Julia Schwamborn: «Es ist mir ein Rätsel, weshalb es gedruckte Tageszeitungen noch gibt»

Publiziert am 14. September 2022 von Matthias Zehnder

Das 194. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Julia Schwamborn, Videojournalistin beim Basler Lokalfernsehsender «TeleBasel». Sie liebt ihren Job als Lokaljournalistin: «Wahnsinn, wie viele spannende Menschen und Dinge es gibt, von denen man sonst nie erfährt!» Deshalb ist sie auch froh, wieder ohne Zoom und Teams arbeiten zu können: «Es ist einfach ein Irrglaube, Interviews seien im virtuellen Raum gleich ergiebig wie im Echten.» Obwohl sie selbst Social Media Formate entwickelt, sieht sie die sozialen Medien kritisch: Instagram habe ihrer Aufmerksamkeitsspanne geschadet und sie abstumpft. Sie findet: «Wenn ich mir anschaue, wie viele Frauen heute im Gegensatz zu früher im Journalismus arbeiten, dann war früher definitiv vieles schlechter.» 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke unter der Woche nicht. Den ersten Kaffee gibt’s auf der Redaktion, wo ich mich durch Lokalmedien scrolle und lausche. Telebasel, Regionaljournal Basel, «bzBasel» und «BaZ». Das «BaselBriefing» von «Bajour» gebe ich mir manchmal noch mit halb zugekniffenen Augen vor dem Aufstehen. Am Wochenende oder im Urlaub nehme ich gerne die «Zeit», oder das «Reportagen»-Heft zur Hand.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Zu Instagram pflege ich eine Hass-Liebe. Als Millennial habe ich Instagram natürlich immer intus, obwohl es meiner Aufmerksamkeitsspanne schadet und abstumpft. Meinem Blutdruck und dem Glauben an die Menschheit zuliebe, halte ich mich von Facebook-Kommentarspalten fern. Auf Twitter motze ich dann aber trotzdem gerne mal mit, poste und reposte tolle Recherchen oder erfreue mich am Humor meiner Berufskolleg:innen. Es gibt viele lustige Menschen auf Twitter. Ich gehöre nicht dazu.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Weniger Händeschütteln, dafür mehr Zoom-Meetings. Dem kann ich nur wenig abgewinnen. Es ist einfach ein Irrglaube, Interviews seien im virtuellen Raum gleich ergiebig wie im Echten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Um diese Frage aus der Erfahrung heraus zu beantworten, bin ich schlicht zu jung. Wenn ich mir allerdings anschaue, wie viele Frauen heute im Gegensatz zu früher im Journalismus arbeiten, dann war früher definitiv vieles schlechter. Ich bin manchmal aber ein wenig neidisch auf die finanziellen Ressourcen, die man vor der Jahrtausendwende im Journalismus zur Verfügung hatte. Ich träume von Zeiten, in denen Journalist:innen noch die Welt bereisten, von der Bevölkerung geschätzt wurden und Ende des Monats obendrauf einen anständigen Lohn auf dem Konto verzeichneten. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«Die Zeit», längere Texte, Weintrauben.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bitte verurteilt mich nicht, aber mein Bücherregal besteht zur Hälfte aus Büchern, die mich nach dem ersten Drittel gelangweilt haben. Also nein, ich habe absolut kein Problem damit, das Ende einer langweiligen Geschichte nicht zu erfahren. Dasselbe gilt für Filme und Serien, die ich weitaus mehr konsumiere als Romane. Wahrscheinlich liegt das an meiner Aufmerksamkeitsspanne, die sich seit Social Media erheblich verschlechtert hat.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei meinem Job als Lokaljournalistin. Wahnsinn, wie viele spannende Menschen und Dinge es gibt, von denen man sonst nie erfährt! Ehrlich gesagt ist das mein Treibstoff, der mich durch den Journi-Alltag manövriert.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Es ist mir ein Rätsel, weshalb es gedruckte Tageszeitungen überhaupt noch gibt. Liest die noch wer? Das gilt nicht für Wochenzeitungen und Magazine, da bin ich der Meinung «print is not dead». 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Riesengefahr. Dank sozialer Medien kann sich heute jede:r Journalist:in, Content Producer oder Blogger:in nennen und seine:ihre Ansichten mit der Welt teilen. Was Nährboden für Diversity ist, kann auch eine Retourkutsche für seriöse Berichterstattung sein. 

Gefährlicher finde ich allerdings das Phänomen der Filter-Bubble. Wegen des individuell angepassten Algorithmus werden gegensätzliche Informationen konsequent ausgeblendet. Die Konfrontation mit Neuem, wie sie in der klassischen Newsrezeption beim linearen Konsumieren einer Fernsehsendung oder beim Durchscrollen eines Online-Portals gängig ist, fällt weg. Die angezeigten Inhalte werden so als relevanter und verbreiteter wahrgenommen, als sie es in der Öffentlichkeit tatsächlich sind. Letztlich haben User:innen möglicherweise einen sehr eingeschränkten Blick auf die Gesellschaft und ihren persönlichen Interessen entsprechendes Wissen – und sind so anfälliger für Fake News. 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich habe keinen Fernseher. Inhalte schaue ich über die Mediathek. Radio höre ich nur durch Zufall. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Zur Information höre ich am liebsten «Hotspot» und «Echo der Zeit» aus dem Hause SRF und «NZZ Akzent». Zur Unterhaltung «Zeit Verbrechen» oder «Zivadiliring».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Gesellschaft ist das alarmierend. Die Hauptzutat für eine funktionierende Demokratie ist die freie Meinungsbildung. Für jene müssen den Stimmbürger:innen relevante Informationen, Positionen und Perspektiven bekannt sein. Damit sie ihre Meinung an der Urne kundzutun und damit in der Gesellschaft einen Beitrag leisten. 

