Karin Müller: «Es war früher alles langsamer. Viel, viel langsamer. Haben wir deswegen besseres Programm gemacht?»

Publiziert am 13. Februar 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Karin Müller, Chefredaktorin von Telebasel und legendäre DRS3-Moderatorin, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit Facebook, Twitter, Instagram sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Dem Journalismus stellt Müller ein gutes Zeugnis aus. Handlungsbedarf sieht sie vor allem bei den Businessmodellen.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Newsapps, Zeitungen, Radio, FB, Twitter, elektronisches Postfach, persönliches Gespräch.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Postings ab und an auf FB. Twitter ist für mich ein Newsfeed und Insta? Da folge ich Ronaldo, Lady Gaga und «The Ellen Show». Um zu schauen, was die Grossen machen.

Ich hole mir mehr ab, als ich selber gebe.

Einen Respekt habe ich noch nicht abgelegt. Die Gleichzeitigkeit der Dinge: Du kannst ohne schlechte Intention einen Tweet oder Post absetzen und weil gleichzeitig etwas geschieht, was deine Worte in einer Art und Weise konterkariert, in einen anderen Botschaftskontext rückt, steht das Ganze plötzlich total schief in der Landschaft. Diesen Respekt habe ich noch nicht abgelegt.

Und wie hält es die Fernsehfrau mit Youtube?

Trotz Youtube: Ein gut kuratiertes TV-Programm mit konsequenter Online-Verknüpfung hat Erfolg. Das sehen wir bei Telebasel klar bei den Reichweiten. Im letzten Jahr wieder plus 4 % im TV und plus 288 % Seitenaktivitäten Online bei telebasel.ch (vergl. 2018 mit Vorjahr, Quellen Mediapulse und Google Analytics). Wir wachsen stetig und sind online die Nummer zwei hinter der Basler Zeitung. Persönlich schaue ich Musikbios auf Youtube. Und plötzlich ist spät in der Nacht. Nachteile sind: die Youtube-Quelle ist nicht immer eindeutig, die Clips mit computergeneriertem Inhalt Horror. Aber sicher – auch Youtube ist eine Konkurrenz.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Das ist eine gute Frage, die nach den schlechten Büchern. Ich fühle mich unterdessen so emanzipiert vom Studium, dass ich ein schlechtes Buch bei grosser Enttäuschung sogar wegwerfe. Das konnte ich lange nicht. Ich lese sie also auch nicht immer zu Ende und versuche, erst gar keine schlechten Bücher zu wählen. Gelingt nicht immer. Dann geh ich kurz zurück zu meiner Allzeit-Bestenliste für exquisiten Sprachgebrauch: Thomas Mann, Stefan Zweig, Javier Marias.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Parallel überall. Je nach «Fall».

Was muss man unbedingt gelesen haben?

«Mein Herz so weiss», Javier Marias.

Papierbuch oder Kindle?

Papier.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

20 Jahre. Als Charakterblatt. Grössere Auflage online, kleinere Auflage gedruckt für Liebhaber. Es muss aber was drinstehen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ja, klar – ist ja schon von Berufes wegen.

Wie lange gibt es noch Fernsehgeräte in der guten Stube?

Für die Klassiker unter uns sicher noch länger. Ist ja auch nicht die wirkliche Frage. Screens, Beamer, Virtual Reality, second screens und anderes – das ist ja schon hier. Ein paar Menschen stellen dann beim nächsten Wohnungswechsel auf VR um. Und andere lieben es, einen Riesenscreen mit mega Sound zu haben. Das klassische Fernsehgerät wird verschwinden, der Content aber nicht. Das ist die Hauptsache.

Hörst oder siehst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Kaum. Zeitversetztes Audio in Sequenzen schon. Aber Pods, abonniert, kaum.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Netz.

Von Freunden.

Auf Reisen.

Wenn ich nix tue. Was leider selten ist.

In Communities, wo ich Gast bin.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war früher alles langsamer. Viel, viel langsamer. Haben wir deswegen besseres Programm gemacht? Manchmal. Auch hier. Ich würde aufhören in schwarz-weiss zu denken. Früher besser, heute schlecht etc.

Die Medien sind nicht so schlecht, wie sie schlecht geredet werden. Nur, weil es mehr Möglichkeiten gibt, heisst das nicht, dass die Qualität sinkt. Der Diskurs steigt, die Zerstreuung auch – und die Untreue der Nutzer.

