Karina Rierola: «Ich sehe heute eine grössere Vielfalt, trotz Lamento über den angeblichen ‹Mainstream›»
Das 280. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Karina Rierola, Fernsehjournalistin und Leiterin der SRF-Auslandredaktion in Zürich. Sie sagt: «Wir müssen wohl alle – als Eltern, als Lehrkräfte in den Schulen und zuvorderst wir als Profis im News-Business – besser aufzeigen, warum Qualitätsmedien für Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaat wichtig sind.» Das Problem: «Fake News bringen uns eine Menge Mehrarbeit und unserer Branche gegenüber eine Menge Misstrauen – beides ist nicht lustig.» Sie empfindet es «als enorme Befreiung» nach Interviews nicht mehr selbst Transkripte erstellen zu müssen: «Ich spiele ein Audiofile raus und habe wenig später ein brauchbares KI-basiertes Transkript inklusive genauer Time-Codes zur Hand, was für eine Zeitersparnis!» Trotzdem warnt sie davor, den «Faktor Mensch» für den «kreativen Teil unserer Arbeit» zu unterschätzen: «Als Team mit unterschiedlichen Persönlichkeiten sind wir Robotern hoffentlich noch lange überlegen.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
«NZZ» und «Tages-Anzeiger», immer noch in Printversion. Das «HeuteMorgen» von Radio SRF läuft meist vorher im Badezimmer. Reicht die Zeit – sonst im Büro – überfliege ich den EFE-Tagesausblick und die Abo-Apps der bürgerlich-liberalen «La Vanguardia» und des linksliberalen «ElPaís». Im Wissen, dass unser Zürcher Ausland-Team die etwas andere angelsächsische und deutschsprachige Medienwelt bereits im Blick hat.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Ich hab’s nur mit X/Twitter, Bluesky und LinkedIn, poste zurückhaltend, meist nur meine Dossier-Beiträge. YouTube nutze ich bei der Arbeit als Fundus bei Bild-Notstand, privat nur für Musikvideos. Auf Facebook war ich nie, auch nicht auf Insta/TikTok/BeReal. Das überlasse ich meinen Teenie-Kindern und Personen, die gern ihr Privatleben zeigen. Mein Ding ist das nicht. Aber zugegeben: dass mich die Teenies auf SRF-Insta-Storys wahrnahmen, schmeichelte mir.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Sehr stark. Beim Einstieg in die Profi-Medienwelt vor 25 Jahren rissen wir am SDA-Desk noch Agenturfetzen von Papierrollen, blätterten im Staatskalender nach Kontakten, hatten Telefone und Fax-Geräte herumstehen, Smartphones waren Science-Fiction. Der Medienalltag ist rasanter geworden, der Publikationsdruck auch, dafür wurden die Recherche-Möglichkeiten einfacher und vielfältiger. Etwas vielfältiger wurden auch die Redaktionen: wir Secondas waren damals eine Seltenheit, dabei kennen wir die Schweiz, Europa, die Welt oft noch von einer anderen Seite – eigentlich ein journalistischer Mehrwert.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Die Löhne waren besser, heisst es. Es war sicher vor allem anders. Im Print gab’s mehr Medientitel, nicht zwingend mehr Qualität und Vielfalt. In TV und Radio überlebten Langweiler-Sendungen früher wohl nur, weil’s noch keine private Konkurrenz gab. Ich sehe heute eine grössere Vielfalt an Formen und Kanälen, an Zugang und Zugängen, auch an Inhalten, trotz Lamento über den angeblichen «Mainstream». Vielleicht war früher die lokale und regionale Print-Berichterstattung tatsächlich breiter, heute braucht’s grössere Anstrengungen, um sie zu erhalten, obwohl gerade sie in der direkt-demokratischen Schweiz wichtig wäre.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Klar. Das sage ich auch als Journalistin im audiovisuellen Bereich sehr dezidiert.
Was soll man heute unbedingt lesen?
