Marco Greiner: «Wieviel News muss man gelesen haben, um ein guter Staatsbürger zu sein?»

Publiziert am 27. November 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Marco Greiner, Vizestaatsschreiber und Regierungssprecher des Kantons Basel-Stadt, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, er glaube fest daran, dass sich Qualität im Journalismus durchsetze. «Allerdings wird der Journalismus kaum mehr durch Verkäufe und Inserate zu finanzieren sein. Andere Modelle müssen angedacht werden.» Greiner denkt etwa an «Mediengenossenschaften oder Stiftungen». Er glaubt nicht, dass der Anteil der «News-Deprivierten» weiter steigen wird. «Auch die Jüngeren wollen über die Dinge, die sie betreffen, informiert sein.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Beim Frühstück unterhalte ich mich gerne mit meiner Familie. Die Zeitungen lese ich – mehr oder weniger gründlich – später. Von Berufs wegen sind das einige Titel: «bzBasel», «BaZ», NZZ, «Tagi» uvm.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter finde ich spannend, wegen der Meinungen, Tipps und Kontroversen. Ich folge auch Leuten, deren Anschauungen ich nicht teile und über die ich mich manchmal ärgere. Von den Fotos auf Instagram bleibt hingegen wenig an mir haften.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich informiere mich bei solchen unfassbaren Ereignissen zuerst im Fernsehen. Da kommen die Stimmungen und Gefühle der Betroffenen ungefiltert herüber.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Vergleiche sind schwierig. Die Verhältnisse sind für die Medien heute anders. Früher wie heute fand bzw. finde ich es gut, wenn Journalistinnen und Journalisten den Dingen sorgfältig auf den Grund gehen und die Wahrheit suchen. Meinungsartikel braucht es meinetwegen nicht so viele.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ist denn jemals so viel geschrieben worden wie heute? Man denke an all die Jugendlichen mit ihren Handys, die sich eine Unmenge von Whatsapp-Nachrichten hin- und her senden.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Die Hauptstadt» von Robert Menasse, ein Roman (und auch Krimi) über die EU. Er ist aktuell, amüsant und gut geschrieben.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Schlechte Bücher kann ich weglegen, allerdings nur mit schlechtem Gewissen. Darum lagern sie zuerst auf meinem Nachttisch, bevor sie bei einer Aufräumaktion im Regal verschwinden.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In den Ferien, auf Reisen: Fern vom Alltag bin ich für Neues empfänglich.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Diese Frage beschäftigt vor allem Menschen in meinem Alter. Aus meiner Erfahrung ist sie der Generation danach nicht mehr so wichtig. Diese Generation wird Journalismus in anderen Formen konsumieren. Entscheidend ist deshalb nicht, dass es gedruckte Tageszeitungen geben wird, sondern dass die Qualitätsmedien überleben werden. Vor allem bei den lokalen Medien wird der Ruf nach staatlicher Unterstützung lauter werden.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Unwahrheiten wurden schon immer verbreitet. Neu ist aber, dass jeder Normalbürger es mit den Sozialen Medien tun kann, und zwar im grossen Stil. Die klassischen Medien sind keine Gatekeeper mehr. Journalistinnen und Journalisten können dem eine Berichterstattung nach professionellen Standards entgegensetzen und Orientierung im News-Dickicht bieten. Ich glaube fest daran, dass sich Qualität durchsetzt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Da fällt mir nur der Tatort am Sonntagabend ein.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Was es für die Medien bedeutet, wissen wahrscheinlich Marktforscher am besten. Bei den Auswirkungen für die Gesellschaft bin ich vorsichtig. Wie oft und welche News muss man gelesen haben, um ein guter Staatsbürger zu sein? Wieviel News-Deprivierte verträgt es? Auch die Jüngeren wollen über die Dinge, die sie betreffen, informiert sein. Ich glaube nicht, dass sich der Anteil der «Deprivierten» ewig erhöhen wird.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Lage für die Medienunternehmen ist ernst. Ich stelle mir vor, dass die Automatisierung für sie aus Kostengründen sinnvoll sein kann. Ein journalistischer Text lebt aber von der Persönlichkeit des jeweiligen Autors – im Schreibstil, in der Auswahl und Bewertung des Themas. Das schätze ich und wahrscheinlich auch viele andere.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ich bin überzeugt, dass es einem menschlichen Bedürfnis entspricht, informiert zu sein, die Wahrheit zu kennen. Professioneller Journalismus hat da etwas zu bieten, wenn er sich an gewisse Qualitätsstandards hält. Dann hat er gegenüber den Verfassern von Fake News, Verschwörungstheorien und blossen Meinungen ein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings wird er kaum mehr durch Verkäufe und Inserate zu finanzieren sein. Andere Modelle müssen angedacht werden. Vielleicht bilden sich Mediengenossenschaften oder Stiftungen, wer weiss?

Was bereitet Dir Freude an Deinem Beruf?

Die Intensität. Ich arbeite für die Allgemeinheit und begegne vielen verschiedenen Menschen, ihren Problemen und Ansprüchen. Ich habe fast mit dem ganzen Themenspektrum einer Stadt zu tun. Jeder Tag ist anders. Das macht es manchmal auch sehr kompliziert. Aber ich mag das.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Meistens schreibe ich von Hand – Whatsapp- und SMS-Nachrichten allerdings nicht eingerechnet.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump ist ein ernstes Thema. Ob er gut oder schlecht für die Medien ist, beschäftigt mich dabei nicht zuvorderst. Bei gewissen Menschen hat Trump – unfreiwillig – sicher das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig Qualitätsmedien sind. Ob sich das auf die Verkaufszahlen dieser Medien niederschlägt, weiss ich nicht.

Wem glaubst Du?

Ich versuche, die Leute jedes Mal ernst zu nehmen und ihnen gegenüber aufmerksam zu sein. Dadurch kann ich sie besser einschätzen. Die Frage, ob ich jemandem glaube, stellt sich dadurch kaum einmal.

Dein letztes Wort?

Ich hoffe, es dauert noch Jahrzehnte, bis ich mein letztes Wort ausspreche.


Marco Greiner

Marco Greiner, 52, hat an der Universität Basel Jurisprudenz, Geschichte, Germanistik und Philosophie studiert und schliesslich das Lizentiat der Rechte erlangt. Nach dem Studium war er als Kommunikationsberater in Basel und Zürich tätig. Seit 2007 ist er Vizestaatschreiber und Regierungssprecher des Kantons Basel-Stadt. Seit 2017 ist er zudem Präsident der Schweizerischen Informations-Konferenz öffentlicher Verwaltungen (SIKOV), dem Verband der Sprecher von Bund, Kantonen und Städten.
http://www.bs.ch


Basel, 27. November 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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