Marc Tribelhorn: «Qualitätsjournalismus bedingt qualifiziertes Personal»

Publiziert am 13. Dezember 2023 von Matthias Zehnder

Das 259. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marc Tribelhorn, Inlandredaktor bei der NZZ. Er sagt, die Herausforderung heute sei es, dass «wir uns viel stärker am Lesermarkt orientieren» müssen. «Wir müssen kreativer sein, besser schreiben, exklusiver sein, und das bei unverändert hohen Dossierkenntnissen.» Und mit weniger Ressourcen. Für ihn ist bis heute für die «Weltwoche» der frühen Neunzigerjahre vorbildhaft: «newsgetrieben und hintergründig, mit Autorinnen und Autoren wie Margrit Sprecher, Martin Beglinger, Felix E. Müller oder Hanspeter Born». Über Donald Trump sagt er: «Trump garantiert Schlagzeilen und fabelhafte Einschaltquoten.» Er zwinge die Medienschaffenden aber auch, «rauszugehen und zu ergründen, wie dieser Mann Präsident der USA werden konnte – und es wieder werden könnte.» Problematisch findet Tribelhorn, dass «Trump mit seiner Verachtung der Medien die Glaubwürdigkeit des Journalismus – und damit dessen Funktion als vierte Gewalt» untergrabe.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Noch vor dem ersten Kaffee der Newsletter des «Spiegels». Danach lese ich in der NZZ und scanne vor der Inlandsitzung den «Tagi», die «Aargauer Zeitung» und den «Blick». Donnerstags kommen die «WoZ» und die «Weltwoche» dazu. Am Wochenende immer der gedruckte «Spiegel» – Tradition seit meiner Gymi-Zeit.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Von den sozialen Netzwerken nutze ich LinkedIn. Twitter nur passiv und wenn ich muss. Auf YouTube schaue ich Kochsendungen – perfekt, um abzuschalten.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Das ist weit weg. Ich erinnere mich, wie mühsam die historischen Recherchen waren, als alle Bibliotheken und Archive zu waren. Geblieben sind die Videokonferenzen und das Homeoffice.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Die finanzielle Lage war besser, man hatte mehr Zeit. Jedenfalls hörte ich 2008, als ich bei der NZZ anfing, viel Beileid und Bedauern von älteren Redaktoren. Doch die üppigen Werbegelder von einst haben die Medien auch träge gemacht. Heute müssen wir uns viel stärker am Lesermarkt orientieren. Wir müssen kreativer sein, besser schreiben, exklusiver sein, und das bei unverändert hohen Dossierkenntnissen. Bis heute für mich vorbildhaft: Die «Weltwoche» der frühen neunziger Jahre, newsgetrieben und hintergründig, mit Autorinnen und Autoren wie Margrit Sprecher, Martin Beglinger, Felix E. Müller oder Hanspeter Born.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Zum Ukraine-Krieg die Berichte meiner Kollegen Andreas Rüesch, Ivo Mijnssen und Markus Ackeret. Als Kind der Neunziger das luzide Buch von Jens Balzer über diese Dekade, die gerade wieder überall zitiert wird. Und wer wissen will, wie man historisch arbeitet, muss zu Marc Blochs Klassiker «Apologie der Geschichtswissenschaft» greifen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Spätestens nach 50 Seiten lege ich weg, was nicht begeistert hat – ausser natürlich Bücher, die ich rezensiere.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Texten von Kolleginnen und Kollegen, im Gespräch mit Freunden und Familie. In den Schachteln des Bundesarchivs sowie in der Buchhandlung Klio beim Zürcher Central, wo ich immer mehr finde, als ich gesucht habe.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange es genügend Leserinnen und Leser gibt, die bereit sind, für ein Printprodukt mehr zu bezahlen als für ein Digitalabo.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich hoffe Letzteres.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Im Fernsehen eigentlich nur noch Sport. Im Radio, wenn ich im Auto sitze und Newsentzug habe oder wissen will, wo es staut. In der Küche immer BBC6 beim Kochen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Regelmässig höre ich nur das «Echo der Zeit». Ich bin der visuelle Lerntyp und lese sehr gerne.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Man muss kein Kulturpessimist sein, um diese Entwicklung problematisch zu finden. Das Mediensystem ist wichtig, die Demokratie braucht informierte Bürgerinnen und Bürger. Ich stelle auch fest, dass unter Studierenden das Berufsfeld Journalismus an Attraktivität eingebüsst hat. Das heisst für uns Medienschaffenden: Wir müssen die Jungen mit unseren Inhalten besser erreichen. Und wir müssen uns besser um den Nachwuchs kümmern. Qualitätsjournalismus bedingt qualifiziertes Personal.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Gewisse Formen bestimmt. Generative künstliche Intelligenz wird die Medienbranche stark verändern. Aber verlässliche Informationsquellen werden zu einem noch rareren Gut. Es wird auch künftig Journalisten brauchen, die Themen setzen, Informationen prüfen und gewichten, die Menschen treffen, befragen und beobachten. Und am Schluss die Texte mit ihrem Namen zeichnen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Bleiben wir optimistisch: Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, nutzen wir die Freiheiten.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Das heutige Mass der Förderung scheint mir ausreichend.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Sehr oft sogar, in schwarze Notizbücher.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Beides. Trump garantiert Schlagzeilen und fabelhafte Einschaltquoten. Er zwingt die Medienschaffenden, rauszugehen und zu ergründen, wie dieser Mann Präsident der USA werden konnte – und es wieder werden könnte. Gleichzeitig untergräbt Trump mit seiner Verachtung der Medien die Glaubwürdigkeit des Journalismus – und damit dessen Funktion als vierte Gewalt.

