Marianne Mischler: «Medienhäuser sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen»

Publiziert am 22. Juni 2022 von Matthias Zehnder

Das 182. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marianne Mischler, Chefredaktorin Visuell bei der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie sagt, die Medien seien heute nicht besser als früher, aber anders. «Was ich nicht vermisse, das sind die überfüllten Aschenbecher neben der Computertastatur und am Sitzungstisch.» Sie findet, man sollte alles lesen, «was einem gut tut». Mischler betont, wie wichtig «guter, seriöser und sauberer Journalismus» in Zeiten von Fake News ist: «Die Medienhäuser (und auch wir als Agentur) sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen, um das Handwerk Journalismus in allen Disziplinen, multimedial und professionell weiterzugeben.» Mischler schreibt wichtige Dinge gerne von Hand auf: «Es ist eine andere Konzentration. Es ist wie früher das Fotografieren mit Film: beobachten, überlegen, erfassen und auslösen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Kaffee und der Keystone-SDA-Neswticker, angereichert mit Radio SRF 1. Im Zug lese ich online einen Mix bestehend aus «Tagi», NZZ und verschiedene Regionalzeitungen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Privat habe ich Social-Media-Accounts, bin eher als Beobachter unterwegs. Bei der Arbeit ist Instagram im visuellen Content wichtig und bietet ein ideales Schaufenster für unsere Bilder.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mein mediales Konsumverhalten hat sich durch Corona nicht gross verändert. Bei der Arbeit hat das C-Thema den Takt vorgegeben. Privat hat die Omnipräsenz am Bildschirm, auch durch die vielen Zoom-Meetings, mein Bedürfnis nach Ruhe und Abschalten gefördert.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Nicht besser, anders. Was ich nicht vermisse, das sind die überfüllten Aschenbecher neben der Computertastatur und am Sitzungstisch. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles was einem gut tut. Lesen ist nicht nur informieren und lernen, es ist auch Nahrung für die Seele, inspiriert und lässt uns in Gedanken reisen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie weg, gebe ihnen aber nach einer gewissen Zeit eine 2. Chance und zu 99% ein Ende.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Durch Freunde, Bekannte, zufällige Gespräche. Zudem kaufe ich mir jeden Monat ein Magazin am Kiosk mit dem Cover das mich visuell am meisten anspricht; egal welches Thema, es findet sich immer ein überraschender Artikel.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch lange, die Frage ist wie viele.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind immer eine Gefahr und es zeigt sich, wie wichtig guter, seriöser und sauberer Journalismus ist. Die Medienhäuser (und auch wir als Agentur) sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen, um das Handwerk Journalismus in allen Disziplinen, multimedial und professionell weiterzugeben.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Am Radio höre ich am Morgen und am Mittag die Nachrichten und am TV schaue ich an dauerverregneten Wochenenden Dokumentationen aller Art.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Selten. Ich mag die Ruhe nach der täglichen Beschallung des Alltages.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Die Medien müssen Themen angepasst an die Bedürfnisse der jeweiligen Altersgruppe, hintergründiger und vertiefter und moderner transportieren. Ich glaube, die jungen Leute sind mit dem Überangebot der Medien vor allem online überfordert. Medienkonsum muss man lernen. Ich kann mich erinnern, als unser Schullehrer uns aufforderte, die Zeitung von zu Hause mitzunehmen und wir lernten, die Zeitung zu lesen… und Kursbücher.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Es gibt Medieninhalte die automatisiert hergestellt werden können und das kann durchaus auch sinnvoll sein. Sogenannter Roboterjournalismus ersetzt keine hintergründige Recherche, Meinungsartikel oder Kommentare.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Es ist ein stetiger Wandel. Die Digitalisierung erhöht das Tempo des Wandels und bringt eine spannende Vielfalt der Medienlandschaft mit sich. Ich denke an Online-Portale wie bajour.ch, hauptstadt.be, tsüri.ch und noch viele andere. 

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Unabhängiger Qualitätsjournalismus, Medienvielfalt und journalistische Ausbildung braucht Förderung, direkt wie indirekt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Sehr wichtige Mitteilungen fliessen zuerst von Hand auf Papier. Es ist eine andere Konzentration. Es ist wie früher das Fotografieren mit Film: beobachten, überlegen, erfassen und auslösen. Und ich schreibe immer noch old school Postkarten aus den Ferien – von Hand.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Die Medienberichterstattung war spannend, als Bildredaktorin hatte ich selten so viele Bilder zur Auswahl, die seine Persönlichkeit veranschaulicht haben.

Wem glaubst Du?

Fakten.

Dein letztes Wort?

Danke.


