Michael Sennhauser: «Mein Medium ist das iPad»

Publiziert am 29. Januar 2020 von Matthias Zehnder

Er ist seit Jahren die Stimme des Films bei Radio SRF. Im Fragebogeninterview sagt Michael Sennhauser, woher er seine Ideen und seine Informationen hat, welchen Medien er noch vertraut und warum sein wichtigstes Werkzeug das iPad ist. Obwohl er sich beruflich vor allem mit bewegten Bildern beschäftigt, glaubt er daran, dass das geschriebene Wort Zukunft hat, weil «Phänomene wie ‹Deep-Fake›-Videos das blinde Vertrauen in bewegte Bilder nachhaltig erschüttern». Sennhauser glaubt daran, dass der Journalismus auch in der Schweiz Zukunft hat: «Irgendwann kommt die Lokalisierung als logischer nächster Schritt wieder.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Als Mitglied einer Radioredaktion von SRF Kultur stehen mir die Online- und E-Paper-Versionen einer ganzen Reihe von Zeitungstiteln via Redaktionsabo zur Verfügung. An Arbeitstagen durchpflüge ich via iPad zuerst den «Tages-Anzeiger», dann die NZZ und schliesslich noch die Lokalseite der BaZ, lese, was mich anspringt und speichere etliches via Instapaper. Darauf folgt das Twitter-Update und schliesslich das Durchkämmen einiger hundert Feeds von «New York Times» über «Guardian» bis zu spezialisierten Horrorfilmblogs und Film Studies sowie Tech-Kanälen, die ich via Feedly abonniert habe. Auch hier wandern die Fundstücke zu Instapaper. Insgesamt wende ich etwa anderthalb Stunden dafür auf, bevor ich zur Arbeit gehe.

Aber das «Medium» ist ganz klar das iPad. Was mir vor allem dann auffällt, wenn ich an ausländischen Filmfestivals feststelle, dass ich dort die gleiche Frühstücksroutine praktiziere, allenfalls etwas reduziert. Vor zehn Jahren noch gehörte die Lektüre der jeweiligen Lokalzeitungen zum Ausnahmezustand Festival. Insofern ist meine Medienwelt beim Expandieren geschrumpft.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Auf Facebook poste ich grundsätzlich «öffentlich». Einerseits Links zu Radiosendungen und Blogposts, also die übliche halbverschämte Eigenwerbung, andererseits genügend unverfänglich Persönliches, um nicht zu langweilen. Wobei die immer offensichtlichere Algorithmusfilterung dafür sorgt, dass ich mich zwar häufig, aber meist nur noch kurz auf Facebook befinde. Dafür ist der relativ ungefilterte Twitter-Feed meine beste Quelle für neue Themen, überraschende Ansätze und unerwartete Shitstorms (an denen ich mich nicht beteilige). Instagram schliesslich ist der ruhige Bilderstrom, der persönlichste Kanal, den ich im Alltag vor allem passiv nutze, im Urlaub oder an Festivals aktiver. Dazu kommen hin und wieder «Quartalssüchte» wie die irre Bilder- und GIF-Flut auf Imgur, oder seit etwa einem Jahr Tiktok. Das fasziniert mich vor allem, weil mir hier (da ich nichts like und nichts poste) ein zwar regional ausgerichteter, aber relativ neutraler Selbstdarstellungsozean entgegenschwappt, mit bildungstechnischen Untiefen, sich abzeichnenden Stimmungstrends und einer weiteren globalisierten Meme-Verengung.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Radionachrichten SRF, SRF4 News, SRF Webseite, Twitter und dann nach Möglichkeit Online-Medien aus der betroffenen Region, sofern ich denen sprachlich einigermassen gewachsen bin. Zu meiner eigenen Verblüffung nehme ich oft die «New York Times» und den «Guardian» als Glaubwürdigkeitsmassstab.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Wir vergessen im gegenwärtigen Titelsterben und der Verlagskonzentration, dass die Schweizer Printmedien bis gegen das Ende der 90er Jahre politisch relativ klar (und auch offen) positioniert waren, dass die ideologische Ausrichtung und Konkurrenz einen Teil des Reizes der Schweizer Medienlandschaft ausmachte. Mit anderen Worten: Man musste, um einen Weg zu finden, die Konkurrenzmedien berücksichtigen. Und wenn wir noch etwas weiter zurückdenken in die Hochzeiten des kalten Krieges, dann ist auch die heute so gefürchtete «partisanship», das Entweder/Oder-Denken, keine mediale Neuerscheinung. Was sich verändert hat, sind die deklarierten Interessen. War es einst noch möglich, Verlage politisch zu verorten, Besitzverhältnisse und Interessensteuerung zu definieren, sind die heutigen multinationalen Media-Corporations nur noch selten fassbar. Innerhalb der semi-global dominanten Medien-Aggregatoren Facebook und Google sorgen widersprechende Interessen nicht für Transparenz, sondern für undurchsichtige, parallellaufende, gelenkte «Informations»-Ströme.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ziemlich sicher. Einerseits helfen Phänomene wie «Deep-Fake»-Videos das blinde Vertrauen in bewegte Bilder nachhaltig zu erschüttern. Vor allem aber ist ein geschriebener Text per se personalisiert. Ich bestimme als Leser nicht nur das Lesetempo, sondern eine ganze Reihe weiterer Faktoren. Dabei spielen Gewohnheiten natürlich auch mit. Wenn ich im Web einen Lösungshinweis für ein Soft- oder Hardwareproblem suche, ärgern mich all die YouTube-Video-Anleitungen, die nicht nur Zeit kosten, sondern auch formal selten genügen. Ein kurzer Text in einem Forum dagegen hilft mir bei fast jedem spezifischen Problem innert Minuten weiter.

