Martina Fehr: «Das Vertrauen in die Medien ist vielerorts erodiert»

Publiziert am 23. März 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Martina Fehr, Direktorin des MAZ – Die Schweizer Journalistenschule. Sie sagt, dass es weltumspannend möglich geworden sei, Fake News problemlos zu verbreiten, «das ist unkontrollierbarer und dadurch gefährlicher geworden.» Die Pandemie habe «manches demaskiert und gezeigt, wie wichtig Haltung und Handwerk im Journalismus sind.» Sorgen macht ihr, dass die Medien die Gruppe der 16- bis 29-Jährigen immer schlechter erreicht. Die Medien hätten damit «eine sehr wichtige Gruppe verloren» und müssten «den Weg zu ihnen wieder finden». Sie glaubt, dass es gedruckte Tageszeitungen, «wie wir sie in der Schweiz heute kennen, wohl noch zehn Jahre» gebe. Eigentlich nutzt sie Twitter, ihr Account ist aber derzeit gesperrt, «und der Twitter Support glaubt mir nicht, dass ich ‹ich› bin». 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Drei Gattungen: Zeitungen, Radio und Newsapps. Medien am Morgen, das ist für mich wie Zähneputzen: Ohne geht man nicht aus dem Haus.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Twitter nutze ich – allerdings ist mein Account derzeit gesperrt, und der Twitter Support glaubt mir nicht, dass ich «ich» bin. Zu anderen Social-Media-Kanälen habe ich nie den Draht gefunden. Ich empfinde sie als Zeitfresser.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mein Medienkonsum ist nochmals gestiegen und diverser geworden.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Weder noch. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und ihre Chancen. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Davon bin ich überzeugt. Die Schrift, die Kunst des Schreibens: für mich eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. Sie aufzugeben, kommt nicht in Frage!

Was soll man heute unbedingt lesen?

Fürs Informiert-sein: Faktenbasierte Texte, welche die Geschehnisse wiedergeben.

Für die Meinungsbildung: Recherchierte Texte, die einordnen, analysieren und hinterfragen.

Für die Seele: Berührende Texte, die uns die Fähigkeit erhalten, das Schöne zu erkennen. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Generell lese ich ein Buch bis zum bitteren Ende. Bin seit Kind eine Vielleserin (etwa ein halbes Buch pro Woche). Trotzdem habe ich es nur bei einer Handvoll Bücher nicht geschafft, sie zu Ende zu lesen. 

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Durch Literatur, Gespräche und Radiobeiträge. In Alltagssituationen und auf Reisen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Schwierige Frage. Wie wir sie in der Schweiz heute kennen: wohl noch zehn Jahre. 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Doch Desinformation ist kein neues Phänomen. Schon früher gab es  Bubbles, Eskapismus. Und Nachrichten, die jeglicher Grundlage entbehrten, die nicht überprüft und dennoch verbreitet wurden. Dass es weltumspannend möglich geworden ist, Fake News problemlos zu verbreiten: das ist unkontrollierbarer und dadurch gefährlicher geworden. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Beides nutze ich nach wie vor. Radio mehr als Fernsehen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

True-Crime-Geschichten gefallen mir. Im Moment höre ich keine Podcasts, mir fehlt es derzeit an der notwendigen Konzentrationsfähigkeit.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Dass wir eine sehr wichtige Gruppe verloren haben und den Weg zu ihnen wieder finden müssen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Viele Texte lassen sich generieren – ob ein Mensch oder eine Maschine den Text geschrieben hat, ist nicht zu erkennen, das habe ich selbst feststellen müssen. Aber Journalistinnen und Journalisten werden wir immer brauchen – vor Ort, mit Haltung und gut ausgebildet. Das führt uns gerade der Ukraine-Krieg wieder vor Augen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. An den Tod der Medien glaube ich nicht. Das Bedürfnis, «Geschichten» zu erzählen und zu hören, ist zu tief in uns Menschen verankert.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Sie existiert bereits. Und ja, ich bin überzeugt, dass sie richtig und wichtig ist. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selbstverständlich. Was ich von Hand schreibe, kann ich mir besser merken. Es hilft, meine Gedanken zu sortieren – und nicht zuletzt, die «richtigen» Lebensmittel in den Einkaufskorb zu legen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Das Vertrauen in die Medien ist vielerorts erodiert. Da kann sich auch keine Tageszeitung in den USA über eine gesteigerte Auflage wirklich freuen.

