Johanna Wedl: «Noch ist nicht alles verloren!»

Publiziert am 9. April 2025 von Matthias Zehnder

Das 328. Fragebogeninterview, heute mit Johanna Wedl, Redaktionsleiterin der «Reformierten Medien» in Zürich. Sie sagt, die der Alltag in den Medien sei vor allem schneller geworden. «Es ist ein spannender Beruf, der sich stets verändert.» Aber: «Mit all den Entwicklungen mitzuhalten und längere Strecken in hohem Tempo zu laufen, ist anstrengend.» Das komme, dass Fake News mühsam seien: «Sie schädigen Ansehen und Ruf des Journalismus und gefährden auch staatspolitische Prozesse.» Das einzig Gute sei, dass Fake News «zeigen, wie wichtig freie, unabhängige Medien sind». Sie ist überzeugt: «Journalismus auf Papier wird es immer geben, die Form aber mag variieren.» Und was ist mit den jungen Menschen, die keine journalistischen Medien mehr konsumieren? «Ehrlich: Das besorgt und betrübt mich», sagt sie. Es sei aber «ein Ansporn, neue Formate auszuprobieren, neue Formen zu entwickeln, um diese Zielgruppe zurückzugewinnen.» Sie ist sich sicher: «Ein Leben ohne geschriebene Worte ist wie ein Sommer ohne Sonne. Unvorstellbar.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich mag Musik am Morgen – und das Programm von Radio SRF 1. Es bietet den perfekten Start in den Tag: Information in den Nachrichten und im Regionaljournal, Unterhaltung mit dem Morgengast und dem Quiz, und die Wetterprognose, damit ich weiss, ob ich Schirm oder Sonnenbrille einpacke.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Unsere Redaktion der «Reformierten Medien» nutzt Facebook, Instagram und LinkedIn, um mit unseren Geschichten mehr Menschen zu erreichen, aber auch zur Inspiration und für die Recherche. Privat haben mir die Lifehacks von YouTube schon so häufig aus der Patsche geholfen, dass ich ungern darauf verzichte; zuletzt als ich nachschaute, wie ich eine Autotüre öffne, wenn im elektronischen Schlüssel die Batterie leer ist (Spoiler: Es gibt einen Geheimknopf).

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Im einem Satz: Er ist schneller geworden. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz beeinflussen auch unsere journalistische Arbeitsweise, Abläufe lassen sich automatisieren. Es ist ein spannender Beruf, der sich stets verändert. Die Kehrseite: Mit all den Entwicklungen mitzuhalten und längere Strecken in hohem Tempo zu laufen, ist anstrengend.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Höre ich ältere Kolleginnen erzählen, waren mindestens die Löhne höher und der Leistungsdruck tiefer. Dafür ist die Branche heute, vor allem in der Führung, diverser und weiblicher geworden. Ein gesundes, wertschätzendes Arbeitsklima ist wichtiger. Dafür stehen auch die «Reformierten Medien»: Die Geschäfts-, Verlags- und Redaktionsleitung ist ausschliesslich in Frauenhand.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ein Leben ohne geschriebene Worte ist wie ein Sommer ohne Sonne. Unvorstellbar.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Pflichtlektüre ist unser Magazin «bref» , das es gedruckt und online gibt. Wir greifen darin unter anderem ethische oder sozial-politische Fragen auf, die medial kaum mehr Platz finden. In einer meiner Lieblingsgeschichten vom vergangenen Jahr waren der Reporter Pascal Nufer und der Fotograf Christian Bobst für uns im Senegal, um aufzuzeigen, welche drastischen Folgen der Klimawandel hat. Er raubt den Menschen die Lebensgrundlage und zwingt sie zur Flucht. Auf unserer Newssite ref.ch publizieren wir immer wieder Stories, die sonst wenig Aufmerksamkeit erhalten – kürzlich etwa ein Interview mit einer Religionswissenschaftlerin über die Verfolgung der Jenischen und Sinti.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Meine Geduld ist zu knapp und meine Zeit zu kurz, um auf Besserung zu hoffen. Daher: Nervt oder langweilt mich ein Buch, gebe ich anderen Autoren eine Chance. Das ist leider zu häufig der Fall. Mailt Lesetipps!

