Marina Bolzli: «Ich habe mir einen Digital Detox verschrieben»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marina Bolzli, Journalistin und Präsidentin des Vereins für Berner Medienvielfalt. In der ersten Phase der Pandemie hatte sie eine Phase, in der sie «zum News-Junkie wurde, der mehrmals am Tag alle Newsfeeds durchscrollte». Jetzt habe sie sich eine digitale Entwöhnungskur verschrieben. Sie sagt, die Medien müssten stärker «relevante von irrelevanten Inhalten trennen.» Unsere Gesellschaft müsse «mehr in politische Bildung investieren, und zwar schon in den obligatorischen Schulen». Bolzli sieht für professionellen Journalismus in der Schweiz nur eine Zukunft, wenn «alternative Finanzierungsmodelle gefunden werden». Es brauche eine Mischung aus Leserfinanzierung, staatlicher Unterstützung, Stiftungsfinanzierung und Mäzenatentum.
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Beim Frühstück bin ich meistens damit beschäftigt, die Kinder für die Schule parat zu machen. Erst nachher scrolle ich durch die Apps von «BZ» und «Bund» und lese manchmal den Newsletter der Republik.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Ich habe mir vor ein paar Monaten eine Digitalkur verschrieben. Meinen Facebook-Account habe ich ganz gelöscht, ebenso die Handy-Apps von Instagram und Twitter. Seither verfolge ich nur noch Twitter auf dem Laptop. Dieser Schritt war befreiend.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Ich hatte eine Phase, in der ich zum News-Junkie wurde, der mehrmals am Tag alle Newsfeeds durchscrollte und jeden Tag auf die neusten Zahlen und Hiobsbotschaften wartete. Aber nun ist eben Phase 2: Digital Detox.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Es war anders. Und weil ich nostalgisch bin, denke ich häufig mit Wehmut an frühere Zeiten zurück. Was ich aber sicher weiss: Der Zeit- und Performancedruck war damals nicht so stark. Oder ich habe ihn nicht so stark gespürt.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Unbedingt. Und wenn ich beobachte, wie meine 8-jährige Tochter gierig jeden Buchstaben in sich aufsaugt und jetzt schon Texte in Zeitschriften und Zeitungen liest, dann weiss ich: Sorgfältig geschriebene, relevante Worte sind auch in Zukunft wichtig.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Ich habe letzthin den Roman «Tage mit Felice» des Tessiner Autors Fabio Andina gelesen. Das Buch spielt im Blenio-Tal und ist sehr inspirierend mit der Ruhe und der Naturverbundenheit, die es ausstrahlt. Es zeigt mir, dass es Wichtigeres gibt im Leben als Karriere und Geld. Ich muss nur an dieses Buch zurückdenken, und schon weiss ich wieder klarer, was ich im Leben will.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich lese viele Bücher nicht zu Ende. Leider lege ich sie nicht ganz weg, sondern staple sie neben meinem Bett. Der Turm ist momentan fast meterhoch.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Lustigerweise auf Twitter. Aber ich erfahre dort auch viele Dinge, bei denen ich manchmal vergesse, dass sie mich nicht interessieren.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Die Pessimistin in mir sagt: 20 Jahre.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Ich sehe nichts Gutes in Fake News. Im Idealfall führt ihre blosse Existenz aber dazu, dass Redaktionen sich zweimal überlegen, wie zugespitzt sie eine Geschichte erzählen und antiteln.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
«Regionaljournal» und «Echo der Zeit» höre ich oft linear. Lineares Fernsehen schaue ich nie. Was ich aber regelmässig schaue, sind Gartenkanäle auf YouTube.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich möchte viel mehr Podcasts hören, komme aber oft nicht dazu.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Es bedeutet, dass wir als Gesellschaft mehr in politische Bildung investieren sollten. Und zwar schon in den obligatorischen Schulen, aber auch während weiterführenden Schulen und Berufsausbildungen. Und die Medien sollten sich bemühen, relevante von irrelevanten Inhalten zu trennen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ja, er lässt sich automatisieren, wenn es darum geht, Daten abzusaugen bei Sportresultaten oder Abstimmungen. Interpretationen und Einordnungen können aber nur von Menschen gemacht werden. Ebenso wie Interviews und Porträts, bei denen es immer ein Gegenüber braucht.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Ich hoffe, sie führt zur Befreiung des Journalismus, indem immer mehr innovative und relevante Online-Zeitungen entstehen können, die die Lücken, welche die grossen Verlage mittlerweile kalkuliert ausheben, füllen können.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Ja, aber die Voraussetzung ist, dass alternative Finanzierungsmodelle gefunden werden. Denn rein durch Werbung lässt sich Journalismus nicht mehr finanzieren. Es braucht eine Mischung aus Abonnent:innen und Gönner:innen, staatlicher Unterstützung, Stiftungsfinanzierung und Mäzenatentum.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Bei Porträts und Reportagen schreibe ich eigentlich immer von Hand. Auch Notizen während Sitzungen mache ich von Hand.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ich habe eine Fixierung auf Trump festgestellt. Sie wurde von den Medien noch befeuert. Aber Medien und Menschen sollten das aushalten können und daraus lernen.
Wem glaubst Du?
Meinen Kindern und meinem Mann. Der Katze hingegen nicht, sie gaukelt mir immer vor, sie sei am Verhungern.
Dein letztes Wort?
Das klingt jetzt nach Poesiealbum, ich sags trotzdem: «Seid mutig und glaubt daran, dass ihr selber etwas verändern könnt.»
Marina Bolzli
Marina Bolzli hat in Bern Politologie und Russisch studiert. Sie arbeitete während vielen Jahren für die «Berner Zeitung», zuletzt als Kulturreporterin und Tagesleiterin. Nun ist sie Präsidentin des Vereins für Berner Medienvielfalt und versucht mit 15 Kolleg:innen ein neues gemeinnütziges Onlinemedium für Bern aufzubauen. Daneben schreibt sie Kolumnen und arbeitet Teilzeit in der Kommunikation von Konzert Theater Bern.
Basel, 21. April 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/
Bild: Helen Lagger
Ein Kommentar zu "Marina Bolzli: «Ich habe mir einen Digital Detox verschrieben»"
Gefällt mir, was Frau Marina Bolzli sagt. Lässt auf einen andern Journalismus hoffen. Lebe selber gut mit einem Mainstream-Medien Detox .