Wem glaubst Du?

Menschen, denen ich vertraue; Menschen, die reflektiert und authentisch sind.

Dein letztes Wort?

Die Pandemie hat manches demaskiert und gezeigt, wie wichtig Haltung und Handwerk im Journalismus sind. Es ist seine Aufgabe, Desinformation zu verhindern, den Diskurs zu retten und auf Augenhöhe und mit Respekt die unterschiedlichen Kräfte und Players mit ihren Aussagen und Absichten zu konfrontieren. Journalismus muss Biss haben, und das bedeutet: Geh auch dorthin, wo es weh tut. Tragen wir dieser Form von Journalismus Sorge!


Martina Fehr
Martina Fehr promovierte an der Universität Zürich in Geschichte, Publizistik und Englische Literatur. Bereits während des Studiums arbeitete sie als Redaktorin beim damaligen Radio Grischa, übernahm nach dem Studium die Redaktionsleitung und später die Programmleitung des Bündner Senders. 2012 baute Fehr beim Verlag Somedia in Chur das Projektmanagement auf und führte die Unternehmensentwicklung. 2015 wurde sie zur Chefredaktorin der «Südostschweiz» ernannt, im Februar 2019 zur Leiterin Publizistik der Medienfamilie Südostschweiz, mit Zeitung, Radio, TV und Online. Seit dem 1. Mai 2020 leitet Fehr das MAZ – Die Schweizer Journalistenschule und seit Juni 2021 ist sie Stiftungsratspräsidentin des Schweizer Presserats.


Basel, 23. März 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Yanik Bürkli.

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3 Kommentare zu "Martina Fehr: «Das Vertrauen in die Medien ist vielerorts erodiert»"

  1. Ob offen und mit brutaler Gewalt, oder ob versteckt und mit struktureller Gewalt: die Welt ist voller Chaos, Krisen und Kriege. Insbesondere inszeniert vom alten Herrschaftsdenken und bewirtschaftet von gross Mächtigen und von schwer Reichen. Das ist krank. In einem solch destruktiven Sinn gehört der Lärm von Medien zum Sound der Angst in den Köpfen von immer mehr Menschen. Wenn sie deshalb Herrschaft akzeptieren oder ihr gar glauben und vertrauen, werden sie ein Teil davon. Ihr Gott ist die Mehrheit. Sie hat immer Recht. Und das auch dann, wenn es nicht für alle und für alles das Richtige ist. Um den Mehrheitskult rein zu halten, werden unliebsame Meinungen und unerwünschte Informationen mit sogenannten Faktenchecks zu «Verschwörungstheorien» oder «Fake News» gestempelt. Auch von vielen Medien werden Realitäten nicht als solche anerkannt, weil und wenn sie die Wahrheit der Herrschaft oder der Mehrheit in Frage stellen. Kognitive Dissonanzen werden vermieden, weil und wenn sie ein anderes Handeln bedingen würden. Um Ängste zu verdrängen, werden Hoffnungen geschürt. Hopium: Hope is Dope! Hoffnungen, die Menschen wie eine Droge dazu dienen sollen, im Schneckenhaus und faul bleiben zu können, sich nicht mit der Realität auseinandersetzen und nichts Mutiges tun zu müssen.

  2. Medienförderung: Sie existiert bereits. Dann ist ja alles OK. Das Medienförderungsgesetz, welches vom Souverän abgelehnt wurde, wäre zu weit gegangen.
    CH-Media: Einweihung Prachtsbau „Leonardo“ in Zürich – clever terminiert nach der Abstimmung.
    Alles vom Feinsten, alles Neu und durchdesignt mit edelsten Materialen von Böden, Wänden, Decken, Möblierung – Kostenpunkt CH-Media Herr Wanner: 20 Millionen! Und zuvor noch Steuergeld betteln gehen…. Rundgang/Einblick
    https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/blick-hinter-die-kulissen-145721117
    Der Krug geht zum Brunnen, bis ………

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