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Immer dann und dort, wo ich mich in Felder wage, die mir gewöhnlich fern sind: etwa an einem Fussballspiel des FC Winterthur. Interessante, inspirierende Geschichten finde ich auch in tollen Magazinen wie bei «Brand Eins» oder «11Freunde».

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hätte ich hellseherische Fähigkeiten, würde ich Lotto spielen … Spass bei Seite: Journalismus auf Papier wird es immer geben, die Form aber mag variieren.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ein hohes Risiko – sie ärgern mich und kosten mich Nerven, etwa dann, wenn ich wieder einmal versuche, den Fake zu entlarven. Sie schädigen Ansehen und Ruf des Journalismus und gefährden auch staatspolitische Prozesse. Das einzig Gute, was sich Fake News abgewinnen lässt: Sie zeigen, wie wichtig freie, unabhängige Medien sind und wie gross die Verantwortung von uns Journalistinnen ist.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Das Radio läuft bei mir nicht nur morgens, sondern auch mittags und abends – lineares Fernsehen dagegen tatsächlich nur noch bei #breakingNews-Ereignissen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Alle meine Versuche, mit Podcasts warm zu werden, sind gescheitert. Gerne empfehle ich aber Podcasts, die kluge Kolleginnen produzieren – zum Beispiel «Herztöne» von Rebekka Haefeli, «My last goodbye» von Franziska von Grünigen, oder, ganz neu, «Forza! Frauen. Fussball» von Rebecca Spring.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Ehrlich: Das besorgt und betrübt mich. Und es ist ein Ansporn, neue Formate auszuprobieren, neue Formen zu entwickeln, um diese Zielgruppe zurückzugewinnen. Noch ist nicht alles verloren!

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Sicherlich lassen sich Arbeitsprozesse automatisieren, etwa das Transkribieren von Interviews. Aber den Kern des journalistischen Arbeitens, rausgehen, recherchieren, und daraus ein journalistisches Produkt formen, das kann keine Maschine leisten.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Sie ist eine riesige Chance und bietet enorme Möglichkeiten, in der Vielfalt der Erzählweisen und darin, das Publikum breiter zu erreichen. Use it! Und: Danke, Tim Berners-Lee, für die Erfindung des Internet.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Lange Zeit hätte ich diese Frage klar und ohne Zögern mit «Nein» beantwortet.
Da Konsumentinnen aber immer weniger bereit sind, für Journalismus angemessen zu bezahlen und alternative Einnahmemodelle nicht ausreichend tragfähig sind: Ja, «leider» brauchen wir eine Medienförderung – in welcher Form, ist offen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Beruflich häufig, in Gesprächen, Interviews, auf Reportage. Privat dagegen immer weniger, weil die Zeit oder Musse fehlen. Vielleicht ein Vorsatz, wer möchte eine Postkarte?

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Skip!

Wem glaubst Du?

Sind nicht alle Journalistinnen misstrauisch?

Dein letztes Wort?

Es ist mein grosses Glück, nach 20 Jahren im Beruf noch immer genug Geld zu verdienen mit einer Arbeit, die mir so viel Freude bereitet und bei der ich täglich lerne. Als Journalistin darf ich jede Frage stellen und werde sogar dafür bezahlt, mit Sprache zu jonglieren. Ich liebe es! Es ist der schönste Beruf, den es gibt. Und selbst wenn wir zwei, der Journalismus und ich, schwere Zeiten hatten, wünsche ich mir, dass wir uns nie trennen.


