Moritz Kaufmann: «Die tägliche Bullshit-Schwemme ist eine Herausforderung für den Journalismus»
Das 249. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Moritz Kaufmann, Wirtschaftsredaktor bei der «NZZ am Sonntag». Er sagt, X bzw. Twitter verfolge er intensiv, «Elon Musk zum Trotz». Für seine Arbeit als Wirtschaftsjournalist sei vor allem «LinkedIn immer öfter hilfreich». Kaufmann ist nicht so pessimistisch bezüglich der Medieninteressen von jungen Menschen: Er glaube, «dass sich jeder und jede irgendwann fürs Weltgeschehen interessiert: Wenn man das erste Mal Steuern zahlt, wenn man Eltern wird oder die Krankenkassenprämien steigen.» In Sachen Medienförderung sei er «tief gespalten». Einerseits könne es nicht genug guten Journalismus geben. Andererseits: «Hat Journalismus, wenn er so uninteressant ist, dass er sich nicht selbst finanzieren kann, überhaupt eine Daseinsberechtigung?» Vor allem die Digitalisierung mache dem Journalismus kommerziell das Leben schwer. «Aber ich bin zum Glück nicht Medienmanager, sondern Journalist. Und als solcher bin ich unglaublich froh um alle Tools und digitalen Möglichkeiten.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Ich überfliege jeden Morgen die grösseren deutschschweizer Publikationen: NZZ, Ringier, Tamedia. Wenn Zeit bleibt, auch ein paar wichtige internationale: «Spiegel», «FAZ», «NYT», «WSJ», «FT». Am Sonntag begnüge ich mich mit den drei Sonntagszeitungen, dafür vertiefter.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
X bzw. Twitter verfolge ich intensiv, Elon Musk zum Trotz. Instagram ab und zu, Facebook selten. Für meine Arbeit als Wirtschaftsjournalist ist dafür LinkedIn immer öfter hilfreich.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Ich habe mir zum Zeitvertreib TikTok heruntergeladen und bin nicht mehr davon losgekommen. Meist schaue ich abends 10-20 Minuten zur Zerstreuung. Mein Feed zeigt vor allem Kochvideos.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Als Journalist habe ich die guten alten Zeiten nicht miterlebt. Ich kann also keinen Vergleich ziehen. Aber die damaligen Redaktionsbudgets hätte ich schon gerne zurück.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Zweifellos.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Irgendein journalistisches Produkt, das einen auf dem Laufenden hält. Und sonst natürlich alles, was einen interessiert.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich kann sogar gute Bücher weglegen, wenn eines dazwischen kommt, das mich noch mehr interessiert.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im direkten Gespräch mit Menschen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Es wurden schon so viele falsche Prognosen zu dieser Frage gemacht. Ich werde gar nicht erst versuchen, eine weitere aufzustellen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Ich weiss bis heute nicht, was mit Fake News genau gemeint ist. Halbwahrheiten? Lügen? Oder Ablenkungsmanöver bei Kritik? Aber ja, die tägliche Bullshit-Schwemme ist eine Herausforderung für den Journalismus. Es geht viel Zeit drauf, das alles einzuordnen und relevantere Themen bleiben eher auf der Strecke.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Das konsumiere ich sehr selten. TV nur dann, wenn ein Sportmatch läuft, der mich interessiert. Radio so gut wie nie.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Regelmässig höre ich die «Ezra Klein Show» von der «New York Times», auch wenn der Namensgeber gerade eine Pause macht, um ein Buch zu schreiben. Zudem die «Dritte Halbzeit» von Tamedia. Aber eigentlich nur, wenn YB gewinnt, nur dann finde ich das Fussball-Generde entspannend. Und sonst je nach Interesse und Thema. Aktuell «Ronzheimer» von Axel Springer.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Die Medien müssen sich sicher härter um diese Gruppe bemühen. Allerdings glaube ich auch, dass sich jeder und jede irgendwann fürs Weltgeschehen interessiert: Wenn man das erste Mal Steuern zahlt, wenn man Eltern wird oder die Krankenkassenprämien steigen. So hoffe ich, dass man sich findet.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Teilweise sicher. Aber eher als Grundservice eines Newsportals und nicht als Inhalt einer Bezahlzeitung wie dem «Tagi».
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Kommerziell macht sie dem Journalismus das Leben nach wie vor schwer. Aber ich bin zum Glück nicht Medienmanager, sondern Journalist. Und als solcher bin ich unglaublich froh um alle Tools und digitalen Möglichkeiten.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Da bin ich innerlich tief gespalten. Ich bin ja nicht nur Journalist, sondern auch Journalismus-Fan. Von allen möglichen Dingen, die ich konsumiere – sei es Musik, Filme und Serien, Literatur etc. – geht am mit Abstand am meisten Zeit für journalistische Inhalte drauf. Es kann nicht genug guten Journalismus geben. Dieser ist aufwendig und kostet Geld. Andererseits: Hat Journalismus, wenn er so uninteressant ist, dass er sich nicht selbst finanzieren kann, überhaupt eine Daseinsberechtigung? Ist er noch unabhängig und glaubwürdig, wenn er Direktzahlungen erhält? Die kurze Antwort deshalb: Ich weiss es nicht.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, meine Notizen mache ich meist von Hand.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Für die «New York Times» und die «Washington Post» war er sicher gut. deren Auflagen gingen ja durch die Decke. Für alle anderen war er wohl weder das eine noch das andere.
Wem glaubst Du?
Als Mensch glaube ich erst mal allen, bei denen ich noch keine gegenteiligen Erfahrungen gemacht habe. Als Journalist glaube ich erst mal niemandem, bis ich den Sachverhalt verifiziert habe. Auch glaubwürdige und aufrichtige Quellen können falsche Dinge erzählen.
Dein letztes Wort?
Danke fürs Interesse.
Moritz Kaufmann
Nach einem abgebrochenen Politik- und Wirtschaftsstudium an der Uni Bern studierte Moritz Kaufmann (37) Journalismus und Kommunikation an der Zürcher Fachhochschule (ZHAW) in Winterthur. Eingestiegen in den Beruf ist er als Regionaljournalist für CH Media in Basel. Ab 2015 arbeite er als Wirtschaftsjournalist für den «Blick» und «Sonntagsblick». Seit vier Jahren ist Moritz Kaufmann als Wirtschaftsredaktor bei der «NZZ am Sonntag» angestellt.
https://www.nzz.ch/
Basel, 4. Oktober 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 240 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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