Mark Livingston: «Der Zwang zur Innovation ist nicht nur schlecht»

Publiziert am 6. Mai 2020 von Matthias Zehnder

Mark Livingston leitet SRF News, die Online-Informationen von SRF. Im Fragebogeninterview sagt er, wie er selbst Medien nutzt und was er über die Medien in der Schweiz denkt. Livingston erklärt, die Digitalisierung ermögliche zwar eine neue Art von Journalismus, «doch bleibt die Abhängigkeit vom Markt». In der Schweiz fehle die Medienvielfalt heute weitgehend. «Doch Vielfalt bedeutete nicht automatisch mehr gelebte Konkurrenz und dadurch bessere Inhalte.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«HeuteMorgen» am Radio, «NZZ» und «Bund» als e-Paper, die Morgen-Newsletter von «Quartz» und «Spiegel» und natürlich die SRF News-App. Weniger zum Frühstück als zur Frühmorgenzugfahrt von Bern nach Zürich.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich checke diese Kanäle täglich und interessiere mich für neue Spielereien, aber mein persönliches Glück ist nicht davon abhängig.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Weil das Corona-Virus Veränderungen quer durch alle Lebensbereiche mit sich bringt und die Userinnen und Zuschauer sehr unmittelbar persönlich betrifft, sind wir im Newsroom täglich noch stärker gefordert, nicht nur die relevanten Informationen ans Publikum zu bringen, sondern auch laufend die richtigen Fragen zu stellen (und natürlich Antworten darauf zu finden). Kommt dazu, dass wir möglichst viele Mitarbeitende im Homeoffice arbeiten lassen möchten. Das hat die täglichen Absprachen etwas verkompliziert. Gleichzeitig wissen wir, dass unsere Arbeit so gefragt ist wie nie. Das motiviert.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Die Medienvielfalt fehlt heute weitgehend. Hier hat die Schweiz klar etwas verloren. Doch Vielfalt bedeutete nicht automatisch mehr gelebte Konkurrenz und dadurch bessere Inhalte. Der Zwang zu Innovation, der heute in den Medien vorherrscht, ist diesbezüglich nicht nur schlecht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Das geschriebene Wort ist die wohl effizienteste Form der Informationsvermittlung und wird daher Bestand haben.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Möglichst viel von Don DeLillo (v.a. «Underworld»), weil grossartig geschrieben und erfrischend irritierend, mindestens die ersten drei Teile von «A la recherche du temps perdu» von Marcel Proust, um die Zeit mal so richtig zu verlangsamen – und ein Must für Züri-Fans: «Alles in allem» von Kurt Guggenheim, ein mit feinen Strichen gezeichnetes historisches Wimmelbild der Stadt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Schlechte Bücher muss man weglegen. Es gibt genügend gute 🙂

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Zum Teil beim Scrollen durch diverse Medien im In- und Ausland. Sehr oft aber im Gespräch mit anderen Menschen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch 30 Jahre (2050 wäre doch eine gute runde Zahl!). Aber ich glaube schon, dass die gedruckte Zeitung schon bald vor allem ein Liebhaberobjekt sein wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Insgesamt sehe ich sie als Gefahr, weil Fake News fast immer aufregender sind als echte News, welche in der Regel auf einer kontinuierlichen Entwicklung fussen und daher selten total überraschend daherkommen. Darum gehen Fake News viel schneller viral. Mit Faktenchecks u.ä. gegen diese Dynamik erfolgreich antreten zu wollen, ist folglich hartes Brot.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live-Radio höre ich nur zum Aufstehen. Ansonsten nutze ich eifrig die on-demand-Möglichkeiten, die sich heute (zum Glück!) bieten.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, bei langweiligen Tätigkeiten z.B. während des Bügelns oder beim Wässern des Gartens. Ich höre querbeet – regelmässig einzig den «Wired»-Podcast und unsere SRF-Info-Podcasts («Hotspot», «Einfach Politik») und zurzeit natürlich das Coronavirus-Update mit Christian Drosten.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das bedeutet, dass wir als Medien umso mehr gefordert sind, kreative Wege zu finden, wie wir auch mit relevanten Informationen in den Alltag dieser jungen Gruppe gelangen können und auf unterhaltsame Art und Weise aufzuzeigen, welche Auswirkungen dies oder jenes Thema ganz konkret auf sie oder ihn hat.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Im Bereich der reinen Resultatevermittlung (sei das im Sport, in Teilen der Wirtschaftsberichterstattung, bei Abstimmungen und Wahlen) existiert dafür ein grosses Potenzial und es wird ja zum Teil auch schon genutzt. Sobald es jedoch um Analyse und Einbettung geht, wird es den denkenden und schreibenden Menschen noch eine ganze Weile brauchen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Die Digitalisierung ermöglicht zwar eine neue Art von Journalismus – losgelöst von fixen Publikationszeitpunkten und vor allem auf Augenhöhe und im direkten Austausch mit dem Publikum. Doch bleibt die Abhängigkeit vom Markt. «Alte Medien» wie Zeitungen, Radio und Fernsehen haben sicher eine bessere Perspektive, wenn sie sich zumindest Teile dieses neuen journalistischen Selbstverständnisses zu eigen machen. Aber ganz verschwinden werden sie kaum.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Aber der Kuchen wird kleiner – während gleichzeitig die Anforderungen an die Journalisten steigen. Digitale Skills werden zum Must für jede und jeden.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, auf Post-its in Workshops und den Einkaufszettel. Lesen kann das allerdings nur ich.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er bringt den Medien viele Klicks, was sich letztlich wirtschaftlich auszahlt. Gleichzeitig können seriöse Medien mit einem differenzierten Umgang mit Trump beweisen, wie bitter nötig sie mit ihrer Einordnungsleistung sind.

