Lucia Theiler: «Mir fehlen die Kolleginnen und Kollegen»

Publiziert am 19. Mai 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Lucia Theiler, Wirtschaftsredaktorin bei Radio SRF. Sie sagt, guter Journalismus brauche Diskussion. «Recherchen besprechen können, mit jemandem einen Schwatz halten über mögliche Geschichten – das alles geht von zu Hause aus schon auch, aber es ist aufwändiger, komplizierter.» Was die Zukunft angeht, mag sie nicht einstimmen in den «Chor der Nostalgikerinnen und Sentimentalisten». Früher sei wohl mehr Geld für Journalismus zur Verfügung gestanden. Aber viel wichtiger sei doch: «Wie weiter? Digitale Kanäle eröffnen Chancen, gerade für die Vielfalt und die Erzählweisen. Aber auch für die eigenen Recherchen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Während ich die Kaffee-Maschine anwerfe und das Homeoffice hochfahre, läuft SRF4 News. Ohne «Heute Morgen» fehlt mir der Boden für den Tag. Danach lese ich meistens zuerst die Wirtschaftsberichte von «NZZ», «Tagi» und «Blick».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Auf Twitter konsumiere ich viel, selber zwitschern ist eher die Ausnahme. Bei Instagram schau ich gerne rein, mit Facebook allerdings wurde ich nie richtig warm.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als Konsumentin nicht wesentlich, als Macherin sind die technischen Voraussetzungen anders als im Studio. Ich finde, guter Journalismus braucht Diskussion. Recherchen besprechen können, mit jemandem einen Schwatz halten über mögliche Geschichten, den Fokus – das alles geht von zu Hause aus schon auch, aber es ist aufwändiger, komplizierter. Mir fehlen die Kolleginnen und Kollegen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich mag nicht einstimmen in den Chor der Nostalgikerinnen und Sentimentalisten. Es mag früher wohl mehr Geld für Journalismus gegeben haben, mehr Vielfalt. Aber viel wichtiger ist doch: Wie weiter? Digitale Kanäle eröffnen Chancen, gerade für die Vielfalt und die Erzählweisen. Aber auch für die eigenen Recherchen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbstverständlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Fürs Gemüt? Zum Beispiel Juli Zehs «Über Menschen» oder «das alles hier, jetzt» von Anna Stern. Ich lese aber auch gerne Magazine, die «Republik» zum Beispiel. Oder «Brand eins».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Im Weglegen bin ich sehr gut. Was mich nicht packt, lese ich nicht fertig.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Eigentlich überall, im Tram beim zufälligen Mithören von Gesprächen, beim eigenen Google-Spaziergang, der den Fokus verliert. Manchmal einfach auch, weil eine Schlagzeile, ein Titel oder eine Bildlegende spannend tönt. Oder weil ich im Radio oder beim Scrollen und Zappen etwas aufschnappe.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wahrscheinlich schon noch ein paar Jährchen, solange es die indirekte Presseförderung gibt. Wichtiger als das Medium scheint mir aber der Inhalt und Geschäftsmodelle, die dessen Qualität finanzieren können.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance und eine Herausforderung. Und das sind sie insbesondere auch für Jugendliche, ihre Eltern, Lehrerinnen und Lehrer.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Aktuelles höre ich möglichst aktuell – darum schalte ich jeweils ein zur Primetime. Im Radio bedeutet das «Heute Morgen», «Rendez-vous», «Info 3», «Echo der Zeit» und im Fernsehen «Tagesschau», «Rundschau» und «10 vor 10» – das klappt natürlich nicht immer, aber wenn’s geht, schalte ich ein. Alles andere: meistens später, oder im Voraus. «Wilder» zum Beispiel habe ich an zwei Abenden gebingt. Nur den «Tatort» am Sonntagabend schaue ich nur am Sonntagabend, ein Ritual.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, ich höre quer durch und manchmal auch einfach nur rein. Mit gefällt zum Beispiel «einfach Politik», «Newsplus», die «Zeitblende», der Podcast-Feed «Hotspot» von SRF und «Planet Money». Ich mochte «Unter Pfarrerstöchter» («Die Zeit») und hoffe, die MacherInnen des preisgekrönten Podcast über Ursula Koch («NZZ am Sonntag») produzieren bald wieder so grossartiges Kopfkino.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das sind ja nicht grundsätzlich Desinteressierte. Nur fragt sich: wie und wo gewinnt man sie für Relevantes? Wie und wo kann man anknüpfen an ihren Alltag? Ausserdem: Es sind da noch 45 Prozent andere.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Roboter können zwar durchaus Artikel produzieren, also Berichte verfassen, bei denen es um das Zusammentragen von Informationen und Textbausteinen geht. Aber Einordnung, Kontext, Analyse und Haltung – das scheint mir nichts für einen Roboter. Genau das macht aber guten Journalismus aus.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt. Bei den Rahmenbedingungen muss vielerorts was gehen, vor allem für junge Frauen, Mütter, Väter. Tausendmale schon wurde das gesagt. Hoffe, es kommt an.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber tatsächlich nur noch Notizen. Wenn ich das Gekritzel nach ein paar Tage nicht mehr lesen kann, war’s nicht wichtig genug.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ehrlich gesagt, ich habe ich keine Ahnung – kommt wohl darauf an, wie oft man bei der Frage um die Ecke denkt. Jemand hat sich sicher vertieft damit befasst.