RTFM aka «Read the fucking manual» – immer, wenn man bei neuen Tools wieder ansteht. Ansonsten muss ich passen, besonders punkto Literatur, ich bring’s leider maximal auf ein Buch pro Jahr.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich nehme ja kaum eines zur Hand, und kann es erst noch problemlos weglegen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Oft durch Zufall: von Nachbarinnen, Kollegen und Freundinnen, von den Kindern – die erzählten mir zum Beispiel als erste von einem gewissen Andrew Tate. Also aus der analogen Welt, doch auch in den Sozialen Medien ploppt dank unergründlicher Algorithmen einiges auf.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Länger als uns die Geschäftsleitungen in der Branche prophezeiten und weiterhin sagen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Inwieweit sie eine Gefahr sind, darüber haben sich viele kluge Köpfe Gedanken gemacht. Ich denke schon, weiss aber vor allem: Fake News bringen uns eine Menge Mehrarbeit und unserer Branche gegenüber eine Menge Misstrauen – beides ist nicht lustig.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio höre ich nur morgens linear. Fernsehen nur bei Sportübertragungen, Breaking News, Events à la ESC und auch bei meiner Lieblingssatire-Sendung «Polònia» im katalanischen TV, ich kann sie oft kaum erwarten. Ab und zu verspüre ich auch den seltsamen Drang vom «live herumzappen». Aber sonst: selbst die TV-Sendungen, für die ich arbeite – «Tagesschau» und «10v10» – schaue ich zu 99 Prozent zeitversetzt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Nein. Einzige Ausnahme: das «Echo der Zeit» – läuft nicht täglich, aber doch regelmässig beim Kochen.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Dass wir zu wenig Menschen erreichen, dass wir einiges anders machen müssten. Was? Die Frage überfordert mich. Vielleicht mehr Good News und «constructive journalism» bringen? Wir müssen wohl alle – als Eltern, als Lehrkräfte in den Schulen und zuvorderst wir als Profis im News-Business – besser aufzeigen, warum Qualitätsmedien für Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaat wichtig sind.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Sicher nicht vollständig, und hoffentlich nicht zu einem derart grossen Anteil. Roboter bringen sicher gute Artikel hin. Doch den Faktor Mensch würde ich für den kreativen Teil unserer Arbeit nicht unterschätzen: wir sind sehr komplexe Wesen, denken analytisch, kritisch, assoziativ, haben Gefühle und alle Sinne offen – als Team mit unterschiedlichen Persönlichkeiten sind wir Robotern hoffentlich noch lange überlegen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder-noch. Ich empfinde es als enorme Befreiung nach längeren Interviews nicht mehr selbst Transkripte erstellen zu müssen: Ich spiele ein Audiofile raus und habe wenig später ein brauchbares KI-basiertes Transkript inklusive genauer Time-Codes zur Hand, was für eine Zeitersparnis! Die gewonnene Zeit kann ich für Recherche, Bildersuche, inhaltliche Vertiefung einsetzen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Die Debatte überlasse ich anderen. Als Journalistin, die dank Gebührengeldern ihren Lohn bezieht, halte ich mich zurück.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
S’Poschtizädeli immer noch! Bei der Arbeit kommen ToDo-Einträge auf ein Papier oder sogar in meine Papier-Agenda, die ich ansonsten nur noch für die Ferien brauche, dort für eine Art Chronologie der Reise, Eindrücke, Erlebnisse.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump war für die Medien lange interessant, anders, unterhaltsam, generierte Interesse und Klicks. Der Effekt lässt mittelfristig womöglich nach – wie das mit allen Menschen passiert, die mal faszinierten oder empörten und an die man sich gewöhnt hat.
Wem glaubst Du?
Einen Vertrauensvorschuss bringe ich Journalisten und Journalistinnen sowie Medien entgegen, die ihre Quellen transparent machen, das Handwerk beherrschen. Auch vertraue ich den professionellen Nachrichtenagenturen – ich weiss, wie sie arbeiten. Das Überprüfen von Bildern, Aussagen, Fakenews braucht Zeit, die man uns im Newsbusiness nicht mehr gibt. Gut gibt’s Investigativportale à la Bellingcat, OSINT und Bilderprüfprogramme.
Dein letztes Wort?
Slut! ¡Ya está!
