Oliver Meiler: «Vieles war früher besser, da sollten wir uns nichts vormachen»

Publiziert am 4. August 2021 von Matthias Zehnder

Die Fragebogeninterview-Sommerserie mit Schweizer Korrespondent:innen über ihre Mediennutzung – heute mit Oliver Meiler, Italien-Korrespondent von «Tages-Anzeiger» und der «Süddeutschen Zeitung». Er sagt, mit der Beschleunigung sei die Qualität der Medien nicht gestiegen, «um es mal gelinde zu sagen – online passieren sehr viele Fehler». Meiler hat in Italien einen richtig harten Lockdown erlebt und erzählt, dass sich «viele spannende Gesprächspartner während des Lockdowns viel mehr Zeit nahmen, mit den Medien zu reden – über Skype, Teams, Zoom.» Den Prominenten fehlten plötzlich die öffentlichen Bühnen. «So einfach kam man wohl noch nie an berühmte Interviewpartner.» Meiler ist überzeugt, dass Tageszeitungen noch lange gibt – wenn «die Verleger der gedruckten Zeitung Sorge tragen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Eine ganze Menge Zeitungen, und da ich sie alle zuerst auf meinem Tablet lese, fehlen sie tatsächlich nie, egal, wo ich auch gerade bin – in dieser Reihenfolge: die «Gazzetta dello Sport», die «Repubblica», der «Corriere della Sera», alle als E-Paper. Der «Tagi», klar. Die «Süddeutsche Zeitung» lese ich am Vorabend schon auf der grünen App. Dann gehe ich zum Kiosk und kaufe noch ein paar andere Zeitungen fürs Archiv, setze mich in eine Bar und lese.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Mit Facebook und Instagram halte ich es gar nicht. Zu Twitter haben mich meine Söhne jahrelang gedrängt, einer sagte ständig: «Du kannst dort gar nicht nicht dabei sein.» Zu Beginn der Pandemie gab ich den Widerstand auf, das ist also alles noch sehr neu für mich. Und der drängende Sohn, der sich mal als mein Social Media Manager angedient hatte und dann doch nie was tat, findet die meisten meiner Reflexe auf Twitter… naja, geht so.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Gar nicht so stark, mal abgesehen natürlich vom Reisen, das viel weniger geworden ist. Toll war, wie viele spannende Gesprächspartner während der Lockdowns, die in Italien ja richtige Lockdowns waren im Gegensatz zu anderen Ländern, sich viel mehr Zeit nahmen, mit den Medien zu reden – über Skype, Teams, Zoom. Die Prominenten hatten plötzlich keine anderen öffentlichen Bühnen mehr: So einfach kam man wohl noch nie an berühmte Interviewpartner.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Vieles war besser, da sollten wir uns nichts vormachen – nicht nur, weil mehr Geld da war: Es herrschte auch ein anderes journalistisches Selbstverständnis, das Angebot war grösser, der Blick auf die Welt war breiter. Mit der Beschleunigung auf den Kanälen ist die Qualität nicht gestiegen, um es mal gelinde zu sagen – online passieren sehr viele Fehler. Und noch etwas war entschieden besser: die prä-köppelsche «Weltwoche».

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber natürlich! Die Frage ist nur, auf welchem Kanal.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Wenn man sich nur etwas auswählen könnte? Die «Financial Times» am Wochenende, und zwar von vorne bis hinten. Und wenn ich mich mit einem einzigen Schreiber begnügen müsste: Filippo Ceccarelli von der «Repubblica».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege Bücher auch mal nach dem ersten Satz für immer weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Mich interessiert fast alles.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das liegt an den Verlegern: Wenn sie der gedruckten Zeitung Sorge tragen, sie kuratieren, ihr neben allem Digitalen und Mobilen Bedeutung einräumen, für Fotos bezahlen mögen, dann noch eine ganze Weile. Kleiner, hübscher, ausgewählter, vielleicht nicht mehr an jedem Tag.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind eine Katastrophe an sich. Und leider erreicht man viele Menschen ja gar nicht mehr mit den konventionellen Medien, die als Korrektiv dienen könnten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich fast nur im Auto. Und Live-Fernsehen schaue ich für die Nachrichtensendungen, für Grosslagen der Aktualität und natürlich für Fussball, ab und zu für Talkshows.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, aber nicht regelmässig, ich höre fast nur Podcasts von Zeitungen: «Economist», «New York Times», SZ, «Tagi» – einen Liebling habe ich nicht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Kann das überhaupt sein? In den vielen Feeds in den sozialen Medien kommt doch auch eine Menge News, nicht? Ich bin kein Kulturpessimist, ich denke also nicht, dass die Jungen von heute weniger gut informiert sind, als wir es waren. Einfach anders.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wahrscheinlich gibt es schon Sparten, die sich automatisieren lassen – Daten etwa ohne Einordnung, nackte Resultate von Wahlen, Zahlen einer Pandemie. Aber ist das Journalismus? Mir ist der Sound eines Artikels immer sehr wichtig, und der lebt von der Autorin, vom Autor – egal, worüber man schreibt. Der Sound verdichtet Wissen, Erlebtes, Empfundenes. Das wird ein Roboter nie können.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch, sie verändert nur die Strukturen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Oh ja, natürlich. Er wird sogar immer wichtiger, nämlich je mehr Politiker und Entscheider die Kommunikationskanäle direkt bedienen. Filtern ist wichtig, sonst verselbstständigt sich die Macht. Und das schafft nur professioneller Journalismus.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Meine Notizen für die Vorbereitung eines Artikels sind immer von Hand, das wird dann jeweils ein ziemliches Chaos auf einer A-4-Seite, rekto und verso, im Uhrzeigersinn geordnet. Auf Reportage habe ich mir angewöhnt, die Eindrücke als Audio an mich selbst auf dem Handy aufzunehmen, da hört man im Hintergrund dann noch die Grillen zirpen, im Idealfall.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump war insgesamt eine Tragödie, ich mag gar nicht darüber nachdenken, ob er auch für etwas gut gewesen sein könnte.

