Manuel Puppis: «Die Digitalisierung macht das Geschäftsmodell von Medien obsolet»

Publiziert am 17. Juni 2020 von Matthias Zehnder

Die Medienförderung in der Schweiz ist faktisch Vertriebsförderung gedruckter Zeitungen. Manuel Puppis, Professor am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg, sagt deshalb im Fragebogeninterview, dass der Ausbau dieser Vertriebsförderung die digitale Transformation der Medien nicht beschleunigen wird. Puppis sagt zudem, dass die Werbung im digitalen Raum «nicht mehr auf publizistische Medien angewiesen» sei. Er zweifelt, ob die Einnahmen auf dem Publikumsmarkt zur Finanzierung ausreichen.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Traditionell lese ich beim Frühstück den «Tagi», seit Jahren schon als E-Paper. Und je nach Zeit und Nachrichtenlage schaue ich auf den Websites von «Washington Post», «New York Times», «Guardian», SRF, «Republik» und «Watson» vorbei.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Von den genannten nutze ich nur Twitter, hauptsächlich aus beruflichen Gründen. Ich folge vielen Personen aus Wissenschaft und Medien, von denen ich immer wieder spannende Dinge erfahre und auf Artikel hingewiesen werde, die für meine eigene Forschung relevant sind oder mir helfen, den Überblick über aktuelle Entwicklungen in Medien und Medienpolitik zu behalten.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Nicht grundsätzlich. Auch schon vorher informierte ich mich mehrmals täglich in den Medien. Aber natürlich war zu Beginn der Pandemie auch mein Informationsbedürfnis höher. Jedenfalls schaue ich sonst selten eine Pressekonferenz des Bundesrates. Und mangels Alternativen hat unser Serienkonsum am Abend deutlich zugenommen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch, aber die Medienlandschaft und der Journalismus haben sich sicher stark verändert. Positiv ist, dass die Digitalisierung neue Möglichkeiten für die journalistische Arbeit, die Aufbereitung von Informationen und den Austausch mit den Nutzerinnen und Nutzern bietet. Zudem sind viele Journalistinnen und Journalisten heute handwerklich gut ausgebildet. Allerdings hat die Medienkonzentration stark zugenommen, worunter die Vielfalt leidet. Und der Druck in den Redaktionen ist durch die Notwendigkeit, ständig eine Website zu bespielen, gestiegen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Warum denn nicht?

