die Medien. Seit seiner Wahl ist der Begriff der «alternativen Fakten» salonfähig geworden. Das halte ich für einen schädliche Relativierung wichtiger Werte.

Wem glaubst Du?

Schwierige Frage… Ich glaube nicht irgendeiner Person. Darf ich die Frage etwas ändern? Woran glaubst du? An die Vernunft, und damit – trotz allem – an die Zukunft.

Dein letztes Wort?

Bald sind eidgenössische Wahlen. Geht wählen, kümmert euch darum. Es macht Sinn. Und wenn ihr nicht wisst, wen oder welche Partei ihr wählen sollt: panaschiert und setzt jene KandidatInnen auf eure Liste, die die Zeichen der Zeit verstanden haben. Frei wählen zu können ist ein Geschenk, nehmt es an.


Peter Bertschi

Aufgewachsen im Aargau, Maturität Typus B, Studium Romanistik und Geschichte,  Sprachlehrer, Bundeshauskorrespondent Radio SRF, Inlandchef Radio SRF, stv. Chefredaktor Tages Anzeiger, stv. Chefredaktor Radio SRF, seit 2016 pensioniert und als freier Journalist und Moderator tätig.


Pontresina, 3. Oktober 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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