Marianne Mischler
Marianne Mischler ist ausgebildete Fotolithografin. Seit 2000 arbeitete sie als Bildredaktorin für verschiedene Tageszeitungen, unter anderem für «Blick-Sport», die «Schweizer Illustrierte», die «Berner Zeitung», die «Luzerner Zeitung» und nach der Fusion bei CH-Media im Mantelteil. Mischler ist Gründungsmitglied der Bildagentur Freshfocus. Im Juli 2020 hat sie den Seitenwechsel gemacht vom Kunden zum Anbieter und arbeitet seither als Chefredaktorin Visuell für die Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
https://www.keystone-sda.ch/


Basel, 22. Juni 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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5 Kommentare zu "Marianne Mischler: «Medienhäuser sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen»"

  1. Anspruchsvolle Bücher als schlechte Bücher weglegen? Beim Buch ‚Anfänge – eine neue Geschichte der Menschheit‘ bin ich beim Kapitel ‚Die drei Grundformen der Herrschaft und ihre Auswirkungen auf die Menschheit‘ angelangt. Es macht deutlich, dass und warum es in der 200’000jährigen Geschichte der Menschheit an vielen Orten und zu vielen Zeiten keine Staaten gegeben hat sowie warum es weiterhin keine Staaten braucht oder bräuchte. Herrschaft konstituiert sich mit Gewalt, Wissen und Charisma: Medien sind ein Teil davon.

    1. Liber Herr Keller, Sie müssen mir dann bei Gelegenheit mal erklären, inwiefern Medien Herrschaft konstituieren. Was ich hier im Schweisse meines Angesichts jede Woche zusammenbastle, ist ja auch ein Medium. Aber das konstituiert noch lange keine Herrschaft. Bei grossen Medienkonzernen mag das anders sein, aber liegt das daran, dass sie Medien sind oder dass es Grosskonzerne sind? Oder liegt es vielleicht sogar am Publikum?

  2. „Marianne Mischler: «Medienhäuser sind in der Pflicht, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen»“
    Schon der Titel lupft mir den Hut.
    So kann nur jemand reden, welcher in einer stark steuergeldsubventionierten SDA-Anstalt, welche stark an eine „geschützte Werkstatt“ erinnert, „arbeitet“.
    Medienhäuser haben gar keine Pflichten, denn sie sind private Unternehmen. Und wenn das „dreinreden“ von linker Seite weiter zunimmt, nehmen die privatwirtschaftlichen (ja-das Wort gibt es im deutschen Sprachschatz) im Gegenzug reissaus aus der Schweiz. Siehe z.B. die „Fifa“ – eine private Organisation, ein privater Verein, welchem ständig reingeschwatzt wird, was er mit den Milliarden tun und lassen soll. Diese Organisation ist privatrechtlich aufgestellt, nimmt keine Steuergelder und kann mit ihren Geldern schmieren und salben, so viel sie wollen. Doch was passiert: Der aktuelle Präsi liebäugelt schon mit Paris als Hauptsitz oder einem arabischen Land, welche solche Weltglanzlichter natürlich liebend nimmt, denn ein Grossteil der Hotellerie, Tourismus, Handwerken von Zürich hängt/hängte daran (=Wertschöpfung).
    Verpflichtung, Vorschrift und Zwang ist das Gegenteil von Unternehmertum, das sich – ob in der Medien- oder anderer Branche – immer mehr von der unattraktiven Schweiz verabschiedet – u.a. genau wegen solchen Aussagen.

    1. Hallo Herr Zweidler, bevor Sie mit dem Zweihänder nach links eindreschen, sollten Sie Ihre Fakten kontrollieren. Die Nachrichtenagentur Keystone-sda ist eine privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft im Besitz der Schweizer Verlage und der Austria Presse Agentur (APA). Nix da von Steuergeldern. Mit der «Verpflichtung» zur Ausbildung meint Frau Mischler sicher keine rechtliche Verpflichtung, sondern eine moralische: Eines der grössten Probleme der Medien in der Schweiz ist derzeit, dass zu wenig junge Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden. Das ist unter anderem eine Folge der Zusammenschlüsse. Langfristig wäre es auch privatwirtschaftlich gerechnet sinnvoll, den eigenen Nachwuchs rechtzeitig auszubilden. Kurzfristig sind die Spareffekte leider oft interessanter. Genau deshalb gibt es Standesorganisationen, die ihre gewerblichen Mitglieder dazu verpflichten, rechtzeitig Nachwuchs auszubilden. Es übrigens noch aus einem anderen Grund sinnvoll, dass Schweizer Firmen genügend Ausbildungsplätze schaffen: Der Markt holt sich die Arbeitskräfte, die er braucht, sonst einfach aus Deutschland. Das ist zum Beispiel bei den Spitälern so und der Effekt spielt auch bei den Medien.

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