Mélanie Honegger: «Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, den Blick zu öffnen»
Das 210. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Mélanie Honegger, Leiterin der Basler Kulturredaktion der «bzBasel». Sie sagt, seit der Coronakrise meide sie die sozialen Medien mehr, «weil sich der Ton verschärft hat». Sie findet es wichtig, «immer wieder etwas anderes» zu lesen: «Ich kenne einige Leute, die aus Prinzip keine ‹Weltwoche›, aber auch keine ‹BaZ› lesen und reflexartig die Nase rümpfen.» Sie hätten ein bestimmtes Bild einer Zeitung, das sich nicht mit ihren Wertvorstellungen decke. «Bei Gelegenheit sollte man unbedingt auch einmal etwas lesen, das man üblicherweise nicht liest.» Sie selbst schaut nach wie vor auch gerne Fernsehen, «besonders an Abstimmungssonntagen, aber auch bei einer Bundesratswahl, einem Fussballspiel oder einem Skirennen.» Honegger mag aber auch «richtig trashige Filme mit Monsterspinnen oder fliegenden Haifischen».
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die «bz», die «BaZ» und das «Basel Briefing» von «Bajour». Meist schaue ich auch beim «Blick» und bei «Watson» vorbei.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Facebook nutze ich nur noch sporadisch, um Klatsch und Tratsch zu erfahren. Auf Instagram verbringe ich viel zu viel Zeit. Twitter meide ich seit längerem, die aggressiven Diskussionen irritieren mich zunehmend.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Nicht gross. Wobei: Vielleicht meide ich die sozialen Medien seither mehr, weil sich der Ton verschärft hat.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Glaubt man den älteren Kolleginnen und Kollegen, gab es tatsächlich einmal goldene Zeiten im Journalismus. Der Lohn war besser und die zeitlichen und finanziellen Ressourcen luxuriös. Dafür arbeiten heute mehr und jüngere Frauen auf der Redaktion, und das Thema psychische Gesundheit gewinnt an Gewicht, was ich sehr begrüsse.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ich hoffe es doch!
Was soll man heute unbedingt lesen?
Immer wieder etwas anderes. Ich kenne einige Leute, die aus Prinzip keine «Weltwoche», aber auch keine «BaZ» lesen und reflexartig die Nase rümpfen. Sie haben ein bestimmtes Bild von einer Zeitung, das sich nicht mit ihren Wertvorstellungen deckt. Das finde ich schade. Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, den Blick zu öffnen. Daher würde ich sagen: Bei Gelegenheit sollte man unbedingt auch einmal etwas lesen, das man üblicherweise nicht liest.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Das kann ich fast zu gut. Ich lege mehr Bücher weg, als ich zu Ende lese – es ist erbärmlich. Aber es ist auch einer der Vorteile, nicht mehr zu studieren. Ich möchte meine Liebe zu Büchern gerne wieder neu entdecken und vermehrt das lesen, was mir wirklich Freude bereitet. Meist sind das Krimis.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Job, im persönlichen Gespräch, auf Social Media, im Tram, bei der Zeitungslektüre, im Kontakt mit den Kindern meines Partners. Eigentlich überall.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Ich wage keine Prognose.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Gefahr. Es ist immer schlimm, wenn du als Journalistin einen Fehler machst, aber es kann leider passieren. Heute kommt rasch der Begriff der Fake News auf, dabei leidet man als Journalistin ja richtig fest in so einer Situation. Da die Balance zu finden zwischen aufrichtiger Entschuldigung und destruktiven Selbstzweifeln ist nicht immer einfach.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio höre ich kaum mehr, aber den TV liebe ich nach wie vor. Besonders an Abstimmungssonntagen, aber auch bei einer Bundesratswahl, einem Fussballspiel oder einem Skirennen. Wir nehmen zu Hause auch regelmässig Filme auf, die im Fernsehen kommen. Manchmal sind es Klassiker, alte Krimis oder Thriller, aber ich mag auch richtig trashige Filme mit Monsterspinnen oder fliegenden Haifischen.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Nein, ich höre keine Podcasts. Wenn ich unterwegs bin, höre ich lieber Musik oder gar nichts.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Dass wir uns nie sicher sein können, wie lange es unsere Jobs noch gibt. Aber ich will niemanden deprimieren, darum sage ich: Dass wir unsere Inhalte vermehrt auch auf ein jüngeres Publikum ausrichten müssen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Vielleicht Teile davon, aber für die gesellschaftliche Einordnung braucht es Menschen. Ich bin auch überzeugt, dass es für guten Journalismus Empathie braucht. Gerade in der Kultur braucht es Interpretation, nicht nur Fakten, darum ist auch jede Kritik subjektiv. Eine automatisierte Theaterkritik stelle ich mir maximal langweilig vor.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch, sie gehört einfach dazu. Wir müssen uns damit arrangieren.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Vermutlich schon, ja, wenn wir eine gewisse Medienvielfalt wollen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, sehr oft – sämtliche Notizen im Theater, an Pressekonferenzen, auch im Büro. Und natürlich Geburtstags- und Weihnachtskarten.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Schlecht.
Wem glaubst Du?
Den wichtigsten Personen in meinem Umfeld.
Dein letztes Wort?
Adieu!
Mélanie Honegger
Mélanie Honegger (29) leitet seit vergangenem Jahr die Basler Kulturredaktion der «bzBasel». Sie studierte in Basel, Paris und Fribourg Germanistik, Französistik und Europastudien. Während der gesamten Studienzeit arbeitete sie als freie Journalistin, ehe sie 2019 bei der «bz» als Stadt-Redaktorin festangestellt wurde. Nach einem Abstecher in die Kommunikation beim Aussendepartement und beim Kanton Basel-Stadt wechselte sie 2021 zurück zur bz.
https://www.bzbasel.ch/
Basel, 4. Januar 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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