Nicole Giger: «Geschichten wollen wir alle hören»
Sie hat für SRF gearbeitet und ist heute Foodbloggerin: Im Fragebogeninterview gibt Nicole Giger Auskunft über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt: «Die Mediennutzung verändert sich und das ist okay. Was mir Sorgen bereitet, ist eine schwindende Bereitschaft, für gut aufbereitete Information zu bezahlen.» Die Digitalisierung zu verteufeln, sei der falsche Ansatz. «Wichtig ist, dass die Digitalisierung mit Herz geschieht, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird, dass junge Menschen geschult werden, dass es Gesetze gibt, die da greifen, wo es nötig ist.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Radio SRF 4. Und ein guter Mix zwischen «Die Zeit», «Tagi», NZZ, «Süddeutsche», «Watson» und Instagram.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Rumtreiben tu ich mich auf allen diesen Plattformen. Facebook nutze ich vor allem als Veranstaltungskalender, dafür find ich es auch sehr hilfreich. Egal ob Theater, Partys, Ausstellungen, Podien – durch die Facebook Bubble erfahre ich da immer viel Interessantes, das ich dann auch besuche. Auch selber poste ich regelmässig Veranstaltungen, die ich entweder mitorganisiere oder sonst wie wert finde zu streuen. Twittern tu ich selber nicht, aber Tweets lesen sehr wohl. Und ja: Instagram ist bei mir auch ein Arbeitsinstrument. Ich verdiene Geld über Instagram und bin daher täglich auf der App. Klar kann auch ich mich ab und an einfach durch den Newsfeed scrollen, die meiste Zeit aber mache ich Stories, schaue mir andere Stories an, beantworte Messages oder Kommentare.
Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?
Bei wichtigen Ereignissen bekomme ich von gefühlten zwei Dutzend Zeitungen und Newsplattformen eine Push Meldung. Ich lese dann Artikel dazu, auf «Tagi», NZZ, «Watson», «Süddeutsche», SRF online etc.
Die «Tagesschau» oder das «10vor10» schaue ich in solchen Fällen ebenfalls. Auch ARD und ZDF sehe ich regelmässig und finde ihre Newsformate oft sehr informativ und hochwertig.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich bin eigentlich nie der «Früher war alles besser-Typ». Die Mediennutzung verändert sich und das ist okay. Was mir manchmal etwas Sorgen bereitet, ist eine schwindende Bereitschaft, für gut aufbereitete Information zu bezahlen. Durch Internet und Gratiszeitungen haben viele das Gefühl, alles gratis bekommen zu müssen. Das Netz und die sozialen Medien sind aber auch wertvoll, wenn es um die Verbreitung von Wissen und News geht, von Fake News natürlich abgesehen. Auch Late-Night-Formate wie die Sendungen von Trevor Noah, Jimmy Kimmel oder Jimmy Fallon gehören zur heutigen Mediennutzung dazu. Ich schaue die über Youtube und sie liefern neben mal ulkiger, mal geistreicher Unterhaltung auch scharfe Analysen. Aber die Frage fokussierte ja auf die Schweiz, entschuldige.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Und wie sie das haben. Nach wie vor lese ich die Nachrichten noch immer am liebsten. Und Bücher sowieso. Das geschriebene Wort, da bin ich überzeugt, hat auch in der heutigen Zeit nichts an Kraft und Wirkung eingebüsst.
Was muss man unbedingt gelesen haben?
Wo soll ich anfangen? Bei Max Frisch vielleicht? «Andorra», «Homo Faber», seine Fragebögen. «Steppenwolf» von Hermann Hesse, «Das Tagebuch» von Anne Frank und natürlich «Der kleine Prinz». Etwas von Goethe, etwas von Kafka. «Das andere Geschlecht» von Simone de Beauvoir, «Der Vorleser» von Bernhard Schlink, «Ist das ein Mensch» von Primo Levi, «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» von Hannah Arendt. Und ganz vieles mehr.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich kann sie problemlos weglegen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Das passiert doch fast immer über Menschen. Das können Freunde sein, alte wie neue. Aber auch völlig neue Begegnungen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Ich glaube und hoffe noch lange. Auch wenn sie unförmig und in den eher vollen Zürcher Cafés durchaus auch unpraktisch und unhandlich sein können – kein Handy und kein Tablet wird das schöne Rascheln je ersetzen können. Es ist doch wie bei den Büchern: Auch wenn man ihren Tod immer wieder heraufbeschwört, sind sie zäh und unverwüstlich.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Wenn sie unwidersprochen bleiben, dann eine Gefahr. Wenn sie die Menschen zum eigenständigen kritischen Denken und Reflektieren animieren, dann auch eine Chance.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich habe seit vielen Jahren gar keinen Fernseher mehr Zuhause. Wenn ich Dokus, Filme oder eben News schaue, dann immer zeitversetzt, wann ich das will.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich höre Podcasts und finde das eine grossartige Sache. Lieblinge habe ich viele und auch immer wieder andere. Manchmal höre ich Podcasts über Food, die kommen so gut wie immer aus den USA oder England. Ein paar Beispiele: den Bon Appetit Foodcast, Spilled Milk, Sporkful oder Radio Cherry Bombe. Nichts zum Essen, aber trotzdem spannend: Pod Save America, Caliphate oder auch mal den Pottcast von Knackeboul.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Diese Zahl mag sich erschreckend lesen. News sind wichtig, sie bilden, regen auch an, politisch aktiv zu sein, abzustimmen und zu wählen. Ich denke aber, dass gerade auch die Klimajugend beweist, dass die heutigen Jungen keineswegs nur uninteressierte und gleichgültige Zeitgenossen sind, ganz im Gegenteil.