Karina Rierola
Karina Rierola ist Fernsehjournalistin in der SRF-Auslandredaktion in Zürich, die sie seit September 2023 auch leitet. Sie produziert Nebenausgaben der Tagesschau, ist regelmässig als Sonderkorrespondentin im Einsatz, beobachtet Iberien und teils auch Skandinavien. Zuvor war sie für die SDA tätig. Sie studierte Geschichte, Publizistik und Spanisch an den Universitäten Zürich, Barcelona und Alicante. Als Tochter einer Dänin und eines Katalanen spricht sie «Dänisch, Katalanisch, Mundart: ich hab’s mit Minderheiten-Sprachen, lernte aber auch die anderen rundherum».
https://www.srf.ch/news
Basel, 8. Mai 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 270 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Karina Rierola: «Ich sehe heute eine grössere Vielfalt, trotz Lamento über den angeblichen ‹Mainstream›»"
Auf die Frage „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“ eine starke Antwort von Fr. Rierola: „Die Debatte überlasse ich anderen. Als Journalistin, die dank Gebührengeldern ihren Lohn bezieht, halte ich mich zurück.“
Sie ist sich bewusst, dass Sie nur durch die Zwangs-Gebühren von den Haushalten in der Schweiz (und es werden immer mehr) und von Firmen ihren jetzigen Lohn erhält. Das ist schon mal etwas. Oft nehmen SRG-Angestellte dies einfach als gottgegeben hin. Sie die Ober(lehrer)Menschen – wir die Geld-Melkkühe. Oh nein. Ob wohl Gilles Marchand (SRG-Boss) mit einem Zwangsgebühren -Lohn von weit über 500’000 Fr (mehr als ein Bundesrat) dies auch so (ein-)sieht? Auch nach seinem angekündigten Abgang kann er als Rentenbezüger von der zwingenden Abgabe auf ewig fürstlich profitieren und höfisch leben.
Weniger passend finde ich die Aussage von Fr. Rierola, wenn sie bei „Mainstream-Medien“ über ein „Lamento“ und „Angeblichkeit“ äussert.
Ja – es gibt „Mainstream-Medien“ (und SRG/SRF gehört zwingend dazu). Gabs schon immer. Nur das heute die „Grossen“, auch international, die Masse, den „Mainstream“ lenken zu versuchen (anstelle wie früher mit massgebender Information zu versorgen). Mit Auslassungen, mit Einseitigkeit, mit Ideologie. Auch international traugie Beispiele wie «die bodenlose Frechheit», wenn ARD und ZDF Sahra Wagenknecht canceln. Denn die Chefin des BSW ist bei den Sendungen zur Europawahl nicht erwünscht. Oder wenn die EU den Covid-Impfstoff von Astra Zeneca verbietet und es für die ARD dabei nicht um «Sicherheit», sondern um «kommerzielle Interessen» geht (wollte die Tagesschau-Märchenstunde den Deutschen weismachen….) Auch wenn bei SRF in der „Arena“ (seit Moderationsbeginn von Sandro Brotz) ein Balthasar Glättli von den Grünen 26 x auftreten durfte, Jürg Grossen von den Grünliberalen 21 x , aber ein Christian Imark von der SVP nur 10 x und Präsident der grössten Schweizer Partei (SVP) Mario Chiesa nur 9 x; wenn eine SP-Jaqueline Badran wohl eine Wohnung auf dem SRG-Leutschenbach-Campus haben muss, so viel kommt sie am Sender; dann lässt das die „Mainstream“-Medien im allerschlechtesten Licht erscheinen, die Konsumenten (welche bis auf 20 zählen können) bemerken es langsam, wachen auf und wenden sich, als logische Schlussfolgerung ab.
Deshalb sind die Worte „Angeblich“ und „Lamento“ von Fr. Rierola zu diesem Themenkreis nicht angebracht.
Alles hat seine Zeit. Und auch „Gewisses“ in der medialen Branche hat das Datum schon längst überschritten…..
Was „Mainstreammedien“ betrifft – nebenbei bemerkt: der Begriff „Massenmedien“ würde mir besser gefallen – so sehe auch ich eine grosse Vielfalt. Allerdings vor allem quantitativ: scheint es doch immer noch mehr davon zu geben. Qualitativ betrachtet, berichten die Massenmedien in etwa alle vom Gleichen. Und vor allem vom Gleichen nichts.