Jonathan Progin: «Es ist problematisch, dass Medien zunehmend abhängig von den Spielregeln grosser Techkonzerne sind.»

Publiziert am 21. Februar 2024 von Matthias Zehnder

Das 269. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Jonathan Progin, Redaktor für Finanzindustrie bei der «Finanz und Wirtschaft». Er sagt, dass neue Medienprojekte heute «zu oft von (macht-)politisch motivierten Geldgeber:innen» abhängen. Ihm wäre es wichtig, «dass mehr Journalistinnen und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in den Redaktionen sitzen». «Gerne mehr davon», sagt Progin, «das tut der medialen Schweiz gut.» Als «problematisch» bezeichnet er die Abhängigkeit der Medien von den grossen Techkonzernen: «Medienhäuser nutzen Google Workspace oder Microsoft 365 für die Kommunikation, das Speichern von Daten oder die Erstellung von Texten.» Deshalb bilden «Techkonzerne im Extremfall das Rückgrat der Medienproduktion.» In seiner Masterarbeit hat er zudem nachgewiesen, dass «Deutschschweizer Medien, die Fördergelder von Google erhalten haben, tendenziell positiver über Google berichten als solche, die keine Gelder erhalten haben.» Dabei wäre die Glaubwürdigkeit von Medien gerade heute extrem wichtig: «In der digitalen Informationsflut gehen tatsächliche, faktenbasierte Nachrichten im Wettbewerb um Aufmerksamkeit gegen Fake News unter», sagt Progin. Vielen Menschen falle es schwer, Desinformation von echten Informationen zu unterscheiden. «Hier muss der Journalismus ansetzen und besser aufzeigen, was ihn von anderen Arten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung unterscheidet.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Unter der Woche überfliege ich «Finanz und Wirtschaft», «Tages-Anzeiger», NZZ und vielleicht noch französischsprachige Newsportale. Am Wochenende öfters die gedruckte «FT Weekend» und WoZ. Meine Honigschnitte esse ich aber immer wieder gerne ohne Medienlektüre.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter, Instagram, Youtube, Tiktok und BeReal?

Auf Twitter bin ich leider noch, aber weniger regelmässig als früher. BlueSky ist interessant, aber benötigt wohl noch Zeit, bis es sich etabliert. Instagram schaue ich täglich an, vor allem für Unterhaltung. LinkedIn ist gut für berufliche Kontakte. Auf YouTube stöbere ich ab und zu, es gibt spannende Infokanäle. Facebook nutze ich nicht mehr. Auf Tiktok und BeReal bin ich nicht. Generell versuche ich, weniger Zeit auf Social Media zu verbringen. Es ist ein riesiger Zeitfresser. Und macht mich nicht gescheiter.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich lese weniger tagesaktuelle Nachrichten, dafür mehr Wirtschaftsblätter und Newsletter, zum Beispiel «Tsüri» für Lokales und von der FT für Internationales. Ich bin zum Glück viel weniger auf Twitter.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich bin noch nicht lange im Journalismus. Sicher ist, dass die finanzielle Situation der Verlage früher besser war. Der Beruf war vermutlich auch angesehener als heute. Die Medienvielfalt hat stark gelitten. Neue Medienprojekte hängen zu oft von (macht-)politisch motivierten Geldgeber:innen ab. Besser ist hingegen, dass mehr Journalistinnen und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in den Redaktionen sitzen und es nach oben schaffen. Gerne mehr davon, das tut der medialen Schweiz gut.

Haben geschriebene Wörter noch Zukunft?

