Nina Jecker: «Es reicht nicht, alte Produkte auf jung zu bürsten»

Publiziert am 29. März 2023 von Matthias Zehnder

Das 222. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Nina Jecker, Mitglied der Chefredaktion der «Basler Zeitung». Sie sagt, früher seien in den Medien nur die Budgets besser gewesen: «Dank der Digitalisierung ist heute so viel mehr möglich.» Sie zweifelt zwar, ob früher wirklich mehr junge Menschen Medien konsumiert haben. Sie ist aber sicher, «dass die Branche mit den jungen Generationen über ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen muss». Einfach einen auf jung zu machen, reiche nicht: «Es braucht neue Produkte». Sorgen macht ihr dabei, dass Fake News «von erschreckend vielen Menschen als gleichwertige Informationen wahrgenommen werden». Sie setzt deshalb ihre Hoffnung auf «Journalistinnen und Journalisten, die die eigene Haltung in den Hintergrund stellen und sich allein den Fakten verpflichten».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich bin morgens dafür verantwortlich, dass zwei Kids parat sind für Schule und Kindsgi – es muss also schnell gehen: Der Bajour-Newsletter gibt einen Überblick über die News der Region. Der von der «NZZ» vom Rest der Welt.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Diese Selbstdarstellung vernachlässige ich sträflich. Twitter, TikTok und Instagram nutze ich passiv, Facebook ist vorbei.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Flexibleres Arbeiten. Zeitlich und örtlich.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Abgesehen von den Budgets war vieles schlechter. Dank der Digitalisierung ist heute so viel mehr möglich.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Wer Sprachnachrichten auf Whatsapp so sehr verabscheut wie ich, muss daran glauben!

Was soll man heute unbedingt lesen?

Jeden Tag mindestens etwas, das einen informiert oder inspiriert. Whatsapp-Chats zählen nicht.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen!

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Oft auf Instagram und YouTube oder in Zeitungen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange dafür bezahlt wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Gefahr, da sie von erschreckend vielen Menschen als gleichwertige Informationen wahrgenommen werden.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Immer mal wieder. Es hilft, aus der eigenen Algorithmus-Bubble rauszukommen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Die Podcasts der Süddeutschen und von Tortoise Media. Empfehlung aus dem Bereich Entertainment: «Sweet Bobby»! Und unseren BaZ-Podcast «Los Emol».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ist das nicht völlig normal? Würde ich nicht in der Medienbranche arbeiten, hätte ich in diesem Alter vermutlich auch nie eine Zeitung aufgeschlagen. Klar ist aber, dass die Branche mit den jungen Generationen über ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen muss. Es reicht nicht, alte Produkte auf jung zu bürsten, es braucht neue Produkte.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Viele Aufgaben sicherlich, aber der Journalismus nicht. KI verwendet bereits Bestehendes, guter Journalismus soll Neues aufspüren und erschaffen, Missstände aufdecken und Emotionen transportieren. Das können Computer (noch) nicht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Viele neue Formen und Projekte zeigen, dass zwar die traditionellen Medien kränkeln, der Journalismus an sich aber keineswegs im Sterben liegt.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja, damit Informationen nicht irgendwann von wenigen Geldgebern dominiert werden.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Wenn es sich vermeiden lässt: auf keinen Fall.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht.

Wem glaubst Du?

Journalistinnen und Journalisten, die die eigene Haltung in den Hintergrund stellen und sich allein den Fakten verpflichten. Dringt hingegen in einem Artikel überall die Meinung der Autorin oder des Autors durch, werde ich skeptisch.

Dein letztes Wort?

Ich bin Journalistin, ich bin voller Worte, ein Letztes ist noch nicht in Sicht.


Nina Jecker
Nina Jecker (42) ist Mitglied der Chefredaktion der «Basler Zeitung» und da verantwortlich für den Bereich Kultur und Gesellschaft. Sie hat Jura studiert, ist über ein Praktikum bei «20 Minuten» in Bern in den Journalismus eingestiegen und, wie sie sagt, «bis heute nicht mehr davon losgekommen». Jecker hat für Tamedia in Bern, Zürich und Basel gearbeitet, unter anderem für «20 Minuten», die «Basler Zeitung» und die Seite 3 des «Tages-Anzeigers».
https://www.bazonline.ch/author/54387531/nina-jecker


Basel, 29. März 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Nina Jecker: «Es reicht nicht, alte Produkte auf jung zu bürsten»"

  1. Stelle viel Übereinstimmung in der Einschätzung und betreffend der Nutzung von Medien fest. Nicht so ganz aber bezüglich der Perspektive insbesondere diverser Alltags- und Massenmedien. Einer meiner Schlüsselsätze auch dazu lautet: «Damit bei einem maroden System eine für alle günstig wirksame Veränderung erreicht werden kann, braucht es gemeinsam den Mut, mit den falschen Dingen radikal aufzuhören. Erst dann wird Raum frei für grundlegend und wahrhaftig zukunftsfähig Neues.» (siehe: https://transition-news.org/die-unkreative-intelligenz).

  2. Mir fällt auf, es gibt zwei Arten von Medienschaffenden-Fragebogen-Gästen: Jene, welche zum Frühstück 6 Podcasts und 8 Online-Journale und 4 Zeitungen konsumieren.
    Irgendwie unsympathisch, wo bleibt da die reale Welt?
    Und dann gibt es das andere Extrem wie Journalistin Nina Jecker: „Ich bin morgens dafür verantwortlich, dass zwei Kids parat sind für Schule und Kindsgi – es muss also schnell gehen: Der Bajour-Newsletter gibt einen Überblick über die News der Region. Der von der «NZZ» vom Rest der Welt.“
    Für eine Medienschaffende wieder eindeutig zuwenig. Denn mit „Bajour“ hat man von der Region aber eine ziemlich schlagseitige Sicht.
    Gestresst informieren, Kids versorgen und schicken…. Gehört sich das für Journalist/innen?
    Extrem 1 gegen Extrem 2: Wo bleibt (wie früher) das Mass? Das Ausgewogene? Das Normale?
    Doch was will man in diesen abnormalen Zeiten da noch verlangen….

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