Wem glaubst Du?

Im beruflichen Kontext: Journalistinnen und Journalisten sowie Wissenschaftern, die evidenzbasiert arbeiten, stringent argumentieren – und Fragezeichen setzen, wenn sie etwas nicht wissen.

Dein letztes Wort?

Zuerst denken, dann schreiben.


Marc Tribelhorn
Marc Tribelhorn ist 1983 in Winterthur geboren und hat in Zürich und Freiburg i.Ü. allgemeine Geschichte, Geografie und Staatsrecht studiert. Seit 2008 arbeitet der Historiker für die NZZ, zunächst als Reporter und Blattmacher. Seit 2014 ist er in der Inlandredaktion zuständig für historische Analysen und nationale Politik. 2017 hat er das Buch «Die Schweiz als Ereignis. 50 Episoden aus der jüngeren Geschichte» im NZZ Libro-Verlag herausgegeben.
https://www.nzz.ch/


Basel, 13. Dezember 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Marc Tribelhorn: «Qualitätsjournalismus bedingt qualifiziertes Personal»"

  1. „Wir müssen kreativer sein, besser schreiben, exklusiver sein, und das bei unverändert hohen Dossierkenntnissen.“ Und was, wenn ich all dies bin und tue: und es interessiert kaum jemand? ….. und dann noch dies: dass sich immer mehr Jugendliche verweigern – den Medien, wie sie sind, und beispielsweise auch den Schulen, wie sie die Bildung organisieren – müsste eigentlich fundamental ursächlich, und nicht nur moralisch anklagend und/oder hochgedonnert technokratisch teuer zu denken geben; tut es aber nach wie vor nicht!?

  2. Guter Mann, gute Fragen, gute Antworten.
    Richtigerweise antwortet M. Tribelhorn auf die Frage: „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“ mit „Das heutige Mass der Förderung scheint mir ausreichend.“
    Gerade rund um den heutigen Bundesrats-Wahltag zeigt es sich wider: Gestern um 15.45 Uhr vor dem Bundeshaus: Dutzende von SRG-Technikern, SRG-Spediteuren und SRG-TV-Fachleuten mit mehreren schweren SRG-Lastwagen warten vor dem Bundeshaus. Die Mitarbeiter der SRG gedulden sich, bis sie offiziell Einlass ins Parlamentsgebäude erhalten. In der Wandelhalle wird darauf emsig daran gearbeitet, die gesamte Aufrüstung für die morgigen Bundesratswahlen aufzustellen. Es ist eine gigantische Materialschlacht im Zentrum der Schweizer Demokratie im Gange.
    Während alle anderen Medien, auch die elektronischen, sich auf wenige Angestellte beschränken müssen und wollen, richtet der Gebührensender mit der ganz, ganz grossen Kelle an. Viele im Bundeshaus stellen sich die Frage: Ist dieser Aufwand verhältnismässig? Ist er zu rechtfertigen? Und: Weshalb kennt der öffentlich finanzierte TV- und Radio-Konzern kein Mass? Die Verantwortlichen spüren längst nicht mehr, dass sie überborden. Es ist Zeit, darüber zu diskutieren, wie ein Service-Public ausgestaltet ist.
    Dank der «200 Franken sind genug»-Initiative haben die Politik und die Bevölkerung in diesem „fantastischen Land“, wie der neue BR B. Jans die Schweiz betitelt, jetzt eine Gelegenheit dazu. Gut so.
    Wer in Bewegtbild und Ton noch mehr darüber erfahren möchte, dem sei Verleger, Autor, Chefredaktor, Publizist Matthias Ackeret empfohlen, der hier sagt: «Man kann auch mit weniger Leuten gutes Fernsehen machen»:
    https://www.youtube.com/watch?v=OWDgWLY5xqM
    Der heutige Menschen&Medien Gast M. Triebelhorn hat also durchaus recht mit seiner/seinen wohlgeschätzten Antworten.

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