Wem glaubst Du?

Meiner Familie, meinen Freunden.

Dein letztes Wort?

Forza Roma!


Oliver Meiler
Oliver Meiler (geboren 1968), Bündner mit italienischen Vorfahren, aufgewachsen in St. Gallen, hat in Genf Politikwissenschaft studiert. Seit 1995 arbeitet er für den «Tages-Anzeiger», ab 1998 als Korrespondent: zunächst in Italien (auch für die «Berliner Zeitung»), dann in Südostasien (auch schon für die «Süddeutsche Zeitung»), in Frankreich, Spanien und seit 2015 wieder in Italien. Autor des Buchs «Agromafia», erschienen bei dtv im Frühling 2021. Oliver Meiler ist verheiratet und hat zwei Söhne.
https://www.sueddeutsche.de/autoren/oliver-meiler-1.1408830


Basel, 4. August 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

2 Kommentare zu "Oliver Meiler: «Vieles war früher besser, da sollten wir uns nichts vormachen»"

  1. Endlich sagt es auch einmal ein anderer: immer noch aufwendiger, und immer noch geiler, und immer noch komplizierter, und immer noch mehr, und immer noch nerviger, und immer noch spannender, und immer noch teurer, und immer noch … bedeutet oft das Gegenteil von gut … und das auch dann, wenn es die Mehrheit nicht wahrhaben will und so tut, als ob immer alles besser würde.

    1. Zum Kommentar von U. Keller passt:
      „Wem Wirtschaft wichtiger ist als Gesundheit, der kann ja mal die Luft anhalten, während er das Geld zählt.
      Diese Priorisierung von Wachstum und Wirtschaft geht mir derartig auf den Sack, das muss ich hier mal sagen.
      Warum: Weil wir immer noch einer Wachstumsideologie anhängen, die krank ist“
      …sagte Eckhart von Hirschhausen (bekannter Kabarettist und Arzt) im Deutschen Fernsehen bei Maybirt Illner.
      In der Schweiz hängt Wachstum noch höher als in Deutschland. Auch bei den Parteien und Entscheidungsträger, bei denen man es nicht vermutet: Guy Morin (Grüne BS) war ein grosser Freund und Förderer des EuroAirports Basel-Mulhouse-Freiburg. Wichtig und von grosser EUROpäischer Bedeutung, ein Dreiländer-Projekt. Umweltaspekte liess er dort stets aus.
      Oder Isaac Reber (Grüne BL) – Treiber des Totalflächenüberbauungs-Traum von Salina Raurica. Neue Strassen (im Bau) und ein 200 Millionen-Tram (geplatzt) sollen die grüne Lunge Prattelns und eine der letzten grünen Ebenen von Baselland in eine einzige Beton-Firmen-Wohnsiedlung verwandeln.
      Richtig böse und angsteinflössend war er (ich hätte nicht neben ihm stehen wollen, als er wütend ins TV sprach), als die Betontram-Verlängerung demokratisch vom BL-Souverän (nicht in seinem Sinne) abgelehnt wurde.
      Auch Beat Jans (SP BS) träumt von einem Zuwanderungs-Basel wie es die Stadt noch nie gesehen hat. Die 12 Millionen-Schweiz kann nur so erreicht werden – dies wohl die Überlegung dahinter.
      Auch Maja Graf (Grüne BL) drückt beide Augen zu, wenn es um immer mehr Grenzgänger-Verkehr bei uns in der Region geht. Kamen im Jahr 2000 100‘000 Grenzgänger pendelnd mit dem Auto in die Schweiz – sind es 20 Jahre später schon 300‘000 welche täglich hin-her-hin-her düsen…..
      Dieser Wachstumsverkehr wird ausgeblendet, lieber pisakt man den Familienvater, der sich am Sonntag erlaubt, für seine Familie beim Bäcker Brötchen zu holen, und dies halt schnell mit dem Auto….
      WACHSTUM ist gut – BS peilt nur dies an, sieht den allumfassenden Traum darin, auch im Gier-BL und in der ganzen Raff-Schweiz sieht es nicht anders aus….
      Masshalten? Beschränken? Einwanderung begrenzen? Baustopp? Oh Gott, ist dies alles hinterwäldlerisch, vorgestrig, nicht von dieser Welt – gar SVP-beschränkt.
      Wie das noch alles weiter gehen soll? Noch nie was vom Kragen gehört, bis er platzt….

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