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Auch innovative News-Formate wie untertitelte Clips und Erklärstücke sind beliebt, nur schon, weil man damit im öffentlichen Raum auch ohne Ton zu den Informationen kommt.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Die Nutzungsbedingungen von Google, Facebook, Apple, Samsung und Microsoft. Hat man aber nicht.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Während ich mir von Berufes wegen auch schlechte Filme so gut wie immer ganz anschaue, geniesse ich es bei Büchern, irgendwann auch einfach aufzuhören damit. Es kommt aber vor, zuletzt bei «The Goldfinch» von Donna Tartt, dass ich mich durchquäle, in der Hoffnung, herauszufinden was das Ding zum Bestseller gemacht hat.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Twitter, im Kino und im Redaktionsalltag von SRF2 Kultur. Ausschlaggebend ist dabei meist die Begeisterung von Kolleginnen oder Kollegen für ein Thema.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

In der Schweiz? So lange sie die Öffentlichkeit mit Subventionen unterstützt, um die ideologische Print-Dominanz einiger weniger Oligarchen nicht einfach hinzunehmen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich mag den Ausdruck überhaupt nicht, weil er aus meiner Warte von der Gegenseite geprägt wurde, von den Verbreitern eben dieser «Fake News», in der Absicht, den Journalismus per se zu diskreditieren. Wenn wir den Begriff als Journalisten perpetuieren, beschleunigen wir diesen Prozess. Gezielte Falschnachrichten, Lügen und Propaganda sind so alt wie die Medien, der Kampf dagegen prägt das klassische journalistische Selbstverständnis.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung hat zunächst, das war unsere grosse Hoffnung Mitte der 90er Jahre, zu einer Demokratisierung und damit Befreiung des Journalismus geführt. Weil aber der gleiche Prozess die wirtschaftliche Grundlage des klassischen Journalismus zerstört hat, dominieren und steuern nun einige wenige Pionier-Konzerne die Informationsströme. Dagegen hilft nur der politische Wille zur Regulierung. Was enorm schwierig aussieht, wenn die Finanzkraft von Google oder Facebook, jene einzelner Staaten dermassen massiv übertrifft. In den USA ist einst die Zerschlagung der Telefonie-Kartelle gelungen oder die erzwungene Trennung der Filmproduzenten von den Kinobetreibern. Die globalisierte wirtschaftliche Entwicklung der letzten dreissig Jahre zielte unter anderem auf die Immunisierung der Konzerne gegen den politischen Willen einzelner Nationen ab. Dagegen könnten nur Staatenverbunde koordiniert ankämpfen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich live in bestimmten Situationen. Nach dem Duschen, in der Küche oder auch beim Autofahren. Fernsehen nutze ich praktisch ausschliesslich on demand, also über die Mediatheken.

