Mark Eisenegger: «Fake-News haben vielen Menschen die Augen geöffnet»

Publiziert am 4. November 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Kommunikationswissenschaftler Mark Eisenegger. Er sagt, viele Menschen hätten mittlerweile gemerkt, «dass wir journalistische Medien brauchen, die sich an journalistischen Standards orientieren und im digitalen Netz Desinformation aufdecken können.» Menschen, die kaum Nachrichten konsumieren, lebten in einer «emotionaleren und bedrohlicheren Medienwelt». Diese Menschen «konsumieren mehr Softnews, nehmen aber auch Katastrophen, Unglücke, Terroranschläge intensiver wahr.» Das grosse Problem für den Journalismus, sei nicht die Digitalisierung, sondern die «Vormachtstellung der globalen Tech-Plattformen». Sie würden den Journalismus weiter stark bedrängen. «Gleichzeitig wächst aber die Einsicht, dass wir den Journalismus dringend brauchen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Den Tag beginne ich mit den neuesten Twitter-Meldungen und den Push-Meldungen der Medien, die ich abonniert habe. Zum Frühstück höre ich meistens Radio: SRF Nachrichten und danach meistens den Podcast vom «Echo der Zeit». Ich habe zudem verschiedene Newsletter abonniert, unter anderem NiemanLab, Casey Newton oder auch jenen der «Medienwoche». Zeitungen wie die «NZZ» oder die «WoZ» lese ich dann meistens am Mittag.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter nutze ich intensiv. Da hole ich mir wichtige Inputs, welche medienkritischen und medienpolitischen Diskussionen gerade laufen. Mittlerweile nutzen auch die meisten meiner Wissenschafts-Kolleginnen und Kollegen Twitter, um auf neue Studien aufmerksam zu machen. Auch deshalb ist das eine wichtige Plattform für mich. Facebook nutze ich nur passiv. Auch mal, um in bestimmte «Blasen» abzutauchen, wie zum Beispiel solche zur Corona-Thematik. Auf Instagram bin ich nur sporadisch.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe mich noch mehr für das Thema Verschwörungstheorien zu interessieren begonnen. Mit Corona erhalten diese auch in der Schweiz Rückenwind. Da betreibe ich gerne auch mal Mini-Forschung und versuche in gewisse Medienwelten einzutauchen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Leider fehlen uns dazu verlässliche Langzeitdaten über die letzten 30 oder 40 Jahre. Früher war sicher nicht alles besser. Aber im «Golden Age» des Journalismus in den 1980er und 1990er Jahren war sicher einiges noch mehr im Lot: Eine geringere Medienkonzentration, eine bessere wirtschaftliche Basis für den Journalismus unter anderem durch das Fehlen der globalen Tech-Plattformen, die dem Journalismus heute das Wasser abgraben.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall! Aber die Gruppe der entsprechend Affinen dürfte sich im niedrigen zweistelligen Prozentbereich einpendeln.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Unser Jahrbuch Qualität der Medien 😉

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

In meinem Bücherregal stehen sicher mehr Bücher, die ich nicht zu Ende gelesen habe, als andere.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von klugen Kolleginnen und Kollegen. Und indem ich immer noch, wie früher, durch verschiedene Zeitungen blättere, von vorne nach hinten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Lange. Sie werden sich aber zu einem teuren Statusgut entwickeln, das nur noch von einer kleinen Informationselite genutzt wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eher eine Chance. Fake-News haben vielen Menschen die Augen geöffnet, dass wir journalistische Medien brauchen, die sich an journalistischen Standards orientieren und im digitalen Netz Desinformation aufdecken können.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Nutze ich deutlich weniger als früher. Live verfolge ich zum Beispiel noch ein Fussball-Spiel. Selbst die Tagesschau oder «10 vor 10» schaue ich meistens zeitversetzt. Mein Medienkonsum läuft heute sehr viel stärker asynchron.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, verschiedene: «Echo der Zeit», «BBC Global News», «News Plus», «NZZ Akzent». Mein Lieblings Podcast zurzeit ist «Adept English».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Vom Newsinteresse hängen verschiedene wichtige Dinge ab: Das Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen oder das für die demokratische Teilhabe notwenige Wissen. Wir wissen auch, dass Menschen, die kaum oder nur unterdurchschnittlich News nutzen, auch in einer emotionaleren und bedrohlicheren Medienwelt leben. Sie konsumieren mehr Softnews, nehmen aber auch Katastrophen, Unglücke, Terroranschläge etc. intensiver wahr. Insofern ist die News-Deprivation natürlich ein besorgniserregender Befund. Allerdings macht unsere Forschung dazu auch Hoffnung. Die News-Deprivierten sind für den Journalismus keineswegs verloren. Die Kunst ist, sie richtig anzusprechen und zu aktivieren.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Sicherlich nicht jener Journalismus, für den Menschen bereit sind, zu bezahlen. Roboterjournalismus schafft auch keinen Wiedererkennungswert. Genau das ist aber für den Journalismus und seine Überlebensfähigkeit essenziell. Gute Geschichten mit Haftwert werden stets von klugen Köpfen geschrieben werden, nicht von Robotern.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zu beidem nicht. Die Vormachtstellung der globalen Tech-Plattformen wird den Journalismus weiter stark bedrängen. Gleichzeitig wächst aber die Einsicht, dass wir den Journalismus dringend brauchen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Im Zeitalter der Tech-Plattformen, der Desinformation und des Hate Speech umso mehr.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Selten, und wenn, dann mit dem digitalen Stift auf meinem Notepad.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Beides: Er fördert Klicks, aber auch eine übertriebene Aufmerksamkeitskonzentration auf seine Person.

