Nelly Keusch: «Gewisse Textformen lassen sich automatisieren, Journalismus nicht.»

Publiziert am 8. November 2023 von Matthias Zehnder

Das 254. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Nelly Keusch, Wirtschaftsredaktorin der «NZZ». Sie sagt, es gebe heute deutlich mehr Möglichkeiten, sich auszuprobieren, mehr Kanäle, mehr Bereitschaft, auf die Ideen Jüngerer einzugehen. «Aber klar, das Gefühl, um jeden Leser kämpfen zu müssen, erzeugt auch sehr viel Druck.» Sie findet es problematisch, dass über die Hälfte der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören und sich nicht mehr für Politik und das Weltgeschehen interessieren. «Allerdings weiss ich nicht, ob das stimmt, vielleicht ist auch einfach der Konsum ein anderer.» Für die Medien sei das aber «eine Chance, das ist ja eine unerschlossene Lesergruppe!» Sie selbst sei «für jemanden aus der Generation Z» wenig auf Social Media aktiv: Sie nutzt beruflich Twitter und privat Instagram. «BeReal finde ich eine schöne Sache, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben, die man wenig sieht.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Eine schwierige Frage, da ich selten frühstücke. In der Regel starte ich meinen Tag aber mit der «NZZ»-Lektüre und klicke mich danach durch die Schweizer Medienlandschaft.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich glaube, für jemanden aus der Generation Z bin ich ziemlich wenig auf Social Media aktiv. Ich nutze Twitter beruflich und Instagram nur privat. BeReal finde ich eine schöne Sache, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben, die man wenig sieht.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als ich mein Volontariat begonnen habe, hat die Pandemie unsere Arbeit noch sehr bestimmt, vor allem als Inhalt unserer Berichterstattung. Wir haben damals gedacht, dass im Nachgang sicher alles ganz anders sein wird als zuvor. Aber nun kommt es mir überhaupt nicht so vor, eigentlich ist alles wie immer.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

«Früher» ist in meinem Fall wohl noch nicht allzu lange her. Man klagt gerne darüber, wie viel schwieriger alles geworden ist, aber die positiven Veränderungen sieht kaum jemand: Mehr Möglichkeiten, sich auszuprobieren, mehr Kanäle, mehr Bereitschaft, auf die Ideen Jüngerer einzugehen. Aber klar, das Gefühl, um jeden Leser kämpfen zu müssen, erzeugt auch sehr viel Druck.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Geschriebene Worte wird es immer geben. Schon als das Fernsehen kam, hat man ihren Untergang befürchtet. Aber ein guter Text wird es immer schaffen, Menschen zu bewegen.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich glaube, jeder soll das lesen, was ihm oder ihr gefällt – solange es keine Verschwörungstheorien bei Telegram sind.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe schon lange kein schlechtes Buch mehr gelesen! Aber ich würde es wohl weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen, gerne auch auf Partys. Aber tatsächlich auch oft in meiner täglichen Arbeit.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn alle so einen Medienkonsum hätten wie ich, wären sie schon weg! Aber so ist es ja (zum Glück?) nicht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Für die Medien sind sie eine Chance, da sie eine Möglichkeit bieten, sich im Informationsfluss zu behaupten und hervorzustechen. Aber für den redaktionellen Alltag sind sie eine grosse Herausforderung, wie man zurzeit beim Nahost-Konflikt wieder sieht. Oft sind die Möglichkeiten sehr begrenzt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre lieber Podcasts als Radio und einen Fernseher habe ich nicht.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre recht unregelmässig Podcasts, primär dann, wenn mich ein Thema interessiert. Oft höre ich das «Journal en français facile» von RFI und den «NZZ Akzent»-Podcast. Der «Stimmenfang»-Podcast des «Spiegel» hilft mir, den Anschluss an meine Heimat Deutschland nicht zu verlieren.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Für die Gesellschaft ist das problematisch, wenn Jüngere sich nicht mehr für Politik und das Weltgeschehen interessieren. Allerdings weiss ich nicht, ob das stimmt, vielleicht ist auch einfach der Konsum ein anderer. Für die Medien ist das jedenfalls eine Chance, das ist ja eine unerschlossene Lesergruppe!

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Gewisse Textformen lassen sich automatisieren, Journalismus nicht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

«Medien» ist ein breites Wort, «Digitalisierung» auch. Medien wird es immer geben, aber ihre Erscheinungsform verändert sich.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Am besten wäre natürlich, es gäbe keine. Medien sollen unabhängig sein. Aber zum Beispiel im Lokaljournalismus ist das nicht immer einfach.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

So gut wie nie. Nur Postkarten und manchmal Notizen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Als Person bringt er zunächst mal Klicks. Hierzulande denke ich nicht, dass er dem Ansehen der Medien geschadet hat, eher im Gegenteil. In den USA sieht das aber wohl anders aus.

Wem glaubst Du?

Im direkten Gespräch prinzipiell jedem, online so gut wie niemandem.

Dein letztes Wort?

Ich hoffe, bis ich das spreche, dauert es noch ein Weilchen.


Nelly Keusch
Nelly Keusch ist 1997 in Garmisch-Partenkirchen geboren und im bayrischen Voralpenland aufgewachsen. Sie hat in München Politikwissenschaft und VWL studiert und ist 2021 für ein Volontariat bei der «NZZ» nach Zürich gekommen. Bei der «Alten Tante» arbeitete sie vor allem im Newsroom an schnellen Geschichten und Tagesaktuellem – aber gerne auch mal an längeren Recherchen. Seit Oktober 2023 ist sie bei der Wirtschaftsredaktion der «NZZ» angestellt und schreibt dort über Arbeit, Generation Z und alles, was jüngere Leserinnen und Leser interessiert.
https://www.nzz.ch/impressum/nelly-keusch-nel-ld.1683477


Basel, 8. November 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 250 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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