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Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre viele Podcasts, vor allem diejenigen unserer eigenen Redaktionen bei SRF. Ein paar Jahre lang hörte ich regelmässig «The Futility Closet» von Gregg Ross, der vor allem historische Absonderlichkeiten aufspürt und nicht im Hamsterrad der täglichen Newsflut herumrennt. Und zur Zeit geniesse ich den «Zündfunk Generator» der Kolleginnen von Bayern 2, ein autorengetriebenes Format auf der Höhe der Zeit, das ich mir liebend gerne zum Vorbild nähme für unsere eigenen Kontext-Sendungen – wenn wir den zeitlichen Aufwand denn noch treiben könnten.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich bin nicht sicher, ob das jemals anders war. In meiner Rekrutenzeit war der «Blick» das einzige Medium der meisten Kollegen. Heute gibt es neben «20 Minuten» doch immerhin noch online Formate wie zum Beispiel «Watson». Und Social Media.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Alles lässt sich automatisieren. Gerade die formale Standardisierung von Online-Texten (auch auf srf.ch) ist ein Schritt in diese Richtung. SEO und Klickoptimierung laufen sich aber schliesslich tot. Wenn die Autorinnen und Autoren verschwinden, schwindet das Vertrauen der Leserinnen und Leser. Und die Lust an der Lektüre.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Wenn die jungen Kolleginnen und Kollegen nicht verhungern auf ihrer Ochsentour von Volontariat zu Volontariat, dann durchaus. Denn auch wenn die online generierten Finanzströme zurzeit noch in die Ferne abgesaugt werden: Irgendwann kommt die Lokalisierung als logischer nächster Schritt wieder. Netflix demonstriert das gerade, wenn auch meist noch nicht so ermutigend.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Telefonnotizen auf Papier. Die ich dann allerdings oft fotografiere und in Evernote ablege. Und Kondolenzbriefe.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

War Aids gut für die Medien? Oder Ebola? Donald Trump ist ein selbsterklärter, offen deklarierter Feind der Medien. Dass er sie auch noch nach Belieben und ohne offensichtlichen Schaden für sich selbst permanent dominiert, ist zumindest gut für den laufenden Selbstfindungsprozess des gehetzten Journalismus.

Wem glaubst Du?

Denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die ihr Bemühen um Aufklärung sichtbar machen und sich über ihre persönliche Subjektivität stets im Klaren sind.

Dein letztes Wort?

Ich glaube, ich habe eh schon wieder zu viele gemacht.


Michael Sennhauser
Geboren 1961. Nach dem Anglistik/Germanistik-Studium an der Uni Basel und ersten Filmkritiken in der «Basellandschaftlichen Zeitung» zunächst selbständiger Filmjournalist für NZZ, «Bündner Tagblatt», «Oltner Tagblatt» und andere. Einzelredaktor der Branchenzeitschrift «Cinébulletin», Filmredaktor bei der «Sonntags-Zeitung», Redaktor «trigon-Magazin», Redaktor und Chefredaktor «FILM» (vormals «Zoom»). Internetrubrik «Netzanschluss» auf DRS3, Filmtipps auf DRS3, seit 2001 als Fachredaktor Film bei SRF2 Kultur.
sennhausersfilmblog.ch


Basel, 29. Januar 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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