Lisa Aeschlimann: «Selten war guter Journalismus wichtiger»

Publiziert am 7. Juni 2023 von Matthias Zehnder

Das 232. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Lisa Aeschlimann, Reporterin beim «SonntagsBlick». Sie sagt: «Der Journalismus war früher schlechter, dafür gings den Journalist:innen besser.» Wie lange es noch Tageszeitungen gibt, weiss sie nicht. Sie ist aber sicher: «Gute Geschichten werden bleiben, Papier hin oder her.» Und: «Nichts transportiert eine Geschichte so eindrücklich wie ein guter Text.» Angesichts der Medienabstinenz von jungen Menschen sagt sie, dass die Medien zugänglicher werden müssten – «formal, aber auch inhaltlich. Ich will nicht Wirtschaft studiert haben müssen, um den Wirtschaftsteil gewisser Zeitungen zu verstehen, sorry.» Sie ist überzeugt, dass «der Bedarf an Einordnung» noch nie so gross gewesen sei: «Einordnen, recherchieren und Fact-Checking aber bedingt Ressourcen. Und die fehlen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die Newsletter von «Tagi», NZZ und «Tsüri». Dann scanne ich den «Blick», den «Tages-Anzeiger», die NZZ, die «Republik» und die AZ. Donnerstags die WOZ und am Wochenende natürlich die Sonntagszeitungen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter und Instagram zur Recherche und Inspiration, Twitter zusätzlich zum Aufregen. Facebook nur noch für Hochzeitsfotos von Schulkolleg:innen.

Wie hat das Coronavirus Deinen medialen Alltag verändert?

Weniger Zeitung, mehr Podcasts (wegen all der Spaziergänge).

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich würde sagen, der Journalismus war früher schlechter, dafür gings den Journalist:innen besser.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Klar. Nichts transportiert eine Geschichte so eindrücklich wie ein guter Text.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Für Journalist:innen: «She said» von Jodi Kantor und Megan Twohey, weil es eines der besten Bücher ist für die, die wissen wollen, wie man Quellen findet und gewinnt, Gesagtes verifiziert und auch bei juristischem Druck nicht einknickt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei der Coiffeuse, an Geburtstagsparties, morgens um 6 Uhr irgendwo im Nirgendwo …

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung. Gute Geschichten werden bleiben, Papier hin oder her.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Grundsätzlich eine Chance, denn eigentlich leben wir journalistisch gesehen in einer der interessantesten Zeiten: Trump, Pandemie, Krieg in Europa. Noch nie war der Bedarf an Einordnung so gross, selten guter Journalismus wichtiger. Einordnen, recherchieren und Fact-Checking aber bedingt Ressourcen. Und die fehlen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Das letzte Mal linear ferngesehen habe ich am 19. März – als der Bundesrat den Untergang der CS verkündete.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Morgens entweder «Apropos» oder SRF «Heute Morgen». Immer am Montag «Politbüro», «Alles klar, Amerika?» und «Die sogenannte Gegenwart». Gerne auch Podcast-Serien. Aktueller Tipp: «Boys Club» über Macht und Machtmissbrauch bei Axel Springer.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir zugänglicher werden müssen – formal, aber auch inhaltlich. Ich will nicht Wirtschaft studiert haben müssen, um den Wirtschaftsteil gewisser Zeitungen zu verstehen, sorry.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ja, klar. Schnelle News schreiben, Medienmitteilungen zusammenfassen oder einen Live-Ticker updaten, kann ChatGPT heute schon. Aber das ist auch gut so. Denn dann können wir das tun, was unsere eigentliche Aufgabe ist: Rausgehen, recherchieren und schreiben.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Befreiung. Siehe oben.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wenn ich sehe, dass befreundete Journalist:innen bei Regionalzeitungen teilweise vier Seiten füllen müssen und nicht länger als einen halben Tag Zeit bekommen für einen Artikel, dann: definitiv ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Immer wieder. Und rege mich dann auf, wenn ich’s nicht lesen kann.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump war wohl erst der Anfang. Rest: siehe Fake News.

