Kurt Pelda: «Journis sollten mehr mit Betroffenen sprechen»

Publiziert am 23. August 2023 von Matthias Zehnder

Das 243. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Kurt Pelda, Kriegsreporter bei CH Media. Pelda glaubt nicht, dass Fake News für Medien eine grosse Gefahr sind. «Durch einseitigen, moralinsauren und obrigkeitshörigen Journalismus demontieren sich viele Medien ganz von alleine. Das ist eine viel grössere Gefahr.» In der Digitalisierung sieht Pelda eine gesunde Herausforderung für die Journalisten: «Journis werden so vor die Wahl gestellt, echten Mehrwert zu bieten oder unterzugehen. Letzteres betrifft wohl vor allem jene, die ihren Job ausschliesslich vor dem Bildschirm machen.» Diesen Büro-Journalismus kritisiert Pelda und sagt: «Ich wünsche mir, dass sich Journis wieder vermehrt einen persönlichen Augenschein von Geschehnissen machen, mit Betroffenen sprechen – und zwar auch mit den von ihnen kritisierten Personen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Twitter, auch wenn es jetzt X heisst.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook benütze ich manchmal und Instagram selten. Telegram ist für die Beobachtung russischer und ukrainischer Kanäle wichtig. Der Krieg in der Ukraine ist im Moment meine Hauptbeschäftigung, darum verbringen ich die meiste Zeit auch in der Ukraine.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe schon vorher im Homeoffice gearbeitet. Die Corona-Zeit hat mich allerdings in der Überzeugung bestärkt, dass echter Journalismus nur an Ort und Stelle und keinesfalls nur zu Hause vor dem Bildschirm funktioniert. Und zugleich hat mir Corona vor Augen geführt, dass viele Journis – junge und alte – mehr Aktivisten als Journalisten sind, die sich auf Fakten stützen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Ich glaube, dass Journis früher gebildeter und vielleicht auch sorgfältiger waren. Aber wenn man sich dann tatsächlich eine «NZZ»-Ausgabe aus den 1970er-Jahren ansieht, merkt man schnell, dass vieles davon einfach abgeschrieben war – zum Teil eins zu eins aus Pressecommuniqués. Ich finde es allerdings immer wieder erstaunlich, wie viele Informationsquellen Journis heute online nutzen können und wie wenig sie davon tatsächlich verwenden, um Fehler in den eigenen Beiträgen auszumerzen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sicher. Warum sonst gäbe es einen Kulturkampf um die Gender-Sprache? Da wollen sich Leute die Deutungshoheit sichern – und da geht es ja auch um das geschriebene Wort.

Was soll man heute unbedingt lesen?

In der Schweiz ist die «NZZ» trotz aller Mängel immer noch lesenswert.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Was mir nicht gefällt, lege ich schnell weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von anderen Leuten, beim Reisen und in den sozialen Medien.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch zehn Jahre? Ich weiss es nicht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News gab es schon immer, früher hiess es einfach Propaganda oder Desinformation. Durch die sozialen Medien kann nun aber jeder solchen Unsinn verbreiten. Ich glaube aber nicht, dass Fake News für Medien eine grosse Gefahr darstellen. Durch einseitigen, moralinsauren und obrigkeitshörigen Journalismus demontieren sich viele Medien ganz von alleine. Das ist eine viel grössere Gefahr.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich benütze Fernsehen nur noch zeitversetzt, und Radio höre ich fast gar nicht mehr. Mir geht das penetrante Gendern der staatsnahen Sender auf den Wecker.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Selten und nein, kein Lieblingspodcast.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Das bedeutet vielleicht, dass wir Journis einen schlechten Job machen. Dass vieles von dem, was in den Medien hochgespielt wird, für junge Menschen nicht relevant ist.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das Umschreiben von Medienmitteilungen lässt sich bestimmt automatisieren. Aber schon bei der Gerichtsberichterstattung dürfte es mit der Automatisierung schwierig werden. Und ich bezweifle, dass künstliche Intelligenz menschlichen Recherchierjournalismus ersetzen kann.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weil die Medien die Digitalisierung verschlafen haben, leiden sie nun finanziell. Insgesamt hat die Digitalisierung aber zu einer Demokratisierung geführt: Journis haben nicht mehr die Deutungshoheit, alle können in den sozialen Medien mitreden und Nachrichten oder Bilder verbreiten. Journis werden so vor die Wahl gestellt, echten Mehrwert zu bieten oder unterzugehen. Letzteres betrifft wohl vor allem jene, die ihren Job ausschliesslich vor dem Bildschirm machen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wenn ich mir so ansehe, was unsere mit Zwangsbeiträgen finanzierten staatsnahen Sender so von sich geben, dann schwant mir Schlimmes, wenn ich an Medienförderung denke. Es handelt sich ja um Subventionen, und welcher Branche wurde durch staatliche Subventionen jemals wirklich geholfen?

