Markus Hofmann: «Die Leitmedien haben an Einfluss eingebüsst»

Publiziert am 3. Juni 2020 von Matthias Zehnder

Markus Hofmann, Produzent «Echo der Zeit», findet, dass die Zersplitterung durch das Digitale zu einem Verlust gemeinsamer Referenzpunkte führt. «Diesen Verlust versuchen die Medien-Marken nun zu kompensieren, indem sie ihre je eigenen Communities aufbauen». Er sagt, der Tod der politischen Medien «wäre dann gekommen, wenn sie nur mehr Konsumentenbedürfnisse befriedigten und es nicht mehr schafften, die für die politischen Bürger notwendigen Informationen zu selektieren sowie Machtkontrolle auszuüben.» Mehr über Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz und über seinen persönlichen Mediengebrauch erzählt Markus Hofmann hier im Fragebogeninterview.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

NZZ auf Papier sowie Radio je nach Bedarf: SRF 2, SRF 4, La Matinale auf RTS 1, Radio Swiss Classic, Radio Swiss Jazz. Oder einfach Ruhe.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter nutze ich, Facebook und Instagram nicht (mehr).

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

An manchen Tagen arbeite ich im Home-Office. Wie für viele andere auch bedeutet das: Videokonferenzen, noch mehr telefonieren als gewöhnlich, grösserer Bedarf an Absprache. Aber insgesamt funktioniert es nicht schlecht. Zu kurz kommen mir aber informelle Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen; da entstehen immer wieder gute Ideen. Zudem pflegen wir im «Echo der Zeit» eine ausgeprägte Teamarbeit; nun sehen wir uns im Studio weniger, was ebenfalls schade ist. Skype-Apéros sind zwar nett, aber halt kein adäquater Ersatz. Inhaltlich müssen wir neben «Corona» wieder mehr eigene Themen zu setzen und uns selbstkritisch mit der bisherigen Pandemie-Berichterstattung auseinandersetzen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wenn mir pensionierte Kollegen von ihrem vergleichsweise ruhigen Arbeitsalltag – keine Mails, keine sozialen Medien, wenige Sitzungen, wenig Management, viele Freiheiten, ausgiebige Mittagessen, Reisen – sowie steigenden Löhnen erzählen, dann kommen nostalgische Gefühle auf. Wenn ich an die Vielfalt journalistischer Themen und Formen sowie die höhere personelle Diversität in den Redaktionen denke, dann ist es heute spannender.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, klar. Die Informationsdichte des Schriftlichen ist noch immer unschlagbar. Und geschriebene Worte gewähren den Leserinnen und Lesern die Freiheit, das Tempo der Informationsaufnahme selbst zu bestimmen.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Journalistinnen und Journalisten lege ich «Scoop» von Evelyn Waugh sowie «Über Schriftstellerei und Stil» von Arthur Schopenhauer ans Herz. Bei Schopenhauer stehen Sätze wie: «Daher nun ist die erste, ja, schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, dass man etwas zu sagen habe: o, damit kommt man weit!» Sonst plädiere ich für die Klassiker: von Homer bis Highsmith, von Aristoteles bis Arendt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Buchhandlungen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Es gibt ja statistische Berechnungen, gemäss denen die die letzte gedruckte Tageszeitung 2033 erscheinen wird. Ich habe keine Ahnung, würde sie aber sehr vermissen. Dass Cafés wegen Corona keine Zeitungen mehr auslegen: ein unmöglicher Zustand.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wir könnten lange darüber diskutieren, was «Fake News» überhaupt sind. Ich definiere sie mal so: bewusst manipulative Falschmeldungen. Fake News zwingen die seriösen Medien dazu, ihre Arbeit noch besser zu erklären und zu belegen. So verstanden sind sie eine Chance. Fake News begriffen als Teil von gegenaufklärerischen Bewegungen, die sich gegen die offene Gesellschaft richten, sind hingegen gefährlich und müssen bekämpft werden. Der neue Spezial-Podcast des «Echo der Zeit» hat dies zum Thema: «Die raffinierte Lüge».

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Beide Medien nutze ich linear. Einer meiner Radios, ein 35 Jahre alter Weltempfänger, funktioniert tadellos und zuverlässiger als DAB. Radio ist das perfekte Begleitmedium: Zur «Samstagsrundschau» (SRF) lässt sich die Küche putzen, zum «Echo der Zeit» Abendessen kochen. Talkshows und andere Unterhaltungsformate wie Fussball, Quiz-Shows oder den Tatort schaue ich linear. Ansonsten bin ich ein Fan von Mediatheken.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Die meisten Podcasts, die ich höre, sind Sendungen aus dem linearen Programm wie «Kontext» (SRF 2) oder «Das philosophische Radio» (WDR 5). Von den neuen Formaten gefällt mir der Fussball-Podcast «Gisler Sykora» (SRF). Auch This Wachter und Beat Fischer höre ich gerne zu, wenn sie im Podcast «Am Wegrand» den Pflanzen nachspüren. Bei den Podcasts im engeren Sinne muss mich das Thema sehr interessieren, damit ich dranbleibe. Der subjektive Zugang geht mir teilweise auf die Nerven. Er lenkt vom Wesentlichen ab. Christoph Grissemann hat es in «Willkommen Österreich» auf ORF schön gesagt: «Gestern habe ich den ganzen Tag meine Mütze gesucht. Ich glaube, ich mache einen Podcast daraus.»

