Klaus Bonanomi: «Wenn Fakten zu Meinungen umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich»

Publiziert am 9. Juni 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Klaus Bonanomi, Wirtschaftsredaktor bei Radio SRF mit Fachgebiet Medien. Er sagt, er vermisse «die Bleiwüsten-Blätter von anno dazumal» nicht, aber heute sei ihm «vieles zu bunt und zu oberflächlich.» Viele Schweizer Medien hätten das Bedürfnis des Publikums nach positiven Beiträgen verstanden und «mit zunehmender Dauer der Krise versucht, dem konstruktiven Journalismus Raum zu geben, hilfreiche Hinweise, positive Entwicklungen und Lösungsansätze aufzuzeigen.» Die Frage nach der Automatisierbarkeit von Journalismus kontert er mit dem Vorschlag, Konzerne von Robotern führen zu lassen. Damit spare man deutlich mehr Geld als mit der Robotisierung von Journalismus.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Keines – der Frühstückstisch gehört der Familie! Nachher «HeuteMorgen», «Der Bund» und die «NZZ».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin auf Twitter aktiv, auf Facebook eine Karteileiche und auf Instagram gar nicht.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich versuche mich seither als Medienkonsument mehr zu fokussieren, auszuwählen und bewusst nicht nur Corona-Themen aufzunehmen, sondern erst recht die Welt hereinzulassen. Und neben all den Bad News immer auch positive, konstruktive Beiträge. Viele Schweizer Medien haben dieses Bedürfnis des Publikums verstanden und mit zunehmender Dauer der Krise zunehmend versucht, dem konstruktiven Journalismus Raum zu geben, hilfreiche Hinweise, positive Entwicklungen und Lösungsansätze aufzuzeigen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Die Bleiwüsten-Blätter von anno dazumal vermisse ich nicht, ebenso wenig den obrigkeitlichen Duktus der Radionachrichten. Heute aber ist mir vieles zu bunt und zu oberflächlich.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, natürlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Saša Stanišić, Olga Tokarczuk, Salman Rushdie, …

Kannst du schlechte Bücher weglegen oder musst du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann sogar Weltliteratur weglegen, ist mir gerade bei «Schuld und Sühne» passiert. Nach einem Viertel bin ich ausgestiegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit Menschen, in der Zeitung, online – die Welt ist voller spannender Geschichten und Themen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Das wird noch eine Weile dauern. Es wird noch lange Menschen geben, die es schätzen, eine sorgfältig kuratierte, liebevoll gestaltete und gut geschriebene Zeitung zu lesen. Ein lieblos abgefülltes und gelayoutetes Printprodukt voller Druckfehler und schlecht laufender Titelzeilen hingegen wird niemand vermissen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die Gefahr sind nicht Fake News an sich. Wir alle wissen, dass die Welt rund ist und der Klimawandel menschengemacht. Wenn aber Fakten zu blossen Meinungen umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich. Wenn etablierte Medien also den tausend anerkannten Klimawissenschafter:innen gleichviel Gewicht geben wie dem einen Klimaskeptiker, der knackigen Kontroverse zuliebe.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Gerne immer noch und immer wieder – Live-Radio beim Kochen, Live-Fussball am Bildschirm oder noch besser im Public Viewing. Fussball-EM, wir kommen!

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Podcasts sind nicht so mein Format; beim Joggen höre ich lieber die Vögel zwitschern. Aber gerne, wenn ich Zeit habe, etwas längeres wie Jazz & World Aktuell von SRF Kultur.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Eine grosse Herausforderung – mit unseren Angeboten auch bei ihnen anzukommen. Themen besser aus ihrer Perspektive auswählen und aufbereiten. Ein mögliches Gegenmittel: Ein Mediengutschein zum 18. Geburtstag, wie es nun in Basel geprüft wird.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Vielleicht lässt sich auch ein Konzern schon bald von Robotern führen? So könnte Pietro Supino mehr Geld sparen, als wenn er noch ein paar weitere journalistische Stellen streicht und die Texte von Robotern verfassen lässt.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch, wie die bisherige Erfahrung zeigt.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, klar – keine Gesellschaft kann darauf verzichten. Die Frage ist, ob es noch ein Geschäftsmodell dafür gibt. Wenn sich nur noch eine kleine Elite teuren, guten Journalismus leisten kann und will, bedroht dies die Gesellschaft. Dem muss die Gesellschaft, also: der Staat, entgegensteuern.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, Notizen, Einkaufslisten, Ansichtskarten…

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht.