Wem glaubst Du?

Zahlen und Fakten? Und Dominic Deville?

Dein letztes Wort?

Neugierig bleiben. Mit offenen Augen und offenem Geist durch die Welt gehen.


Lisa Aeschlimann
Lisa Aeschlimann (29) ist Reporterin beim «SonntagsBlick». Zuvor war sie drei Jahre im Ressort Zürich des «Tages-Anzeigers». Sie hat Journalismus an der  Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) studiert und die Diplomausbildung an der Schweizer Journalistenschule MAZ abgeschlossen.
https://www.lisaaeschlimann.ch/


Basel, 7. Juni 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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4 Kommentare zu "Lisa Aeschlimann: «Selten war guter Journalismus wichtiger»"

  1. Wundere mich, wenn eine 29jährige aussagt, früher sei der Journalismus schlechter gewesen und heute besser. Punkt.
    „Einordnen, recherchieren und Fact-Checking“ sei wichtig“ (wobei sogar und insbesondere Facts sind je nach Blatt geschmeidig und sehr biegsam) – gerade an dem zweifle ich bei den Ringier-Blättern, insbesondere der „Blick-Gruppe“ welche in den letzten 2 Jahren durch mehrere Ungereimtheiten viel an Ansehen und Glaubwürdigkeit verlor. Punkt.
    Und interessant auch, das gerade junge, gebildete Menschen sich sehr für die Klimainitiative stark machen würden. Geht man aber dann auf die jeweiligen Webseiten dieser jungen und gebildeten Zeitgenossen (Fr. Tara Hill, Fr. Lisa Aeschlimann) bemerkt man schnell, das Handeln und Reden nicht übereinstimmen: Bei Fr. Hill zeigte mein Kommentar auf, das sie schon überall, aber wirklich überall auf der Welt ihre DJ-Platten spielte, und bei Fr. Aeschlimann zeigt ein Blick auf ihre Seite auf, das sie mit 29 Jahren ebenfalls schon einen gewaltigen Kerosin-Benzin-Diesel-Fussabdruck legte, wenn man schon in USA (3 Wochen 4 Staaten), in Südostasien (Vietnam, Kambodscha, Thailand), in Kuba, in New York (Städtetrip), in Marrakesch und selbstverständlich in allen Metropolen Europas (von London bis Porto) weilte. Wohl kaum mit Ruderböötli oder Pedalo. Mehr junge Doppelmoral, und das ist schade, geht nicht. Schlusspunkt.

    1. Dear Mr Zwiedler
      although there is much truth in your comments, I cannot help wishing that they were tempered with more empathy. Young people, budding journalists and bloggers, find themselves born into given circumstances and a changing world and it takes time to be so ‚old and wise‘ on every front. I suspect that your criticism will more likely be taken to heart if you can show more of your own

      1. Diesem Kommentar kann ich mich nur anschliessen. Ich verstehe nicht, was die Anzahl Reisen, die eine Journalistin beruflich unternimmt, und die daraus resultierende Klimabilanz mit ihrer Arbeitsqualität zu tun haben soll. Das pauschale Abqualifizieren der jungen Journalistinnen ist reichlich verächtlich. Von Doppelmoral kann man nur sprechen, wenn ans eigene Tun andere Massstäbe angelegt werden als an das Tun anderer. Im aktuellen Fragebogeninterview war ja von Klima nicht die Rede, Zweidler nimmt da also eine ganze Generation in Gruppenhaft.
        Übrigens ist auch eine 29jährige Journalistin in der Lage, den Journalismus früherer Tage zu beurteilen. Zum einen sind die Medienerzeugnisse in den Archiven verfügbar und damit beurteilbar, zum anderen gibt es dazu ja auch wissenschaftliche Studien. Insgesamt hat sie sicher recht: Früher war vieles schlechter. Qualitativ hat der Journalismus in der Schweiz im Schnitt zugelegt, ist vielfältiger und professioneller geworden.

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