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Medien sollte dies Motivation sein, Nachrichten so aufzubereiten, dass auch Jüngere guten Zugang finden. Aber man muss niemandem Zwang antun; man kann auch ohne News ein glückliches Leben führen. Die fög-Studie besagt auch, dass rund 20 % der «Intensivnutzer» unter 30 Jahre alt sind. Es gibt also durchaus viele Jüngere, die das gegenwärtige Angebot anspricht. Im Übrigen: Rund 55 % der Stimmberechtigten nehmen nicht an Abstimmungen teil. Sind diese deswegen alle «Demokratie-depriviert»? In den letzten Jahren hat die Stimmbeteiligung wieder etwas zugenommen. Vielleicht sieht man etwas Ähnliches bei der Mediennutzung. Wie die Klima- könnte auch die Corona-Krise die Jüngeren politisieren und sie News-affiner machen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Bei einfachen Nachrichten: geschenkt. Aber stell dir eine Reportage vor, von der Leserinnen und Leser nicht sagen können, ob sie von einem Roboter oder von einem Menschen verfasst worden ist. Ein Reporter-Roboter wäre eine weitere Kränkung der Menschheit! Bereits die Postmoderne hatte heftig am Autor als Subjekt gerüttelt. Doch die künstliche Intelligenz könnte sein endgültiges Aus bedeuten. Nähme der Roboter die Hürden von Bewusstsein und Intentionalität, wüsste er also, was und wieso er etwas schreibt, müssten die Menschen ihre Rolle auf Erden ernsthaft überdenken. Die Roboter müssten dann aber auch gehässige Leserbriefe und Beschwerden selbst beantworten.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung hat zu einer starken Ausdifferenzierung der Medien geführt. Für fast alle Interessen und Bedürfnisse gibt es mediale Angebote. Die traditionellen Leitmedien haben an Strahlkraft und Einfluss eingebüsst. Das ist nicht schlecht, es hat den Journalismus ein Stück weit befreit. Die Zersplitterung führt allerdings dazu, dass gemeinsame Referenzpunkte schwieriger zu orten sind: Man muss nicht mehr die «NZZ» und den «Tagi» gelesen oder die «Arena» geschaut haben. Diesen Verlust versuchen die Medien-Marken nun zu kompensieren, indem sie ihre je eigenen Communities aufbauen und so neue Identitätsangebote machen. Wie nachhaltig das ist, muss sich erst zeigen. Der Tod der politischen Medien wäre dann gekommen, wenn sie nur mehr Konsumentenbedürfnisse befriedigten und es nicht mehr schafften, die für die politischen Bürger notwendigen Informationen zu selektieren sowie Machtkontrolle auszuüben. Diese Aufgabe, finde ich, ist noch nicht an ihr Ende gekommen, im Gegenteil.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, die Zahlungsbereitschaft ist durchaus noch da, wie etwa die «No Billag»-Abstimmung gezeigt hat. Auch neue Medien finden zahlende Kunden und Mäzene. Bei den Finanzierungsmodellen werden sich die Medien ohnehin sehr innovativ zeigen müssen, um gegen monopolistisch agierende Internetriesen zu bestehen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich habe immer ein Schreibheft dabei für Notizen. Auch Radio-Manuskripte redigiere ich am liebsten auf Papier.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Eine schwierige Frage. Wir werden das erst in ein paar Jahren beurteilen können.

Wem glaubst Du?

Menschen, denen ich vertraue.

Dein letztes Wort?

Das war’s.


Markus Hofmann
Markus Hofmann, geboren 1969 in Zürich und dort aufgewachsen, Studium der Rechtswissenschaften und Angewandten Ethik, nach der Promotion verschiedene journalistische Praktika, Mitarbeiter der NZZ-Chefredaktion, Inlandredaktor NZZ, jetzt Produzent und stellvertretender Redaktionsleiter «Echo der Zeit», Radio SRF. Seine Leidenschaft für alles Biologische und insbesondere Ornithologische lebt er beim Online-Magazin «Flugbegleiter– die Naturjournalisten» aus, das Teil der «Riffreporter» ist.
www.umweltblog.ch


Basel, 3. Juni 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Markus Hofmann: «Die Leitmedien haben an Einfluss eingebüsst»"

  1. «Die Leitmedien haben an Einfluss eingebüsst»
    Ja, die Zeit der Leithammel, denen alle hintennach wetzten, ist vorbei. Die Gesellschaft ist individueller geworden. Auch die Zeit der „Leitartikel“ in den Zeitungen ist vorbei. Früher Ausdruck von wichtig, reibe ich mir heute die Augen, was z.B. bei der BZ oder der BaZ alles unter Leitartikel läuft: Unwichtiges Geschreibsel, und dies nicht unbedingt vom Chefredaktor, sondern von irgendwelchen Redaktoren per Zufallsgenerator.
    Die Zeit der Leitartikel, Leitmedien, Leithammel ist vorbei. Und die Meiden mutieren vom Leit- zum Leid.

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