Wem glaubst Du?

Der Wahrheit.

Dein letztes Wort?

Nicht hier und nicht jetzt. Es sollen noch viele Wörter hinzukommen, hoffentlich gescheite und anregende.


Mark Eisenegger
Mark Eisenegger ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Zürich. Er ist zudem Leiter des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög), welches das Jahrbuch Qualität der Medien und verschiedene Studien zum Wandel der Schweizer Medienöffentlichkeit publiziert. Er hat in Zürich Publizistikwissenschaft, Soziologie und Informatik studiert.
https://www.foeg.uzh.ch/de.html

Jahrbuch Qualität der Medien

Seit 2010 untersucht das fög die Entwicklung des Schweizer Mediensystems. Die neuste Ausgabe des Jahrbuchs zeigt für den Journalismus einerseits mehrere positive Befunde: mehr Interesse an und mehr Nutzung von professionellen Informationsangeboten, zeitweise auch bei jungen Menschen, die ansonsten weniger newsaffin sind, oder auch relativ gute Leistungen in der Berichterstattungsqualität. Andererseits aber zeigt sich in aller Deutlichkeit die prekäre finanzielle Lage des Informationsjournalismus in der Schweiz. Zwar haben viele Medien digitale Nutzer zugelegt. Die Mehreinnahmen dank digitaler Nutzer haben jedoch den Einbruch bei den Werbeeinnahmen während der Corona-Krise auch nicht nur annähernd kompensiert. Eine der Studien des Jahrbuchs beschäftigt sich vertieft mit dem Wissenschaftsjournalismus, dem in der Coronakrise eine besondere Bedeutung zukommt. Der Wissenschaftsjournalismus kämpft mit schwindenden Ressourcen. Eine Folge davon: Abgesehen von SRF ist kaum ein Medium noch dazu in der Lage, Wissensthemen selber einzuschätzen. Die meisten Medien sind auf externe Experten angewiesen. Die aktuelle Ausgabe des Jahrbuchs gibt es hier als PDF.


Basel, 4. November 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: http://www.matthiaszehnder.ch/abo/

2 Kommentare zu "Mark Eisenegger: «Fake-News haben vielen Menschen die Augen geöffnet»"

  1. Solcherart Fragen, wie sie hier diskutiert werden, scheinen mir nicht wirklich brennend. Was zurzeit Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft mit Corona inszenieren, finde ich schockierend. Von der Angstmacherei lasse ich mich nicht infizieren: Sie scheint mir viel schädlicher als das Virus selber. Immer deutlicher stellt sich für mich die Frage, ob wirklich Viren das Problem sind? Corona bringt viele Immer-noch-mehr-Ballone zum Platzen. Das gilt auch für die Medien. Immer noch mehr: Das geht für viele nicht mehr. Weniger: Das können und wollen viele nicht. Aber sie müssen. Immer noch mehr können sich nur noch wenige leisten. Das ist das Problem. Und nicht Corona!

  2. In der Einleitung heisst es: «Gleichzeitig wächst aber die Einsicht, dass wir DEN Journalismus dringend brauchen.» Da bin ich ganz bei Mark Eisenegger und sicher auch bei Matthias Zehnder.
    Den Journalismus. Doch welchen? Früher war die Information und die eigene Meinung klar getrennt in den Zeitungen. Die Basler Stadtlegende „-minu“, welcher schon bei der ehem. National-Zeitung schrieb, lernte dies in seinen ersten Stunden. Neutral und sachlich berichten – und im Kommentar – welcher meist von den erfahrenen Redaktoren geschrieben werden durfte, die eigene Meinung äussern.
    „Heute wird alles gemixt wie im Wäschetrockner“ – so in etwa äusserte sich „-minu“ in der „BaZ-Jubiläumsbeilage“ vor einiger Zeit.
    Ich finde, er hat recht. Heute, so empfinde ich es, ist der Antrieb vieler Journalisten den Lesern die eigene Sicht der Dinge aufzuhalsen. Zu bekehren. Der Computer und das „WWW“ machen alles möglich, denn zu Allem und Jedem lässt sich etwas finden, das einem in den Kram, resp. in die Story passt.
    Früher, mit rumtelefonieren und selbst Fakten sammeln, war die Versuchung nicht so gross, empfinde ich.
    Und früher gabs Folgendes (über wer und wen auch immer!) NICHT –
    doch heutige Journalisten schreiben z.B. über US-Präsident D. Trump seit er im Amt war:
    – halbstarker Narzisst (Neue Zürcher Zeitung)
    – seifiger Entertainer (Basler Zeitung)#
    – Sexist (Schweizer Radio)
    – grinsender Clown (Südostschweiz)
    – Prolet (Berner Zeitung)
    – Faschist (Der Spiegel)
    – durchgeknallter Idiot (Die Zeit)
    – irrer Rassist (Blick)
    – Psychopath (Tages -Anzeiger)
    (Quelle: Zusammengetragen in der Ausgabe 45/2020 von der „Weltwoche“).
    Mir fehlen die Worte! Solches Vokabular kommt bei mir nicht vor!
    „DEN Journalismus“ – da muss sich wirklich noch viel (zum Guten) ändern.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.