Marius Egger: «Entscheidend ist, welche Art von Journalismus in Zukunft finanzierbar ist.»

Publiziert am 24. Januar 2024 von Matthias Zehnder

Das 265. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marius Egger, der nach zehn Jahren «watson» jetzt zu «BlueNews» wechselt. Er sagt, die jungen Erwachsenen «lesen gemäss fög sieben Minuten News am Tag. Ich habe als 16-Jähriger nicht unbedingt so viel Zeit in den News-Konsum gesteckt.» Das Problem sei halt, dass «das Angebot und damit die Konkurrenz einfach sehr gross geworden» seien. «Einmal wischen und weg bist du. Das macht es nicht unbedingt einfacher, die Aufmerksamkeit dieser Zielgruppe zu gewinnen.» Früher war das einfacher, da waren «Zeitungen Gelddruckmaschinen. Das kenne ich leider nur vom Hörensagen.» Der Druck sei sicher grösser geworden, «das spürt man auch als Journalist». Dafür habe man heute «viel mehr Möglichkeiten durch technologische Entwicklungen». Donald Trump habe zwar gute Quoten gebracht, in der Gesellschaft aber «den Begriff ‹alternative Fakten› derart strapaziert, dass eine wachsende Zahl an Menschen an der Glaubwürdigkeit selbst etablierter Medienmarken zweifeln.» Egger ist deshalb überzeugt, dass eine funktionierende Demokratie wie die Schweiz «nicht auf vielfältigen und guten Journalismus verzichten kann».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Noch im Bett checke ich erst «watson» und dann weitere News-Apps («Blick», «20 Min», «BlueNews»), vor dem Duschen meistens den «Tagi» und SRF und im Büro NZZ und internationale Newswebseiten. Alles ohne Frühstück allerdings.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Twitter respektive X nutze ich fast nur noch zur Recherche, Instagram für den Zeitvertreib und auf YouTube schaue ich regelmässig bei den Arte-Dokus rein. Bei Facebook habe ich kürzlich festgestellt, dass ich mein Login nicht mehr weiss.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich habe 2002 bei einer regionalen Wochenzeitung als Praktikant angefangen. Ich habe für jede Story Leute getroffen, weil wir auch Bilder brauchten und wir die selber machen mussten. Zudem hatte ich Deadlines! Im Online-Journalismus ist zwar vieles viel schneller geworden, aber klassische Deadlines hatte ich schon lange nicht mehr.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Früher waren Zeitungen Gelddruckmaschinen. Das kenne ich leider nur vom Hörensagen. Der Druck ist sicher grösser geworden, das spürt man auch als Journalist. Dafür hat man heute viel mehr Möglichkeiten durch technologische Entwicklungen. Das hat vieles auch vereinfacht und interessanter gemacht.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall. Die Frage ist, wie oft sie noch gedruckt werden.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich mag gute Texte, die mir einen neuen Aspekt aufzeigen. Und die kann man überall finden. Von der «Zeit» bis zu einer News-App.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege derzeit leider sowohl schlechte als auch gute Bücher zu oft weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Erstaunlich viel über Instagram. Aber das meiste in Gesprächen mit realen Personen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das wurde ich vor 12 Jahren auch schon gefragt. Damals sagte ich glaubs: 10 Jahre. Deshalb ziehe ich jetzt den Joker.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News halte ich grundsätzlich für keine gute Erfindung. In Zeiten von Algorithmen und Social-Media ist die Gefahr viel grösser als früher, in einer Bubble ohne vernünftiges Korrektiv zu landen. Das wiederum kann die Chance der Medien sein: Mit gutem Journalismus die Glaubwürdigkeit stärken, die seit Trump und Corona gelitten hat.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich gehöre tatsächlich noch zur raren Spezie, die sich ab und zu mal durch TV-Sender zappt. Tendenz aber auch bei mir abnehmend.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Tatsächlich nur sporadisch. Mein Arbeitsweg beträgt 30 Sekunden, das könnte eine Rolle spielen. Den Podcast über den Aufstieg und Fall von Mesut Özil «SchwarzRotGold» kann ich aber empfehlen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Die jungen Erwachsenen lesen gemäss fög sieben Minuten News am Tag. Ich habe als 16-Jähriger nicht unbedingt so viel Zeit in den News-Konsum gesteckt. Die Jungen interessieren sich also durchaus für das Weltgeschehen. Sie engagieren sich ja auch in politischen Debatten wie beim Klimawandel. Das Angebot und damit die Konkurrenz sind einfach sehr gross geworden. Einmal wischen und weg bist du. Das macht es nicht unbedingt einfacher, die Aufmerksamkeit dieser Zielgruppe zu gewinnen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das passiert heute schon und wir sind erst am Anfang. Aber eine Maschine, die heute schon lügen kann, um an ihr Ziel zu gelangen, kann sicher auch diese Frage von Pietro Supino beantworten. Ich habe ChatGPT gefragt, das ist ihre (verkürzte) Antwort:

«In Bezug auf die Prognose von Pietro Supino, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im ‹Tages-Anzeiger› von Robotern geschrieben werden, hängt dies von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der technologischen Entwicklung und der Strategie der Zeitung. Es ist durchaus möglich, dass automatisierte Inhalte einen größeren Anteil an der Berichterstattung ausmachen könnten, aber die menschliche Beteiligung wird voraussichtlich weiterhin entscheidend sein.»

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder das eine noch das andere. Die Digitalisierung ist ja schon länger in Gange und sie hat sehr viel Gutes gebracht. Entscheidend ist, welche Art von Journalismus in Zukunft noch finanzierbar ist. Aber da ich überzeugt bin, dass eine funktionierende Demokratie nicht auf vielfältigen und guten Journalismus verzichten kann, wird er in der Schweiz auch nicht untergehen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Den Einkaufszettel. Und Sitzungsnotizen. Entziffern können meine Schrift aber immer weniger!

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Für die Klicks und die Einschaltquoten war er Gold wert. In der Gesellschaft hat er den Begriff «alternative Fakten» derart strapaziert, dass eine wachsende Zahl an Menschen an der Glaubwürdigkeit selbst etablierter Medienmarken zweifeln. Das war nicht die beste Entwicklung.

Wem glaubst Du?

Meinen Töchtern, wenn sie sagen, dass sie Süssigkeiten lieben.

Dein letztes Wort?

Hoffentlich noch länger nicht.


Marius Egger
Marius Egger (47) gehörte zum Gründungsteam von «watson» und war dort zehn Jahre in der Chefredaktion und in verschiedenen Rollen tätig. Seine ersten Erfahrungen im Journalismus machte er bei verschiedenen Printtiteln, ehe er 2007 zu 20 Minuten ins Online-Team wechselte. Bei den Digitalmedien blieb er hängen. Ab April wird er Head of Distribution bei BlueNews.


Basel, 24. Januar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Marius Egger: «Entscheidend ist, welche Art von Journalismus in Zukunft finanzierbar ist.»"

  1. „Watson“ nahm ich immer als gesellschaftlich und politisch engagiert war (welcher Ausrichtung = soll jetzt hier keine Rolle spielen).
    „Blue News“ (Plattform von Swisscom), auch Blue Zoom, darin enthalten Talkshow von Ex-Model Claudia Lässer mit Stars und Sternchen oder die Talkshow von R. Schawinski – aber nur für (sehr) kurze Zeit – empfinde ich eher oberflächlich und mehr auf Glanz und Glamour sowie natürlich sehr sportlastig (Steffi Bucheli – jetzt auch schon wieder weg). Findet sich darin ein so pointierter Journalist wohl? Ich hoffe es. Positiv ist, dass BlueTV oft ein Sprungbrett Weiteres, für „was ganz Grosses“ war….

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