Das heisst, dass man mehr geben muss, mehr machen, reinstecken, recherchieren oder ansprechen. Man buhlt um die Aufmerksamkeit von Menschen. Das ist ein grosses Gut. Mehr Medien haben bisher immer mehr Hunger auf noch mehr Medien gemacht. Wir brauchen Medien für einen demokratischen Diskurs, Meinungsbildung, Einschätzung. Die Quellen sollten immer sichtbar sein. Sind sie es nicht, dann wird es gefährlich. Oder dann, wenn Firmen, Politiker oder andere Interessengruppen Medien kaufen und Inhalte ohne verfolgbare Verantwortung oder Quelle verbreiten.

Das heisst in der Folge, dass die Medienmacht der Superbrands (FB, Google, Twitter, Insta, WhatsApp oder Snapchat ) mit ihren Wahnsinnsreichweiten und ihren unklaren Algorithmen auch mit Vorsicht zu geniessen sind. Zusätzlich zur Diskussion, dass unsere Inhalte dort gratis weitergeben werden. Stoppen kann man das nicht. Einschränken schon. Wenn für Amazon-Produkte die Mehrwertsteuer eingezogen wird, finde ich das gut für die lokalen Handel, vor allem für eine Grenzregion wie die Nordwestschweiz.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Jetzt mal Hand aufs Herz: Waren wir nicht alle in einem gewissen Alter «News-Depriviert»? Ich habe doch als Jugendliche ungefiltert die Infos meiner Community genutzt und bin an eine J-18 Velodemo gegen die Umfahrungsstrasse in Aesch. Habe ich mich da vorher abschliessend informiert? Heute könnte ich das besser und schneller als in den 80er-Jahren. Ich lebte also damals auch in meiner Bubble. Zeitunglesen fing mit dem Studium an, die Auswahl der Themen und den Stil der Texte fand ich zum Teil schwer nachvollziehbar oder sperrig. Radio war da das moderne, unmittelbarere Medium, die «andere» Ansprache. Wir haben uns früher Radiosendungen auf Kassette ausgetauscht, wenn wir irgendwo auf Reisen waren. Gleich wie wir heute Inhalte schätzen und teilen.

Wenn «news-depriviert» heisst, nix mehr von gar nix mehr wissen wollen, dann kann ich mir das kaum vorstellen.

Uninformiert ist man eine Marionette. Das muss jeder für sich entscheiden. In einem Land, in dem man gut informiert sein kann, würde ich immer die unabhängige Variante wählen. Also informiert zu sein.

Sind digitale Assistenten wie Alexa oder Google Home eine neue Chance – oder eine Gefahr für die Menschheit?

Oh, ich brauch zum Glück ganz wenig «Haushaltsgeräte». In der «ZEIT» habe ich mal gelesen, welche Audioprotokolle Alexa ins Mutterhaus zurückschickt. Da würde ich jetzt mal auf diesen Service grossflächig verzichten und ohne Alexa privat funktionieren.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Er verlangt einfach immer mehr. Guter Journalismus braucht aber auch gute Business-Modelle. Da seh’ ich für viel guten Journalismus immer wieder Handlungsbedarf.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich beschrifte Herzchen mit «Sali Schatz» und schreibe Einkaufslisten.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht für Amerika, I guess, für die Wirtschaft und das Wachstum. Donald Trump ist vor allem für Donald Trump gut.

Wem glaubst Du?

Zwei Quellen.

Dein letztes Wort?

Give me a break. Das ist Radiosprache. Breaks sind die Wortteile zwischen der Musik. Gib mir einen Break. Gib mir die Möglichkeit, noch etwas zu erzählen.


Karin Müller

Karin Müller hat ihre ersten Sporen bei Radio Basilisk abverdient und war von 1989 bis 2002 eine der prägenden Moderatorenstimmen bei Radio DRS3. Nach einem Abstecher zu Radio Pilatus kehrte sie zur SRG zurück und moderierte auf DRS1 Morgen- und Nachtsendungen. 2008 übernahm sie die Geschäftsführung und die Chefredaktion von Radio 24. Seit 2014 ist sie Chefredaktorin des Basler Regionalfernsehsenders Telebasel, und zwar online und TV.

www.karinmueller.ch


Basel, 13. Februar 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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