Marie-Astrid Langer: «Hier in den USA treibt mich all die Werbung in den Wahnsinn»

Publiziert am 2. August 2023 von Matthias Zehnder

Das 240. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marie-Astrid Langer, NZZ-Korrespondentin an der Westküste der USA. Sie findet, dass Donald Trump letztlich gut war für die Medien, «weil er uns dazu gezwungen hat, unsere Arbeit besser zu machen». Früher sei es für Medienschaffende «sicherlich bequem» gewesen, ein Monopol auf Informationen zu haben. «Heute müssen wir uns genauer überlegen, welchen Mehrwert wir bieten können – auch im Vergleich zu den sozialen Netzwerken.» Sie selbst lebt zwar in einem Fernsehland, kann aber die ständige Werbung im Fernsehen kaum ertragen und sagt, dass sie deshalb lieber Podcasts höre. Deshalb ist sie auch überzeugt, dass es gedruckte Tageszeitungen nach lange geben wird: «Sie wurden schon so oft totgesagt.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das «Wall Street Journal», der Newsletter «Axios Login» und Podcasts wie «NPR Up First».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter ist für mich als Arbeitswerkzeug unerlässlich, privat poste ich dort nichts. Facebook und Instagram wiederum nutze ich rein privat, aber auch wenig.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Es gibt weniger «in-person»-Veranstaltungen hier vor Ort, was schade ist, – aber gleichzeitig gibt es nun virtuelle Veranstaltungen im ganzen Land, die sich mir plötzlich erschlossen haben.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Für Medienschaffende war es sicherlich bequem, ein Monopol auf gewissen Informationen zu haben. Heute müssen wir uns genauer überlegen, welchen Mehrwert wir bieten können – auch im Vergleich zu den sozialen Netzwerken.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt! Wieso sollte die Menschheit aufhören zu lesen?

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ein gutes gedrucktes Buch. Lokalzeitungen. Kleinanzeigen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe überhaupt kein Problem damit, ein schlechtes Buch nach fünf oder fünfzig Seiten wegzulegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Vorträgen, in Podcasts, in Gesprächen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch lange! Sie wurden schon so oft totgesagt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Beides.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Hier in den USA treibt mich all die Werbung in den Wahnsinn, deswegen höre ich Podcasts, – da kann man besser vorspulen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«The Journal» des «Wall Street Journal», die PBS Newshour als Audioformat und «Pivot» von Kara Swisher und Scott Galloway.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass sie dringend eine gute Social-Media-Strategie brauchen oder gute Video- und Audio-Formate, um diese Altersgruppe dort abzuholen, wo sie sind.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Reiner News-Journalismus ja, aber Reportagen, Interviews, Features? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Das hängt ganz von jedem einzelnen Medienschaffenden ab. Bin ich flexibel, lernbereit, aufgeschlossen?

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Nein.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ständig! Briefe, Karten, Tagebuch, To-do-Listen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Letztlich gut, weil er uns dazu gezwungen hat, unsere Arbeit besser zu machen.

Wem glaubst Du?

Grossen, etablierten Medienhäusern in Europa und den USA, deren Arbeitsweise und Qualitätskontrollen ich aus eigener Erfahrung kenne. Und meinem eigenen kritischen Verstand.

Dein letztes Wort?

Go take a hike.


Marie-Astrid Langer
Marie-Astrid Langer hat internationale Betriebswirtschaft in Tübingen und Santiago de Chile studiert und danach die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert. Nach Stationen beim ZDF, dem «Spiegel» und «Zeit Online» trat sie 2012 der Redaktion der NZZ in Zürich bei. 2012 und 2015 reiste sie jeweils für mehrere Monate in die USA, unter anderem als Burns-Fellow beim «Wall Street Journal». Seit 2018 berichtet sie für die NZZ als Korrespondentin von der Westküste der USA. Ihre Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ludwig-Erhard-Nachwuchspreis. 2021 erschien im Suhrkamp-Verlag ihr erstes Buch «Kamala Harris, ein Porträt».
https://www.nzz.ch/impressum/marie-astrid-langer-ld.665515


Basel, 2. August 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 230 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Marie-Astrid Langer: «Hier in den USA treibt mich all die Werbung in den Wahnsinn»"

  1. Immer mehr wird diskutiert, wem man heute noch glauben soll. Was ich z.B. alles höre in meinem eigenen Umfeld, zu den Themen Corona, zur Klima- und Umweltbelastung, zur Genderdebatte, zum Krieg in der Ukraine, zur Welternährung. Jeder von uns muss sich entscheiden nur mit “in Frage stellen” und reklamieren ist es nicht getan. Deshalb möchte ich mich bei Frau Langer für ihre Antwort auf die folgende Frage bedanken und sie hier einfach nochmals herausheben.

    Wem glaubst Du?
    Grossen, etablierten Medienhäusern in Europa und den USA, deren Arbeitsweise und Qualitätskontrollen ich aus eigener Erfahrung kenne. Und meinem eigenen kritischen Verstand.

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