Wichtig ist sicher, dass News auch immer wieder für ein junges Publikum aufbereitet werden, das kann durchaus auch auf Youtube oder Instagram geschehen. Geschichten wollen wir alle hören, ob Jung oder Alt.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Die simple Verbreitung von Newsinhalten kann der Robotern wahrscheinlich tatsächlich bald einmal übernehmen. Für Kommentare, Analysen und Kolumnen wird es aber auch in zehn Jahren noch Menschen brauchen. Formate, die einordnen, den Kontext aufzeigen, eine Geschichte erzählen, müssen – so bin ich überzeugt – weiterhin von Journalisten*innen gemacht werden. Und gerade jene Formate sind wichtig und unabdingbar.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Ich glaube, die Digitalisierung zu verteufeln, ist der falsche Ansatz. Wichtig ist, dass die Digitalisierung mit Herz geschieht, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird, dass junge Menschen geschult werden, dass es Gesetze gibt, die da greifen, wo es nötig ist. Im Allgemeinen sehe ich in der Digitalisierung viele Chancen.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Ein klares Ja. Geschichten wollen erzählt werden. Und wie schon gesagt, Menschen, die einordnen können, Kontext liefern oder einfach eine saugute Schreibe haben, werden auch in Zukunft noch gerne gelesen und sind und bleiben enorm wichtig für unsere Gesellschaft. Für Fernsehjournalismus gilt das genauso.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, ich mache mir Notizen oft von Hand. Ich liebe es auch, ein schönes, kleines Notizbüchlein stets mit dabei zu haben. Als ich mein Buch «Ferrante, Frisch und Fenchelkraut» geschrieben hab, war ich dankbar, dass ich darauf zurückgreifen konnte. Ich habe mir über viele Jahre hinweg immer wieder Notizen gemacht, während des Reisens, im Alltag. Diese Notizen haben mir dann auch zuverlässig Stoff zum Schreiben geliefert.
Zudem, Einkaufszettel und Geburtstagskarten werden ebenfalls stets von Hand geschrieben.
Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Diesen Typen find ich für rein gar nichts gut.
Wem glaubst Du?
Freunden, Familie. Menschen mit Herz. Kritisch sein ist wichtig, ein grundsätzliches Misstrauen ist jedoch nicht mein Ding. Ich geh erst mal vom Guten aus.
Dein letztes Wort?
Ich möchte gern mit Sartre schliessen: Wir verstehen alles im menschlichen Leben durch Geschichten.
Nicole Giger
Nicole Giger hat in Zürich Germanistik studiert, dann Praktika bei SRF DOK und bei 10vor 10 absolviert und etwas mehr als drei Jahre für die Nachrichtensendung 10vor10 gearbeitet. 2014 gründete sie den literarischen Foodblog Mags Frisch (ja, Max Frisch steht hier Pate), ein Blog, der Lesen und Essen miteinander verbindet. Nachdem Giger 2018 in den Gemeinderat der Stadt Zürich gewählt wurde, machte sie sich selbstständig und arbeite heute als Foodjournalistin, Bloggerin und Fotografin und gibt Kurse im Bereich Social Media. Sie ist zudem Mitgründerin der Food Agentur KollektiF. Im Herbst 2019 ist ihr erstes Buch im AT Verlag erschienen: «Ferrante, Frisch & Fenchelkraut», ein Koch- und Lesebuch übers Geniessen, Kochen, Lesen und Reisen.
http://www.magsfrisch.com/
Basel, 19. Februar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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2 Kommentare zu "Nicole Giger: «Geschichten wollen wir alle hören»"
Für den Arbeitsaufwand, den beispielsweise SRF DRS betreibt, sind Mitarbeitende nicht bezahlbar. Das habe ich life erfahren, als ich einer der Interviewten für eine Sendung von etwa 5 Minuten Dauer war.
„Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?“
„Diesen Typen find ich für rein gar nichts gut.“
……sagt eine Food-Bloggerin aus der Schweiz……
Diesen Typen finden aber z.Z. 50% der Amerikaner sehr gut, weil er sehr gut zu ihnen schaut. (Gallup-Trend)
Anstieg der Jobs auf Rekordniveau, Arbeitslosigkeit auf Rekordtief, bei Afro-Amerikaner= 50% weniger Arbeitslosigkeit(!!!), Mehrfachjobber zurückgegangen da besseres Arbeitsplatzangebot, Wirtschaft boomt, Einfamilienhausbauboom auf hohem Niveau, Börse auf Rekordhoch, weniger Drogentote…..
Würde, Job, Geld, Lebensfreude und Ehre zurückerhalten dank Trump.
…….DOCH dies ist ja für eine Foodbloggerin aus der Schweiz alles nicht wichtig.
NUN – eine Foodbloggerin-Meinung aus der Schweiz ist für dieses Thema aber auch beim Eid nicht relevant – empfinde ich.