Marc Meschenmoser: «Journalistische Qualität wird sich auch digital durchsetzen»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Marc Meschenmoser, Co-Redaktionsleiter des K-Tipp. Er sagt, für junge Talente sei der Einstieg in den Journalismus früher einfacher gewesen: «weniger formalistisch, mehr inhaltsgetrieben». Verbessert habe sich sich in den letzten Jahren «sicherlich die Qualität von Recherchen». Meschenmoser empfiehlt, vor allem Vertiefendes zu lesen: «Magazine, die auf gute Einordnung, Zusammenhänge und Recherche setzen.» Journalist:innen empfiehlt er «Fachzeitschriften als Inspiration»zu lesen, und zwar querbeet «vom Blättli der Biobauern, über die Apothekerzeitung bis zum Lokführerheft». Er ist überzeugt, dass es gedruckte Tageszeitungen noch so lange geben wird, wie sie «mehr bieten, als das, was wir am Vortag bereits online gelesen haben». Meschenmoser ist sich sicher: «Wer nur noch News macht, muss künftig mehr Vertiefung bieten.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Da ich kein Frühstück esse: keines. Ernsthaft: Ein Mix aus «Tagi», SRF, «NZZ» und Regionalzeitungen, meist via Twitter oder den betreffenden Apps.
Dann die «Tribune de Genève» jeden Morgen als Gradmesser, was die Romandie bewegt.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Twitter täglich auch als Barometer, welche Geschichten bewegen. Instagram privat und Facebook praktisch ausschliesslich als Rechercheinstrument.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
«Ktipp» und «saldo» haben von Beginn an vertieft zur Corona-Politik des Bundes recherchiert und immer wieder kritische Berichte geliefert. So konnten wir als erste belegen, dass die BAG-Hospitalisationszahlen nicht korrekt ausgewiesen sind. Mit zunehmender Pandemiedauer polarisierte das Thema. Es gab natürlich auch in unserer Rechercheredaktion jene, die am liebsten nichts mehr wissen wollten von Corona. Doch es war noch wichtiger als sonst, sämtliche Corona-Recherchen einem Double-Check zu unterziehen. Haben wir alles korrekt recherchiert? Und gehen wir in der Recherche tiefer als Tageszeitungen? Damit sind wir insgesamt gut gefahren.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Weder noch. Ich denke, für junge Talente war der Einstieg in den schönsten Beruf der Welt früher einfacher. Weniger formalistisch, mehr inhaltsgetrieben. Verbessert hat sich heute – auch dank den digitalen Möglichkeiten und Arbeitstools – sicherlich die Qualität von Recherchen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Unbedingt!
Was soll man heute unbedingt lesen?
Nebst dem Grundrauschen der Tagesaktualität plädiere ich für Vertiefendes: Magazine, die auf gute Einordnung, Zusammenhänge und Recherche setzen. «Le Monde Diplomatique» lese ich immer mal wieder mit Gewinn, als längeres Format überzeugt auch «Reportagen».
Und für den Job sollte man Fachzeitschriften als Inspiration für Themen lesen. Am liebsten querbeet vom Blättli der Biobauern, über die Apothekerzeitung bis zum Lokführerheft. Eine Fülle an Themen liegt dort; meist unbeachtet.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich denke dann meist: kriegt die Autor:in die Kurve auf der nächsten Seite? Und gelange irgendwann bis zum Schlusskapitel…
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Bei längeren Reportagen und zum Teil in der internationalen Sonntagspresse.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
So lange sie mehr bieten, als das, was wir am Vortag bereits online gelesen haben.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Gefahr für jene die sie verbreiten und eine Chance für all jene Medien, die auf Recherche und Hintergründe setzen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
«Rundschau», «Mise au Point» (RTS) und «Echo der Zeit» linear, das meiste Angebot von SRF & RTS sonst gerne zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Swissinfo bietet mehrere gute Podcasts, zum Beispiel erhellende wirtschaftspolitische Zusammenhänge im «Geldcast».
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Jungen wirklich desinteressiert sind. Ich stelle in meinem Umfeld vielmehr fest: 16- bis 29jährige konsumieren Unterhaltung auf Tiktok, Insta und Co. – aber auch Dokfilme und Recherchen auf Youtube und im Netz. Aber wer nur noch News macht, muss wohl künftig mehr Vertiefung bieten.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ich bin überzeugt: guter Journalismus lässt sich nicht automatisieren. Denn das heisst: Einordnung, Vertiefung, die Leser:innen auf eine Reise mitnehmen und komplexe Zusammenhänge aufzeigen, aufdecken. Noch können dies Algorithmen nicht.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Kurz vor Ostern möchte ich sagen: weder zum Tod, noch zur Auferstehung . Aber sicherlich zu einem breiteren medialen Angebot, mehr Diversität im Journalismus, was ich grundsätzlich begrüsse. Der Preis: ein wenig mehr Unübersichtlichkeit – doch journalistische Qualität wird sich auch digital durchsetzen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja, eine Förderung der Ausbildung, einer Grundversorgung durch die sda in allen Landesteilen sowie von kleinen, unabhängigen Medien. Aber die Abstimmung hat gezeigt: die Leute verstehen nicht, weshalb man mit Steuergeldern hochprofitable Medienhäuser finanzieren sollte. Zur Medienförderung gehört meiner Ansicht nach auch eine damit verbundenen Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit zur Transparenz der Geldgeber hinter dem Medienunternehmen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, Briefe.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Donald who?
Wem glaubst Du?
Als Journalist lieber kritisch hinterfragend, als primär glaubend.
Dein letztes Wort?
Cui bono? (Ok, zwei Wörter).
Marc Meschenmoser
Marc Meschenmoser (48) ist 1994 als MAZ-Absolvent und Rechercheur bei der Tageszeitung «Werdenberger & Obertoggenburger» in den Journalismus eingestiegen. 1999 arbeitete er als Redaktor bei der Konsumentenzeitschrift «Saldo», danach ab 2003 als freier Journalist für den «K-Tipp», die «SonntagsZeitung» und andere. Ab 2006 arbeitete Meschenmoser fünf Jahre beim Nachrichtenmagazin «10vor10» von SRF und anschliessend fünf Jahre bei der «Rundschau». Da deckte er unter anderem das Doppelstock-Desaster von SBB und Bombardier und die Vergabe von Doktortiteln für simple Abschriften von Christoph Mörgeli auf. 2016 wechselte er als Westschweiz-Korrespondent für Fernsehen SRF nach Genf. Seit Sommer 2020 ist Meschenmoser Leiter der neugegründeten Rechercheredaktion der drei Konsumentenmagazine «K-Tipp», «Saldo» und «K-Geld». Seit Anfang August 2021 ist er darüber hinaus auch Co-Redaktionsleiter. Meschenmoser ist zudem Co-Präsident von investigativ.ch, der Vereinigung der Schweizerischen Recherchejournalisten, und Dozent am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern.
https://www.ktipp.ch/
Basel, 30. März 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 170 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:
https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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