Wem glaubst Du?

Glauben ist ein zu starkes Wort in dem Zusammenhang… Ich versuche nicht zu glauben, sondern zu verstehen. Und in allen anderen Fällen versuche ich herauszufinden, wem ich vertrauen kann.

Dein letztes Wort?

Das war’s dann wohl.


Klaus Bonanomi
Klaus Bonanomi ist über ein journalistisches Praktikum bei der Berner Zeitung in den Journalismus eingestiegen und hat danach drei Jahre als Redaktor und Moderator beim Lokalradio ExtraBE gearbeitet. Er war Nachrichtenredaktor bei Radio DRS, Redaktor bei Radio DRS3 und Redaktionsleiter beim Medienmagazin «Klartext». Seit 1992 arbeitet er bei Radio DRS / SRF als Nachrichtenredaktor, Produzent der Sendung «Rendezvous» und seit 2011 als Wirtschaftsredaktor mit Fachgebiet Medien.

Twitter: @KlausBonanomi


Basel, 9. Juni 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

Bild: Afra Gallati

2 Kommentare zu "Klaus Bonanomi: «Wenn Fakten zu Meinungen umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich»"

  1. Wie lange wird sich dieser Fake über Fake News noch halten? Und wie lange noch werden Thesen, die mindestens soviel Wahrheit enthalten, wie das, was als solche kolportiert wird, als – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – Verschwörungstheorien bezeichnet?

  2. „Wenn aber Fakten zu blossen Meinungen umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich“, sagt Klaus Bonanomi. Habe lange an diesem Satz herumstudiert.
    Ich finde den Satz, umgedreht, viel gefährlicher.
    “ Wenn aber MEINUNGEN zu FAKTEN
    umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich.“.
    Und dies kommt in den Medien viel häufiger vor. Deshalb auch das Glaubwürdigkeitsproblem.
    Erinnere mich noch gut, als ich am Tag nach dem Brexit-Entscheid des englischen Volkes auf SWR die „Europawetter“-Durchsage anhörte (unvergesslich). Die Wetter-Frau sagte: Madrid, schön, 22 Grad, Brüssel, grau, 18 Grad, London – die haben nix andres verdient – Regen, 12 Grad.
    U n g l a u b l i c h.
    Und erst jetzt ebenfalls von deutschem Politiker und deutschen Medien abgesondert nach dem nicht eintreten der Schweiz auf das Rahmenabkommen. Das „Gebell“ der SVP wirkte.
    Und dies in einer Nachrichtensendung.
    Gebell ist also, wenn in der Demokratie andere Meinungen gelten. Hunde sind dies also, die SVP. Die bellen. Die haben keine Standpunkte und Argumente, die bellen einfach. Underdogs – weil nicht EU-Konform….
    Meinungen werden als Fakten verkauft. Leider auch bei der SRG und den Printmedien in der Schweiz.
    Deshalb, ja gerade deshalb wirkt die SRG nach aussen immer unsympathischer. Ein Bundesratslohn für die Programmdirektorin (400’000 Fr), für den SRG-Präsi noch mehr inklusive dicker Boni. Für die Leistung, mit Zwangsgebührengeld 13 Millionen Fr. Minus zu machen, gibts fette Boni.
    Da könnte die SVP-Gebührenhalbierungs-Initiative greifen. Das goutiert keiner mehr. Die „No-Billag“-Initiative war (im nachhinein betrachtet) zu radikal. Eine Halbierung der Gebühren ist massvoll. Reicht für guten Info-Journalismus. Aber alte Ami-Filme aus den 70er- Jahren zu verbreiten, das ist nicht Aufgabe meiner Gebührengelder. Oder Shows, Geblödel, Gedudel….. Das bringen auch die Privaten fertig.
    Das es so viel Skeptik für die Medien (allgemein) heute gibt, ist (neben der CEO-Kassiererei bei SRG) u.a. folgender Satz zu verdanken (leider immer wie mehr):
    „Wenn aber Meinungen zu Fakten umgedeutet werden, dann wird’s gefährlich.“

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