Für die Medien bedeutet es, dass sie ihre Berichterstattung überdenken müssen. 16 – 29-Jährige halten sich vorwiegend auf sozialen Medien auf, beziehen dort Informationen. In deren Newsfeed werden Nachrichtenfragmente zu Terror und Wahlergebnissen zwischen diversen anderen Inhalten eingereiht, wie Ferienfotos oder Katzenvideos. Das macht es natürlich schwierig. Trotzdem bin ich der Meinung: Wer konstruktiv, abgerundet und informativ berichtet und sich auf Augenhöhe mit den User:innen begibt, nicht vom Elfenbeinturm herab spricht, schafft es, gehört zu werden. Denn die meisten News-Deprivierten – und das beweisen Studien des fög gleichermassen – zeigen Interesse an spezifischen Themen (Diversity, Klima, Systemkritik, Gleichberechtigung etc.), sodass die Möglichkeit besteht, sie wieder an einen ausgewogeneren Nachrichtenkonsum heranzuführen. Das, in dem sie an Angebote gelangen, die ihrem Nutzungsverhalten online und auf sozialen Medien entsprechen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich finde, das lässt sich pauschal nicht beantworten. Inhalte, die sich in ihrer Form so stark ähneln, dass sie gerade so gut ein Roboter schreiben könnte, sollen gerne an die Technik ausgelagert werden. Corona-Zahlen zum Beispiel. Dann haben Journalist:innen wieder mehr Zeit für tiefschürfende Recherchen und Hintergrundgespräche, die ein Roboter (noch) nicht übernehmen kann.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Sie zwingt den Journalismus, sich zu verändern und zu hinterfragen. Das müssen andere Branchen auch.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Notizen, wenn ich unterwegs auf Dreh bin, werden von Hand geschrieben. Aus dem einfachen Grund, dass es schwierig ist, einen Laptop überall mithin zu schleppen. Ansonsten störe ich Medienkonferenzen gerne mit lautem Tastaturgehämmer. Da bin ich schlicht schneller als von Hand und kann mir meine eigenen Gedankenfragmente und gehörten Satzfetzen mitschreiben.

Und sowieso: Ich mag Tasten. Ich gehöre zur Sorte Mensch, die zu Hause eine alte Schreibmaschine stehen haben. Nicht nur zur Deko, sondern für Geburtstagskarten. Die schreibe ich mit einer Triumph, weil ich das Klicken der Tasten und das «Bing!» am Ende der Zeile mag. Meine Oma war die schnellste Schweizer Schreibmaschinenschreiberin ihres Jahrgangs. Das finde ich beeindruckend. 

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. So wie jeder andere machtgierige Narzisst, der Fake News äussert. 

Wem glaubst Du?

Zuallerletzt meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Man sollte nicht immer das letzte Wort haben wollen, sagt zumindest mein Chef.


Julia Schwamborn
Julia Schwamborn hat in Chur Multimedia Production studiert. Während des Studiums arbeitete sie als News-Redakteurin für Lokalradios und schrieb als Freelancerin Texte für die «BaZ». Danach wechselte sie ans andere Medienufer zum «SRF Kulturplatz». Seit 2021 arbeitet sie beim Lokalfernsehsender «Telebasel», wo sie als Videojournalistin TV-Beiträge produziert, Social Media Formate entwickelt und den «Talk» moderiert.
https://telebasel.ch/


Basel, 14. September 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Julia Schwamborn: «Es ist mir ein Rätsel, weshalb es gedruckte Tageszeitungen noch gibt»"

  1. Frage: „Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?“
    Antwort: „Es ist mir ein Rätsel, weshalb es gedruckte Tageszeitungen überhaupt noch gibt. Liest die noch wer?“
    Erschütternde Schock-Antwort. Nicht nur ich, auch viele Andere Leser schätzen die Papier-Tageszeitungen. Damit sind Rituale verbunden. Tagesstrukturen, Halt, Freude. Und Augenschonung. (OK – die Antwortende hat schon in ihren jungen Jahren eine Brille auf der Nase…..).
    Spielen wir doch das Eine nicht gegen das Andere aus. Freies Entscheiden für Alle und Alles.
    Die „Printler“ sollen/wollen/dürfen ein wenig mehr in den Geldbeutel langen (Durschnitt Jahresabo CH-Tageszeitungen über 500 Fr. pro Jahr) für ihr tägliches Vergnügen; die digital Gestressten bekommen es etwas günstiger (Durchschnittlich 300 Fr. pro Jahr).
    „Gutes bleibt“ – der Slogan von „WDR4-Radio“ darf auch hier zur Anwendung kommen:
    Papier und/oder Digital –
    (noch) haben wir die freie Wahl –
    (und über Inhalt reden wir ein anderes mal…..)

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