Auf jeden Fall.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«Free» von Lea Ypi und «100 Jahre Zoff – Die Geschichte der Zürcher Studierendenzeitung».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen mit Freund:innen, unterwegs im Tram oder in den Ferien. Immer und immer wieder in Büchern. Ab und zu auch auf Instagram oder wenn ich Dinge aller Art online recherchiere.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange Verlage damit Geld verdienen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wenn wir Fake News als gezielte Desinformation verstehen, dann sind sie eindeutig eine Gefahr, weil sie vorgaukeln, echte News oder Fakten zu verbreiten. In der digitalen Informationsflut gehen tatsächliche, faktenbasierte Nachrichten im Wettbewerb um Aufmerksamkeit gegen Fake News unter. Menschen fällt es oft schwer, Desinformation von echten Informationen zu unterscheiden. Hier muss der Journalismus ansetzen und besser aufzeigen, was ihn von anderen Arten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung unterscheidet.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich würde sehr gerne mehr Radio hören, ich mag das Medium, höre dann aber trotzdem Musik oder vertiefe mich in ein Buch oder eine Zeitung. Ein schönes Radiogerät für die Küche steht auf der Einkaufsliste. Live-TV höchstens im Sport.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Podcasts habe ich versucht, lande aber nach spätestens zwei Folgen bei einem Musikalbum.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56% der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass sie es nicht schaffen, junge Menschen für ihre Inhalte zu gewinnen. Vielleicht sollte man noch mehr darüber schreiben, wie die Wohnungskrise kurz- und mittelfristig gelöst werden kann. Oder vielleicht sollten Medien die Preisgestaltung der SBB stärker hinterfragen. Noch besser: Medien sollten junge Menschen nicht nur in Praktika beschäftigen, sondern auch Verantwortung übergeben. Ich bin jedoch nicht besonders pessimistisch, was die News-Versorgung von jungen Menschen angeht. Sie müssen nicht zwingend Schweizer Zeitungen lesen, um Politik oder Wirtschaft zu verfolgen oder zu verstehen. Dafür gibt es andere Kanäle, zum Beispiel den Instagramkanal von Anna Rosenwasser. Seit sie Nationalrätin ist, postet sie ständig über ihren politischen Alltag und beantwortet Fragen ihrer Follower:innen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wahrscheinlich schon, zumindest Texte, die auf dem ständig gleichen Input beruhen. Solange dies transparent ausgewiesen ist, ist das nicht tragisch. Idealerweise sparen Journalist:innen damit Zeit, die sie anderweitig einsetzen können, zum Beispiel für Hintergrundgespräche. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz sollte aber nicht zur reinen Sparübung verkommen. Weil künstliche Intelligenz die Produktion generischer Texte gut beherrscht, wird aus meiner Sicht kritischer Journalismus mit Haltung wichtiger.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zum Tod der Medien sicher nicht. Im Gegenteil, es gibt mittlerweile viel mehr Medienformate, zum Beispiel datengetriebene Recherchen, Kurzvideos, Twitter-Threads. Und es gibt multimediale Inhalte, die auf mehreren Kanälen gleichzeitig ausgespielt werden. Ich halte es jedoch für problematisch, dass Medien zunehmend abhängig von den Spielregeln grosser Techkonzerne sind. Das betrifft nicht nur das Ausspielen der Inhalte via Suchmaschinenoptimierung, sondern auch die Produktion journalistischer Inhalte. Ganze Medienhäuser nutzen Google Workspace oder Microsoft 365 für die Kommunikation, das Speichern von Daten oder die Erstellung von Texten. Techkonzerne bilden im Extremfall das Rückgrat der Medienproduktion. Zusätzlich treten diese Konzerne, insbesondere Google, als Medienförderer auf, in dem sie neue Projekte oder die Ausbildung von Journalist*innen mitfinanzieren. In meiner Masterarbeit habe ich herausgefunden, dass Deutschschweizer Medien, die Fördergelder von Google erhalten haben, tendenziell positiver über Google berichten als solche, die keine Gelder erhalten haben. Über die Abhängigkeit von grossen Techkonzernen wird, mit wenigen Ausnahmen (wie etwa dieser Artikel in der «Republik») zu wenig gesprochen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wir haben schon eine (indirekte) Medienförderung für die Zustellung von Printzeitungen. Eine gewisse Förderung darüber hinaus ist wohl unumgänglich, wenn wir in naher Zukunft nicht nur vier bis fünf Grossverlage haben wollen. Ich denke dabei an die Förderung von Grundlagen, wie zum Beispiel die Anschubfinanzierung digitaler Infrastruktur, die für die Medienproduktion benötigt wird. Ich finde aber, Journalismus muss sich selbst finanzieren können. Das sollte der Anspruch bleiben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, täglich. Zum Beispiel Notizen bei Telefongesprächen, Medienkonferenzen oder unterwegs. Längere Texte allerdings selten, vielleicht einen Liebesbrief.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Beides. Gut, wenn man Klick- und Abozahlen der Medien, die regelmässig über Trump berichteten, als Messgrösse verwendet. Schlecht, weil er ständig Hass gegen ihn nicht zugewandten Medien verbreitet hat. Trump ist für die Demokratie in den USA und damit auch für die Medienfreiheit eine Katastrophe.

Wem glaubst Du?

Meinen Freund:innen.

Dein letztes Wort?

Ein Musiktipp: Baby Volcano.


Jonathan Progin
Jonathan Progin ist Redaktor der «Finanz und Wirtschaft» und schreibt über die Finanzindustrie im Allgemeinen und Versicherer und Private Equity im Besonderen. Vorher war er bei «Polaris» und beim «Klein Report». Während des Studiums an der Universität Zürich war er Co-Redaktionsleiter und Geschäftsleiter bei der «Zürcher Studierendenzeitung». Er hat Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Datenjournalismus in Zürich und Lille studiert.
www.fuw.ch


Basel, 21. Februar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Goran Basic

Seit Ende 2018 sind über 260 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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