Martin Widmer: «Spannend schreiben ist eine Kunst»

Publiziert am 18. November 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Autor und Historiker Martin Widmer. Er sagt, die Tageszeitung sei ihm zu dünn geworden, er würde deshalb lieber zum «Morgenkaffee eine Stunde in einem spannenden Buch lesen». Obwohl er sich sonst nicht auf Zahlen abstütze, falle in der Coronakrise seine «Stimmung mit dem Anstieg der Zahlen und steigt, wenn sie sinken». Zur Lektüre empfiehlt Widmer Patricia Highsmith: Die englische Meisterin des Suspense rät, «jeden Satz zu streichen, der nicht neugierig auf den nächsten macht.» Widmer findet, das «würde vielen Text guttun, nicht nur Krimis.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Da bin ich etwas ratlos. Früher waren es mehrere Tageszeitungen, dann zwei und jetzt nur noch eine. Aber seit sie immer dünner werden, auch inhaltlich, und ich im «Echo der Zeit» vom Vorabend das Wichtigste schon gehört habe, blättere ich sie schnell durch. Am liebsten würde ich zum Morgenkaffee eine Stunde in einem spannenden Buch lesen. Aber nur selten ich nehme ich mir die Zeit dazu.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Seit zwei Monaten übe ich auf Instagram, um meinen ersten Krimi unter die Leute zu bringen. Da die Originalschauplätze dabei eine wichtige Rolle spielen, könnte sich das Medium eignen. Bilder, nicht Worte spielen die Hauptrolle. Aber eine Story oder ein Post auf Instagram ist noch keine Bildergeschichte.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Obwohl ich mich nicht auf die Zahlen abstütze, fällt meine Stimmung mit dem Anstieg der Zahlen und steigt, wenn sie sinken.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich war in den 1980er Jahren als Journalist in einer kleinen Tageszeitung tätig und konnte grössere Reportagereisen unternehmen. Da hatte man noch Zeit zum Recherchieren vor Ort.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Immer! Aber spannend schreiben ist eine Kunst.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Suspense. Oder wie man einen Thriller schreibt» von Patricia Highsmith. Sie empfiehlt, jeden Satz zu streichen, der nicht neugierig auf den nächsten macht. Tönt simpel, ist aber gar nicht so einfach und würde vielen Text guttun, nicht nur Krimis.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Langweilige Bücher bleiben bei mir liegen. Bis ich sie entsorge, dauert es oft lange.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Immer und überall, ob in Medien oder Gesprächen, unterwegs, im Büro, zu Hause oder am Telefon. Nur im Zug erfahre ich seit ein paar Monaten selten etwas Neues, weil mir mit der Maske das Reden vergangen ist, und auch die anderen oft schweigend dasitzen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Deren Tage sind wahrscheinlich gezählt, wenn ich sehe, wie sie immer dünner werden. Bald besteht die gedruckte Tageszeitung nur noch aus einem Bund. Wie soll man sie dann am Frühstückstisch teilen?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Fernsehen schaue ich nie live. Radio dagegen öfters, im Auto oder zum Kochen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Selten.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Medien ist es ein Armutszeugnis. Für die Gesellschaft ein Zeichen, dass das Gemeinsame an Wert verliert.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Für die Erbsenzähler in den Medienunternehmen lässt sich alles rationalisieren. Nicht aber für die Leser und Leserinnen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung ist per se nicht schlecht.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Für die Meinungsbildung und für eine demokratische Staatsform ist professioneller Journalismus nötig.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. In meiner Agenda, meinem Bullet-Journal, bei Interviews mit Zeitzeugen und in meinen Heften, die ich für meine Buchprojekte führe.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Hoffentlich ist das mit Trump bald vorbei.

Wem glaubst Du?

Ich bin ein gutgläubiger Mensch und glaube vielen, ausser sie haben mich enttäuscht.

Dein letztes Wort?

Am Anfang war das Wort.


Martin Widmer
Martin Widmer arbeitete als Journalist sowie als Historiker für die Basler Museen und für das Laienforschungsprojekt «Grabe wo du stehst». Sieben Jahre war er Co-Verleger bei «Hier und Jetzt», Verlag für Kultur und Geschichte, in Baden. Heute ist er als Autor tätig und hat verschiedene Sachbücher geschrieben. Ende September ist sein erster Krimi erschienen (siehe unten).
www.martinwidmer.ch , auf Instagram mwimwidmer

Der Vermisste vom Vierwaldstättersee

Manche Geheimnisse werfen aus der Vergangenheit heraus tiefe Schatten in die Gegenwart. Im Kriminalroman von Martin Widmer erlebt das Konrad Mattmann, ein Schweizer Skandinavien-Korrespondent auf Heimaturlaub. Gegen seinen Willen verstrickt er sich in seinen Ferien im Tösstal bei Winterthur in die Recherchen zu einem Mordfall. Und wird so in alte Geschichten hineingezogen, die auf verschiedenen Ebenen mit ihm selbst mehr zu tun haben, als ihm lieb ist. Der spannende Krimi von Martin Widmer dreht sich um die Geschichte der Dynamitherstellung in der Schweiz, den Bau des Gotthard-Eisenbahntunnels – und ein schreckliches Geheimnis, das schwer auf den beteiligten Menschen lastet. Auch auf Konrad Mattmann.

Martin Widmer: Der Vermisste vom Vierwaldstättersee. Kriminalroman. Emons Verlag, 208 Seiten, 18.50 Franken; ISBN 978-3-7408-0937-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783740809379

Zu meinem Video-Buchtipp über den Roman geht es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/video-buchtipp/der-vermisste-vom-vierwaldstaettersee/


Bild: Isabelle Schär

Basel, 18. November 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

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