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Du meinst abgesehen von wissenschaftlichen Publikationen über Medienpolitik? Es gibt so viel grossartige Literatur! Aber auf jeden Fall: Romane von Francesca Melandri (ich lese gerade ihr hervorragendes Buch «Alle, ausser mir»), Chimamanda Adichie, David Guterson, Ian McEwan, Philip Roth, Haruki Murakami, den Vierteiler «Meine geniale Freundin» von Elena Ferrante. Und natürlich «Erklärt Pereira» von Antonio Tabucchi.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Da ich beruflich viel lese, bin ich bei der Auswahl von Belletristik für meine Freizeit sehr wählerisch. Vielleicht kommt es deshalb selten vor, dass ich ein Buch weglegen muss. Ausser ich finde eines unglaublich anstrengend zu lesen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Immer noch aus der Zeitung, beim vollständigen Durchscrollen des E-Papers. Auf Twitter. Aus Büchern, Filmen und Serien. Und natürlich aus persönlichen Gesprächen. Es gibt so Vieles, über das ich mehr wissen möchte.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Andere verlangen für den Blick in die Kristallkugel 4.50 die Minute… Tageszeitungen machen immer noch im Print den Grossteil ihres Umsatzes, und mit dem geplanten Ausbau der Vertriebsförderung wird sich die digitale Transformation nicht beschleunigen. Mein Tipp: Spätestens, wenn die Druckmaschinen ersetzt werden müssen, werden die Verlage, die überhaupt noch eine eigene Drucker haben, ganz genau kalkulieren, ob sich die Investition nochmals lohnt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Der Begriff «Fake News» wird etwas gar inflationär verwendet und kommt immer zum Einsatz, wenn jemandem (tatsächliche oder behauptete) Falschinformationen vorgeworfen werden. Die Verbreitung von Desinformation, also von faktisch falscher Information wie Lügen, Gerüchten und Verschwörungstheorien, ist aber tatsächlich ein Problem für die Gesellschaft. Aus aktueller Forschung wissen wir, dass sich Desinformation auf Onlineplattformen relativ schnell verbreitet. Publizistische Medien können hier Gegensteuer geben, aber nur wenn sie von den Nutzerinnen und Nutzern als glaubwürdig eingestuft werden. Diesbezüglich sieht es in der Schweiz noch relativ gut aus.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Durch HbbTV und Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime hat mein linearer Fernsehkonsum massiv abgenommen. Im linearen Fernsehen schaue ich eigentlich nur Nachrichtensendungen oder gewisse Reality-Shows. Radio hingegen höre ich regelmässig live.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Sehr selten, vor allem, wenn ich eine Radiosendung nachhören möchte.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Noch ein Begriff, den ich nicht mag. Aber das Problem ist real. Schon mit der Einführung von Privatfernsehen und dann natürlich mit dem Internet wurde die Vermeidung von Informationsangeboten einfacher, da unzählige Alternativen zur Verfügung stehen. Es ist grundsätzlich problematisch, wenn sich ein Teil der Bevölkerung nicht mehr für gesellschaftliche Vorgänge interessiert – gerade in einer direkten Demokratie. Aber die Medien müssen sich vielleicht auch überlegen, woran das liegt. Sind die eigenen Angebote für alle Bevölkerungsschichten attraktiv? Sind die Inhalte für Menschen in diesem Land relevant? Wie können komplexe Ereignisse und Zusammenhänge verständlich aufbereitet werden?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Teilweise ja. Es gibt keinen Grund, weshalb Kurzmeldungen nicht von Robotern geschrieben werden sollen. Oder weshalb man bei der Recherche und Auswertung von Daten nicht technische Hilfsmittel einsetzen sollte. Damit bleibt mehr Zeit, für die Aufgaben, für die es Menschen und ihre Kreativität braucht. Allerdings darf man sich auch nicht blind auf Algorithmen verlassen, sondern muss hinterfragen, wie diese programmiert wurden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung macht zuallererst das traditionelle Geschäftsmodell von Medien obsolet: Die Werbung ist nicht mehr auf publizistische Medien angewiesen und hat sich deshalb zu Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Kleinanzeigenportalen verabschiedet. Und ob die Einnahmen auf dem Publikumsmarkt zur Finanzierung ausreichen, ist zweifelhaft. Natürlich gibt es Ausnahmen. Für den Journalismus selbst eröffnet die Digitalisierung hingegen viele neue Möglichkeiten.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Sicher. Demokratien sind auf die Leistung des Journalismus angewiesen. Auch wenn Onlineplattformen ganz neue Möglichkeiten zur Information, Diskussion und Partizipation bieten: Journalismus braucht es trotzdem – zur Information der Bevölkerung, für öffentliche Debatten, zur Kritik und Kontrolle der Mächtigen. Das Interesse an Journalismus ist ungebrochen. Und wenn Werbung und Abonnements nicht genügend Einnahmen generieren, dann braucht es halt zusätzlich eine direkte Medienförderung.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ständig. Notizen mache ich meistens von Hand.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Völlig unabhängig von einer Bewertung seiner politischen Prioritäten: Der Mann ist gefährlich für den Journalismus. Wenn Medien als Feinde des Volkes, als «Fake News» und als «lamestream media» verschrien werden, dann hat das Folgen für das Ansehen, die Berufsausübung und die Sicherheit von Medienschaffenden. Das eigentliche Drama ist aber, dass die US-Medien noch immer nicht herausgefunden haben, wie sie über einen Präsidenten berichten sollen, der ein sehr lockeres Verhältnis zur Wahrheit pflegt. Die Medienkrise hat sich durch Trump übrigens auch nicht entschärft. Von zusätzlichen Abos konnten gerade mal die grossen Player – WaPo und NYT – profitieren.

Wem glaubst Du?

Üblicherweise gehe ich nicht davon aus, dass ich (absichtlich) getäuscht werde. Und wenn doch, weiss ich es beim nächsten Mal besser.

Dein letztes Wort?

Das überlasse ich gerne den Kommentarschreiber/innen.


Manuel Puppis
Manuel Puppis ist Professor am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg. In Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit Mediensystemen im internationalen Vergleich, Medienpolitik und Digitalisierung. Er ist Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission und der Expertengruppe «Media Environment and Reform» des Europarates sowie Präsident des Vereins «media FORTI».
https://www3.unifr.ch/dcm/de/dept/staff/byunit/mediensysteme/


Basel, 17. Juni 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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