Judith Wipfler: «Wir sollten uns nicht kirre machen lassen, sondern lieber einen Gang runter schalten»

Publiziert am 19. Dezember 2018 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Judith Wipfler, Leiterin der Religionssendungen auf Radio SRF, über ihren persönlichen Mediengebrauch, den Umgang mit Handy, Facebook und digitale Assistenten und die Zukunft des Journalismus.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Radio SRF 2 Kultur mit den «Heute Morgen» Nachrichten, eine Prise SRF 4 News und im Bad noch etwas Deutschlandfunk.

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Text, Text, Text.

Was ist aktuell das Hintergrundbild auf Deinem Handy?

Ein glitzernd buntes Kamel, das an unserem letzten Weihnachtsbaum hing.

Und wie tönt der Klingelton?

Das ist peinlich: Da habe ich so einen vorprogrammierten 0815 Ton gewählt, aber eh meistens abgestellt, weil der Vibrationsalarm allein schon nervig genug ist.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Nach spätestens 30 Seiten ist klar, ob die Sache lohnt oder «weg kann».

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Damals bei 9/11 war das Internet derart überlastet, dass bei uns im Radio nur noch diejenigen surfen durften, die für die News-Sendungen arbeiteten. Also schauten wir CNN. Das wäre heute sicher anders, und wie alle würde ich auf Newsportalen und in den Agenturen nach verlässlichen News schauen. Aber auch das würde ich irgendwann mal sein lassen! Mitunter erscheint mir der Erkenntnisgewinn auf dem «News-Ticker» eher gering; wir sollten uns nicht kirre machen lassen, sondern in solchen Stresssituationen lieber einen Gang runter schalten. Manchmal hilft auch beten!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall. Die Frage ist, welche Qualität die mehrheitlich online publizierten Texte haben werden. Smartphone-gerecht sollen Sätze möglichst nur noch aus vier Wörtern bestehen, ohne Nebensätze. Da droht «Unter-Komplexität». Tatsächlich wird in Chats (früher SMS) täglich unglaublich viel Text produziert, gerade auch von den Jugendlichen. Das verändert unser Schreiben und – wie ich fürchte – auch unser Denken. Weil gerade Karl-Barth-Jubiläum ist: Dessen Werk ist so sperrig und wollte das ja sogar sein. – So etwas Kompliziertes, glaube ich, hätte heute keine Zukunft mehr.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Puh! … Jetzt wollte ich erst eine Auswahl biblischer Bücher notieren, aber das lasse ich lieber und schreibe doch «die Bibel» hin.

Papierbuch oder Kindle?

Ach, ich schleppe immer noch die Kilos mit mir herum, – ich brauch’ das Buch!

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gute Frage. Ich weiss es auch nicht, fürchte aber, dass deren Tage gezählt sind.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Morgens und abends ist lineares Radio prima; da kommt einfach immer was Relevantes. Special Interest-Sendungen kann ich nachhören auf unserem SRF Mediaplayer. Fernsehen konsumiere ich fast nur noch «nachschauend».

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Leider habe ich kaum Musse dafür, dabei gibt es etwa auch international so tolle Sachen: thisamericanlife.org oder israelstory.org; meistens langt mir die Zeit aber nur für «Kultur-Kompakt» auf srf.ch/sendungen/kultur-kompakt; so bleibe ich wenigstens über unser Schweizer Kulturschaffen auf dem Laufenden.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut Fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich halte grundsätzlich nichts von Panikmache, aber hier zeichnet sich eine echte Gefahr für die Demokratie ab, wenn die künftigen Bürgerinnen und Bürger nicht informiert sind. Wir sind als Journalistinnen in der ständig neuen Verantwortung, unsere Informationen so zu gestalten, dass sie verständlich, sachlich korrekt, aber eben auch attraktiv bleiben.

Sind digitale Assistenten wie Alexa oder Google Home eine neue Chance für das Radio – oder eine Gefahr für die Menschheit?

Keinen Alarmismus, bitte. Die grösste Gefahr für die Menschheit bleibt immer noch der Mensch selbst.

Computer wissen eigentlich alles. Braucht es da Gott noch?

Ich würde Gott und Computer nicht miteinander vergleichen.

Judiths Herzensthemen sind: christlich-jüdische Freundschaft, Frauenrechte, Musik und Katzen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja: Ansichtskarten und Einkaufszettel. Aber meine Schrift war schon in der Primarschule nicht «schön», und meine KollegInnen können meine Karten oft nicht lesen, – peinlich. Am liebsten schreibe ich mit Bleistift und Radiergummi, etwa jede Woche meine Hebräischhausaufgaben, weil die Autokorrektur Hebräisch auf den smarten Geräten nix taugt.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Na, sagen wir mal: Er ist eine Herausforderung! Zumindest für echten Journalismus, den ich gern von «Medien» unterscheide.

Sorgt das Internet eher für Zwietracht oder für Verständigung?

Es sind immer die Menschen, die für Zwietracht oder Verständigung sorgen. Auf die Userinnen und User kommt es an.

Wem glaubst Du?

Ich glaube den Menschen, denen ich begegne, noch recht viel.

Dein letztes Wort?

«Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.» Matthäus 5,37.


Judith Wipfler

Judith C. Wipfler, Jahrgang 1974, aufgewachsen in Speyer am Rhein. Ihr Theologiestudium führte sie 1995 nach Basel zu einem Auslandssemester, wovon sie nicht mehr zurückkehren wollte. Sie wird gerade eingebürgert. Seit 2000 arbeitet sie in der Fachredaktion Religion von Radio SRF und verantwortet die Religionssendungen am Radio www.srf.ch. Judiths Herzensthemen sind: christlich-jüdische Freundschaft, Frauenrechte, Musik und Katzen.


Basel, 18. Dezember 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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