Karoline Arn: «Die Qualität der Gespräche ist virtuell nicht die gleiche»
Das 202. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Karoline Arn, Gesprächsleiterin beim «Tagesgespräch» von Radio SRF, Autorin und Regisseurin. Sie sagt, früher sei es in der Medienwelt vor allem einfacher gewesen: «Rückblickend denke ich, es war einfacher, nur das Blättermeer und die elektronischen Medien zu überschauen, obwohl ich weiss, dass dies auch früher illusorisch war …» Sie ist überzeugt, dass es, solange es Menschen gibt, auch Geschichten geben werde: «Diese werden festgehalten in der Erinnerung, aufgeschrieben, gemalt oder gesungen, verfilmt oder getweetet.» Sicher sei aber: «Die Geschichten sind es, die überleben.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
SRF4 News, «Der Bund» und ein Blick auf Social Media.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Facebook ist etwas verwaist, Twitter konsumiere und speise ich regelmässig, auf Instagram werde ich von meiner Tochter markiert und ich unterhalte mich damit im Tram.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Fast alles kann fast überall erledigt werden. Ich schätze die physische Zusammenarbeit im Team. Das persönliche Treffen mit Gesprächsgästen ist mir wichtiger geworden, denn die Qualität der Gespräche ist virtuell nicht die gleiche.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Vielleicht einfacher? Rückblickend denke ich, es war einfacher, nur das Blättermeer und die elektronischen Medien zu überschauen, obwohl ich weiss, dass dies auch früher illusorisch war …
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Solange es Menschen gibt, wird es Geschichten geben. Diese werden festgehalten in der Erinnerung, aufgeschrieben, gemalt oder gesungen, verfilmt oder getweetet. Die Geschichten sind es, die überleben.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Mehr als Kurzfutter.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Wenn ein Buch zu Ende ist, schliesst sich eine Welt, was ich oft bedaure und die letzten paar Seiten nicht mehr lese, um das Ende aufzuhalten. Bei Büchern, die mir nicht gefallen, ist der Abbruch weit vor dem Ende, das Bedauern dagegen klein.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Zufällig, im Gespräch mit Menschen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
So lange wie es Schallplatten gibt.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Herausforderung, würde ich sagen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Immer gerne, wenn auch häufig zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Newscast BBC, «Echo der Zeit», «Radio Tatort» …
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Die News müssen die Menschen berühren, mit ihrer Lebenswelt in Verbindung gebracht werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Fakten, Zahlen, Statistiken, Resultate, Kuchendiagramme usw.: Ja.
Einschätzungen, Reportagen, Analysen, Recherchen usw.: Nein.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Es ist eine Erweiterung.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Medien sind die Verbindungen zwischen den Menschen und der Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Es gilt, ihnen Sorge zu tragen. Hierfür braucht es Lösungen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich habe immer noch (auch) ein Notizbuch. (Im Compi kann man keine Telefonzeichnungen machen.)
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Hinkt da der Vergleich mit Paracelsus? «Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.»
Wem glaubst Du?
Ich vertraue, respektiere, anerkenne, hinterfrage, widerspreche, hoffe, untersuche, ergründe, behaupte, reklamiere, denke, verstehe oder fühle lieber.
Dein letztes Wort?
Ich hoffe, dass bei allen Antworten, die wir geben, immer eine Frage übrig bleibt.
Karoline Arn
Karoline Arn ist in Münchenbuchsee aufgewachsen, hat Geschichte und Philosophie studiert und das Nachdiplomstudium Journalismus am MAZ absolviert. Mit kurzen Unterbrüchen arbeitet sie seit 2002 in verschiedenen Funktionen bei Radio SRF. Aktuell als Gesprächsleiterin beim «Tagesgespräch». Als Autorin verfasste sie unter anderem die Biografie von Elisabeth de Meuron, als Co-Regisseurin entstand etwa der Dokumentarfilm «unerhört jenisch».
https://www.karoline-arn.ch
Basel, 9. November 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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Ein Kommentar zu "Karoline Arn: «Die Qualität der Gespräche ist virtuell nicht die gleiche»"
Okay: früher war vieles einfacher (und wahrscheinlich zugleich wirkungsvoller). Die Welt werden weder die Kirchen (Hartmut Rosa meint mit der Religion wohl kaum sie!) noch die Medien, und auch nicht die Politik, die Wirtschaft oder die Wissenschaft retten. Vielleicht werden es die Langsamkeit und die Schönheit schaffen?