Nick Lüthi: «Medien haben die verdammte Aufgabe, die Jungen zurückzuholen»
Das Fragebogeninterview mit Nick Lüthi, verantwortlicher Redaktor der Medienwoche, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, der politische Zeitungsjournalismus habe sich verbessert, die Qualität des Bild- und des Magazin-Journalismus habe sich dagegen verschlechtert. In der Automatisierung der repetitiven Arbeiten im Journalismus sieht Lüthi eine Chance, Geld sparen lasse sich damit aber nicht. «Im Gegenteil. Automatisierter Journalismus kostet.» Lüthi sieht weniger Fake News als Gefahr als «die fahrlässige oder mutwillige Fehlinterpretation an sich korrekter Fakten».
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Wochentags frühstücke ich nicht. Wenn ich mich aber im Laufe des Vormittags dann mal für einen Kaffee hinsetze, lese ich die «Berner Zeitung», die ich als Papierausgabe abonniert habe. Am Sonntag kommt die «NZZ am Sonntag» auf den Tisch, deren Artikel ich aber oft schon am Vorabend online gelesen habe. Das beschleunigt dann die Zeitungslektüre.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Twitter nutze ich weniger intensiv als auch schon, vor allem poste ich weniger. Bei Facebook gucke ich täglich mehrmals zum Zeitvertrieb rein und nutze vor allem den Messenger. Instagram bespiele ich regelmässig mit Bildern aus Freizeit und Ferien.
Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?
Mit dem Medium, das ich gerade zur Hand habe. Wenn ich Radio höre, was ich zum Arbeiten oft mache, kriege ich es so mit. Wenn ich unterwegs bin, wohl über eine Push-Meldung einer Nachrichtenplattform. Am 11. September 2001 habe ich über einen Nachrichtenabrufdienst via SMS auf dem Handy von den Anschlägen in New York erfahren.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Vieles war anders. Gemessen an den Möglichkeiten der modernen Medienproduktion wirken Publikationen und Sendungen aus früheren Tagen tatsächlich muffig und altbacken. Nur kann das nicht der Massstab sein. Was früher schlechter war: Der politische Zeitungsjournalismus. Was früher besser war: Der Bild-Journalismus und der Magazin-Journalismus.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Auch die Scripts für Videos und Podcasts bestehen aus geschriebenen Worten.
Was muss man unbedingt gelesen haben?
Da ich die auf Social Media grassierenden Lesebefehle verabscheue, halte ich mich mit einer ultimativen Empfehlung zurück.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich kann Bücher sogar ungelesen weglegen. Dafür müssen sie nicht einmal schlecht sein.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Internet. Ohne Youtube hätte ich zum Beispiel nie erfahren, was Bodeneffektfahrzeuge sind.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Sicher noch fünf Jahre. Eine weiterreichende Prognose würde ich nicht abgeben wollen.
Können elektronische Zeitungen, sei es als E-Paper, sei es als Dienste im Web und auf dem Handy, die Papierzeitung ersetzen?
Warum muss die Papierzeitung ersetzt werden, wenn es digitale Formate gibt, die das Informationsbedürfnis genauso gut oder noch besser befriedigen als bedrucktes Papier?
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Gefahr sehe ich weniger in Fake News im Sinn von falschen und gefälschten Fakten. Die lassen sich leicht richtigstellen. Für gravierender halte ich dagegen die fahrlässige oder mutwillige Fehlinterpretation an sich korrekter Fakten, zumal dann, wenn sie das Potenzial hat, gesellschaftlichen Schaden anzurichten. Hier muss der Journalismus dagegen halten. Das ist eine Chance. Und vor allem eine wichtige Aufgabe der Medien.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio höre ich täglich, meist tagsüber SRF 4 News oder Deutschlandfunk und abends Sounds! auf SRF 3. Live-Fernsehen schaue ich nur noch Sport.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Nein, leider höre ich keine Podcasts. Es sei denn, zeitversetzte Radiosendungen zählen auch dazu. Solche höre ich regelmässig.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Dass sie die verdammte Aufgabe haben, zumindest einen Teil davon zurückzuholen – wie auch immer und wo(mit) auch immer.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Auf jeden Fall. Vor allem der repetitive, unspannende Teil, wie das heute schon praktiziert wird mit Börsennachrichten, Sport- und Wahlresultaten. Geld sparen lässt sich damit aber nicht. Im Gegenteil. Automatisierter Journalismus kostet.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Natürlich. Nur werden es nicht mehr allein die bekannten Unternehmen sein, die Journalismus organisieren. Einen Vorgeschmack auf die Zukunft lieferte jüngst der Youtuber Rezo, der ein modernes Stück Meinungsjournalismus ablieferte.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Immer wieder, mit Füllfeder und Tinte; Notizen an Medienanlässen oder Protokolle an Sitzungen.
Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Fürs Geschäft gut, wie die Zahlen der führenden US-Medien zeigen. Für den Journalismus schlecht, weil die Trump-Berichterstattung Ressourcen bindet, die anderweitig produktiver eingesetzt werden könnten.
Wem glaubst Du?
Meiner Frau und meinen Kindern.
Dein letztes Wort?
So, ich muss wieder an die Arbeit.
Nick Lüthi
Nick Lüthi, *1974, ist seit 2011 verantwortlicher Redaktor der Medienwoche. Lüthi hat nach der Matura Geschichte studiert (ohne Abschluss). Seit 1995 arbeitet er als Journalist, unter anderem für das Lokalradio «Förderband», die Tageszeitung «Der Bund» und das Fachmagazin «Klartext». Lüthi unterrichtet als Dozent für Journalismus am MAZ und an der Schule für Gestaltung Bern/Biel. Er wohnt in Bern, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Basel, 12. Juni 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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