Wem glaubst Du?

Meinem Bauchgefühl und den klugen Köpfen um mich herum. Manche kenne ich nicht persönlich, aber ich lese oder höre sie gern.

Dein letztes Wort?

Ist noch lange nicht gesprochen.


Lucia Theiler
Lucia Theiler arbeitet auf der Wirtschaftsredaktion von Radio SRF. Sie hat bei Lokalmedien in der Zentralschweiz angefangen und ist nach dem Betriebswirtschaftsstudium beim Wirtschaftsjournalismus eingemündet. Als Freelancerin damals bei «Cash», dann bei der Nachrichtenagentur sda, deren Wirtschaftsressort sie später auch leitete. Seit mehr als zwei Jahren ist sie bei Radio SRF, mit Schwerpunk-Dossier Pharma und neuerdings auch Medien.


Basel, 19. Mai 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Lucia Theiler: «Mir fehlen die Kolleginnen und Kollegen»"

  1. Oh – da hört und sieht aber jemand sehr einseitig: «Heute Morgen», «Rendez-vous», «Info 3», «Echo der Zeit» und «Tagesschau», «Rundschau» und «10 vor 10» natürlich alles schön brav von SRF. Klar, man arbeitet ja auch fürstlich bei SRF. Dies, genau dies sind die vielbeschworenen Einheits-Meinungs „Bubbles“, „Blasen“– einer neugierigen Journalistin eigentlich unwürdig.
    Zudem: Die SRG-Chefs bedienen sich schamlos im Zwangsgebühren-Prämientopf. 533’000 Fr. inklusiv 100’000 Fr Bonus für SRG-Direktor Gilles Marchand. Nathalie Wappler, die Fernsehdirektorin bekommt 450’000 Fr. (ein Bundesratslohn). 7 weitere Mitglieder der SRG-Geschäftsleitung müssen sich mit 390’000 Fr zufrieden geben. Und das ganze vor dem Hintergrund tiefroter Geschäftszahlen: Minus 13 Millionen Franken Geschäftsergebins für die SRG. Das allein ist im Grunde ein Kunststück. Wie kann man mit einer SRG überhaupt solche Verluste einfahren? Antwort: Mit dieser SRG ist alles möglich. Ohne Leistungslohn – auch in den Chefetagen. Und: Wo ist hier die Leistung dieser Leitung wenn sie in einem zwangsgebührenfinazierten Unternehmen 13 Millionen Franken Verlust einfahren? Da gibt es keine Leistung. Und wenn die Führung das nicht schafft, hat sie auch keinen Anspruch auf Bonus.
    200 Fr (ein Pappenstil) erhielt nebenbei noch jeder gewöhnliche SRG-Angestellte als Bonus.
    Nein – diese SRG ( und damit leider auch das Personal ) hat so jede Akzeptanz in der Bevölkerung verloren.
    Aber das Beste: Was sagt die Aufsicht, was sagt die zuständige Bundesrätin Sommaruga zu den SRG-Exzessen: „Dies sei unsensibel“. Nicht weniger. Nicht mehr. Die Untertreibung des Jahres!
    Na ja, dann kann ja das SRG-Treiben in Zukunft munter so weitergehen.
    Begreift mich jemand, wenn ich kein Freund mehr von SRG Funk und Fernseh‘ bin?

  2. «Mir fehlen die Kolleginnen und Kollegen»: Das lese ich heute nicht zum ersten Mal. Wie Medien und Politik als Nebenwirkung von Corona viel Misstrauen, Verängstigung, Verwirrung und
    Vereinsamung produzieren, finde ich schlimm. Auch wenn es nicht absichtlich und/oder eigentlich ohne Not geschieht, wie das von Menschen vermutet wird, die dafür einer Verschwörungstheorie bezichtigt werden.

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