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, wenn ich mir Notizen mache. Oder wenn ich versuche, Ukrainisch zu lernen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump hat allen, die es wissen wollen, gezeigt, was ein Lügner und mutmasslicher Betrüger in einer Machtposition anrichten kann. Das sollte nicht nur den Medien eine Lehre sein, und das ist gut so. Viele haben aber nicht begriffen, dass Politiker, die anders aussehen und sprechen als Trump, aber ebenfalls Lügner und Betrüger sind und ebenso viel Schaden anrichten können wie Trump. Macht korrumpiert nun mal, ganz unabhängig von der politischen Haltung der Machtmenschen.

Wem glaubst Du?

Menschen, deren Aussagen sich in der Vergangenheit als wahr herausgestellt haben. Politiker und Journis, die zum Beispiel während Corona immer wieder Märchen erzählt, Panik geschürt und gehetzt haben, glaube ich kein Wort mehr.

Dein letztes Wort?

Ich wünsche mir, dass sich Journis wieder vermehrt einen persönlichen Augenschein von Geschehnissen machen, mit Betroffenen sprechen – und zwar auch mit den von ihnen kritisierten Personen. Reiner Empörungsjournalismus, zum Beispiel aufgrund von Äusserungen in den sozialen Medien, ist billig und erodiert das wenige Vertrauen, das traditionelle Medien noch geniessen.


Kurt Pelda
Kurt Pelda (*1965) arbeitet als Kriegsreporter über die Ukraine für CH Media. Pelda hat in Basel Wirtschaftswissenschaften studiert und 1998 promoviert. Nach dem Studium arbeitete er als Wirtschaftsredaktor und Afrika- und Südostasienkorrespondent, unter anderem für die «Financial Times Deutschland» und die «NZZ». 2017 bis 2022 arbeitete er im Recherche-Team des «Tages-Anzeiger» und als freier Journalist für die «Rundschau» von SRF. Anfang 2022 wechselte er für vier Monate zur «Weltwoche», seit Juni 2022 ist er als Kriegsreporter bei CH Media tätig. Pelda berichtet seit vielen Jahren aus Kriegsgebieten, darunter Syrien und Afghanistan, seit 2022 aus der Ukraine.


Basel, 23. August 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bildquelle: «Ukraine-Krieg: Reporter Kurt Pelda über Eindrücke von der Front». Kurt Pelda im Gespräch mit Patrik Müller. «Aargauer Zeitung», 22.10.2022 (Screenshot)

Seit Ende 2018 sind über 240 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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3 Kommentare zu "Kurt Pelda: «Journis sollten mehr mit Betroffenen sprechen»"

  1. Eigentlich scheint wie viele andere Systeme
    wie beispielsweise das Finanzwesen, die Politik, die Schulen und der Verkehr auch der Journalismus in einer Krise zu stecken. Was sich auch wieder bei diesem Interview zwischen den Zeilen lesen lässt. Dass Krisen nicht gesehen werden wollen, oder dass sie mehr oder weniger grossartig und schlau überspielt werden, ist normal. Das Dumme ist, dass die Chancen, die in Krisen stecken, so nicht genutzt werden können.

  2. Das ist mal eine Antwort auf: „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“…. Eigenständig, selbstdiagnostizierend, eigenhirngedacht und aus Sicht von „Mann von Welt“, welcher schön überall war, sagt er weise und prägnant: „Wenn ich mir so ansehe, was unsere mit Zwangsbeiträgen finanzierten staatsnahen Sender so von sich geben, dann schwant mir Schlimmes, wenn ich an Medienförderung denke. Es handelt sich ja um Subventionen, und welcher Branche wurde durch staatliche Subventionen jemals wirklich geholfen?“
    Tja, da denkt einer mal „um die Ecke“ und plaudert nicht demjenigen der Vorwoche nach – empfinde ich….

    1. Medien, die real existierende Krisen überspielen, sind für die Füxe. Sie vernebeln die Sicht auf Chancen, die es zu nutzen gilt, um Krisen enkeltauglich und heil zu überstehen. Zudem helfen sie Mächtigen – sei es im Rahmen von Kapitalismus, Kommunismus, Sozialismus oder sonst einem Mus – ihre Herrschaft zu erhalten.

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