Wem glaubst Du?

Dem Mann im Mond. Ansonsten bin ich eher skeptisch veranlagt.

Dein letztes Wort?

«Das haben wir immer schon so gemacht» gehört auf den Index, nicht nur im Journalismus!


Mark Livingston
Mark Livingston (*1971) wuchs im Kanton Zug auf, studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich, arbeitete zunächst als freier Journalist und Ausstellungsmacher, bevor er als Wissenschaftsredaktor beim Schweizer Radio SRF einstieg. Später leitete er die Primetime-Sendungen «Rendez-vous» und «Tagesgespräch», bis er vor vier Jahren die operative Führung von SRF News (die Online-Informationen von SRF) übernahm. Seit Ende 2018 ist er zudem im Turnus Leiter des TV/Online-Newsrooms im Leutschenbach.
https://www.srf.ch/news/


Basel, 6. Mai 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» und einen Sachbuchtipp. Einfach hier klicken. Videos dazu gibt es auf meinem Youtube-Kanal.

 

3 Kommentare zu "Mark Livingston: «Der Zwang zur Innovation ist nicht nur schlecht»"

  1. Bei Medien scheint es betreffend Vielfalt ähnlich wie bei der Digitalisierung. Sie beansprucht und trainiert nur ein eingeschränktes Spektrum von Wahrnehmungsfähigkeiten. Das kann einerseits zu einer „Einfaltisierung“ der Wahrnehmung führen, und anderseits sehr ermüdend sein. Für Menschen mit Autismus soll eine digital basierte Kommunkation ein Vorteil sein, weil Vielfalt für sie tendenziell eine Überforderung bedeuten kann.

  2. Zum professionellen Journalismus sagt Herr Livingston: „Der Kuchen wird kleiner – während gleichzeitig die Anforderungen an die Journalisten steigen.“ Durchaus recht hat er, der Mann.
    Vielleicht ist es eine Alterserscheinung, aber mich (und einige mehr) dünkt, dass früher exakter, genauer, vielfältiger und wortreicher, überlegter usw. der Beruf des Journalisten ausgeführt wurde. (Natürlich hatte man damals auch noch mehr Zeit und mehr Ressourcen., Geld und Personal.) Manchmal muss man die Journalistenarbeit heute durchaus hinterfragen: In der neusten Ausgabe der Coop-„Zeitung“ steht der Chefredaktor vor einem Rätsel: Wegen des „Daheimbeleiben“-Appells druckte die Coop-„Zeitung“ über mehrere Seiten Rätsel und Knobelseiten ab. Das Feedback war, so der Chefredaktor, ein noch nie Dagewesenes, ein Überwältigendes. Noch nie bekam die „Redaktion“ so viele Briefe, Mails, Dankesschreiben für die tollen Rätselseiten. Nun rätselt die „Redaktion“ selbst, warum ihre journalistischen Seiten zuvor kaum auf Echo stiessen, wenn man jedoch zum simpeln Kopierer greift und Kreuzworträtsel abdruckt, die Leserschaft begeistert ausflippt.
    Das muss der Coop-„Journalisten“-Crew doch sehr zu rätseln, bzw. zu denken geben.
    Fast wie bei „Des Kaisers neue Kleider“…..

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