Johanna Wedl
Johanna Wedl hat an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur einen Bachelor in Medienwissenschaften abgeschlossen. Sie stieg bei Keystone-SDA in den Nachrichtenjournalismus ein und arbeitete rund zehn Jahre für die «Neue Zürcher Zeitung» als Politik- und Lokaljournalistin. Seit vier Jahren leitet sie die Redaktion der «Reformierten Medien» in Zürich. Zu den publizistischen Produkten gehören das Magazin «bref» und die Newssite «ref.ch»


Basel, 09.04.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: zvg

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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3 Kommentare zu "Johanna Wedl: «Noch ist nicht alles verloren!»"

  1. Sehr geehrter Herr Zehnder
    Die „Trump“-Frage, welche jetzt sicherlich auch schon mehr als vier Jahre „in Gebrauch“ ist, sollten Sie auslassen. Weshalb ich dies empfinde? Die Antworten auf diese Frage sind unzureichend. Fast alle Fragebogengäste antworten emotional auf diese Frage, nicht sachbezogen oder lassen sie gleich ganz aus.
    Trump ist eine sehr polarisierende Person. Die Euro/CH-Medien pushen seine Handlungen hoch (man denke an Zölle oder Rückweisungen an der Südgrenze der USA). Die Fragebogengäste können nicht mehr unterscheiden zwischen der Fachfrage und der Person, bzw. Taten Trumps. Deshalb wird Ihre Frage obsolet und kann erst dann wieder gestellt werden, wenn die Ära Trump um ist, bzw. wenn er nicht mehr aktiv ist, dann ist eine Rückbetrachtung Trumps (auch medial) wieder möglich. Welche dann, die Menschheit ist flexibel, plötzlich auch wieder ur-positiv ausfallen könnte. (keine Billigländer-Ausbeutung mehr, keine Billigst-Arbeitenden mehr, keine Riesen-Transportwege mit Schweröl-Drecksfrachtern mehr, weniger Air-Cargo aus Asia mehr, mehr Sicherheit in den USA, mehr Eigenproduktion von Gütern und dadurch mehr einfache Arbeitsplätze die im Westen so fehlen, zusammenhängend mehr (Voll-)Beschäftigung, stabiler Franken usw… – was alles sehr zu hoffen ist und laut Experten auch zutreffen könnte)…
    Ein Aussetzten dieser Frage (oder Ersetzen) könnte durchaus Sinn machen. Und dann:
    Schau mer mal – sagte schon Franz Beckenbauer.

    1. Hallo Herr Zweidler, da liegt ein Missverständnis vor. Es geht nicht um eine politische Würdigung von DT, es geht um die Frage, ob er gut oder schlecht ist für die Medien. Die Kapriolen, die er mit seinen Zöllen grad schlägt, sind allerbestes Klickfutter für die Medien. Die Frage ist nicht, ob seine Politik gut oder schlecht ist, sondern ob das Trumpsche Klickfutter gut oder schlecht ist für die Medien. (Das Trump schlecht ist für die Amerikaner, das merken die grad the hard way … oder glauben Sie, ein irgendein Unternehmer werde in den USA jetzt investieren, wenn man nie weiss, was Trump als nächstes reisst? Das sagen alle Ökonomen: Diese Unsicherheit und die damit verbundene Ungewissheit ist das pure Gift und noch schlimmer als die hirnrissigen Zölle).

      1. Ja, das weiss ich (nach 333 Fragebogen-Gästen), dass es sich um hier um die Frage handelt, ob „ER“ gut oder Schlecht für DIE MEDIEN sei. Ich versuchte zu vermitteln, dass allein schon beim Namen des Präsi bei vielen sich der Verstand und die eingehende Antwortfähigkeit ausschaltet und sie mit pauschal „schlecht“, gar „sehr schlecht“ oder „Skip“ usw… aussagen.
        Danke jedoch für Ihre Antwort auf meinen Kommentar. Und (seien wir ehrlich): Ich habe meine Pro-Argumente und Sie in Ihrer Antwort Ihre Contra-Argumente platzieren können. Ist doch auch was…..

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