Jeremias Schulthess: «Aufwachen, Leute!»

Publiziert am 30. Dezember 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Jeremias Schulthess, Geschäftsführer bei «Fairmedia». Er sagt, die Medienvielfalt gehe massiv zurück und Online-Kanäle verleiteten zur Boulevardisierung. Er betont aber, dass «nicht alles schlecht» sei. Im Gegenteil: «Viele Redaktionen machen nach wie vor einen blendenden Job.» Deshalb ist er auch überzeugt, dass es noch eine Weile gedruckte Zeitungen geben wird. Sorgen macht er sich um den Nachrichtenkonsum der jungen Menschen. Er ruft deshalb den Verlagen und Medienhäusern zu: «Aufwachen, Leute! Wir müssen diese Generation für den Journalismus gewinnen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Während dem Frühstück läuft das «Regionaljournal Basel» – und manchmal höre ich auch etwas davon, wenn mal gerade kein Kind schreit. Später im Büro schaue ich mir dann in Ruhe diverse Printtitel im E-Paper an.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook habe ich aus Überzeugung gelöscht – das waren mir zu viele Datenschutzdefizite, zu viel politische Unbedarftheit. Twitter nutze ich sehr oft als Informationsmedium, Instagram ab und zu zur Unterhaltung.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich lese wahrscheinlich mehr News und schaue mir regelmässig die Grafiken der Datenjournalist*innen an, die übrigens in der Schweiz solide Arbeit leisten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Schwierige Frage. Der Satz «früher war alles besser» stimmt so sicher nicht. Natürlich haben sich die Rahmenbedingungen für Journalist*innen teils drastisch verschlechtert. Auch die Medienvielfalt geht massiv zurück und Online-Kanäle verleiten zur Boulevardisierung. Aber es ist eben nicht alles schlecht. Viele Redaktionen machen nach wie vor einen blendenden Job. Ich denke da nicht nur an die Corona-Berichterstattung, sondern vielmehr auch an grosse Aufdecker-Geschichten, wie sie im «Tages-Anzeiger», der WOZ oder in der «Rundschau» in den letzten Jahren ab und zu erschienen sind. Der Trend hin zu langen Hintergrundgeschichten, der in den letzten Jahren auch dank der «Republik» richtig Schub gekriegt hat, ist doch eine fantastische Entwicklung!

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber sicher doch!

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Zum Beispiel die grosse Soros-Recherche von Hannes Grassegger, die vor zwei Jahren im Tagi-Magi erschien. Eine unglaubliche Geschichte, die sehr viel über unsere Zeit erzählt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Das Buch muss wirklich sehr schlecht sein, damit ich es weglege.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im «Echo der Zeit».

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

2014 hat mein damaliger Chefredaktor gesagt: Print gibt’s spätestens in drei, vier Jahren nicht mehr. Jetzt ist 2021, es gibt immer noch gedruckte Zeitungen und es wird sie noch eine Weile geben.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind vor allem eine Gefahr für die Demokratie und für die Gesellschaft. Wie sie für die Medien eine echte Chance darstellen könnten, sehe ich im Moment nicht. Auch eine Gefahr sehe ich für die Medien nicht direkt. Diejenigen, die Fake News lesen und nicht sofort als solche erkennen, haben wahrscheinlich noch nie einen ganzen Artikel im «Tages-Anzeiger» gelesen. Fake News sind also keine direkte Konkurrenz für die publizistischen Medien. Das Einzige, was für die Medien eine Chance sein könnte, ist, wenn mögliche Geldgeber finden: Jetzt müssen wir den Fake News etwas entgegenhalten und erst recht in Journalismus investieren! Meine Hoffnung ist, dass Stiftungen und Philanthropen irgendwann die Dringlichkeit von gutem Journalismus erkennen und diesen langfristig stärken.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich meistens live, Fernsehen nur bei Sportevents.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Im Moment höre ich oft den Fussball-Podcast «Dritte Halbzeit» von Tamedia. Sehr witzig und unterhaltsam gemacht. Und nicht so einstudiert, wie manch andere Podcasts wirken.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das bedeutet: Aufwachen, Leute! Wir müssen diese Generation für den Journalismus gewinnen. Wobei ich schon denke, dass das möglich ist. Es gibt übrigens auch Untersuchungen, wie den Digital News Report von Reuters, der zu weniger besorgniserregenden Ergebnissen kommt als das fög.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Supino ist ja nicht der Einzige, der das sagt. Wahrscheinlich haben diese Leute Recht – ich weiss zu wenig darüber, um es beurteilen zu können.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die einfache Antwort lautet: weder noch. Für eine ausführliche Antwort wäre wohl der Rahmen einer Habilitation geeignet.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Na klar! Sonst wären wir alle verloren.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich hab einen Aktenschrank voll mit handschriftlichen Notizen. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, muss ich sagen: Vielleicht wird es Zeit auf eines dieser modernen E-Ink-Tablets umzusteigen. Nur mit Tastatur schreiben – das will ich nicht.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut, denn er zeigt die Dringlichkeit einer intakten Medienlandschaft.

Wem glaubst Du?

Meinem 2-jährigen Sohn. Der lügt nie – oder besser gesagt: noch nicht.

Dein letztes Wort?

Carpe diem, oder wie sagten die alten Ägypter gleich nochmal?


Jeremias Schulthess
Jeremias Schulthess hat in Berlin Geschichte und Russisch studiert. Nach dem Studium zog es ihn zurück in die Schweiz, wo er als Journalist Fuss fasste. Es folgten Stationen bei der «Basellandschaftlichen Zeitung», «TagesWoche» und «Rundschau» vom Schweizer Fernsehen. Bei der «TagesWoche» arbeitete Schulthess am längsten (rund 4,5 Jahre). Nach dem Aus der «TagesWoche» übernahm er die Geschäftsführung bei «Fairmedia», wo er insbesondere für medienethische Beratungen, Kampagnen und die Neuausrichtung des Vereins zuständig ist.
https://fairmedia.ch/


Basel, 30. Dezember 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

 

2 Kommentare zu "Jeremias Schulthess: «Aufwachen, Leute!»"

  1. Trotz einerseits rund um die Uhr publizierten, enorm hilflosen Anti-Corona-Aktionen, und anderseits Zusammenbruch-News ohne Ende aus aller Welt, meint ein Medienmann frischfröhlich: „Nicht alles ist schlecht“ sowie „Viele machen einen nach wie vor blendenden Job“. Was muss denn noch passieren, damit klar ist: Es brennt lichterloh. So kann es grundsätzlich nicht mehr weitergehen?

  2. Thema Zustand Medien in der jetzigen Zeit, in der man nicht um Corona rumkommt:
    Nehmen wir die Politik und die Medien: Nehmen wir die letzte Medienkonferenz. Der wichtigste Satz kam dort von Bundespräsidentin Sommaruga: Sie sagte, es braucht jetzt die ganze Schweiz. Es braucht jetzt einen kollektiven Kraftakt der Solidarität. Wir müssen jetzt verzichten, wir müssen jetzt opfern, wir müssen akzeptieren, dass Betriebe geschlossen werden, das wir in unserer Lebens- und Berufsausführung nach wie vor und ein weiteres mal eigeschränkt werden. Dafür braucht es die ganze Schweiz, dafür braucht jetzt diesen Opferungswillen.
    Da frag ich mich: Worauf verzichtet eigentlich Simonetta Sommaruga? Was opfert die Bundespräsidentin? Worauf verzichten die Bundesräte, worauf verzichten die Staatsangestellten? Worauf verzichten die Politikerinnen und Politker, die am lautesten diese Lockdowns fordern?
    Die Antwort ist natürlich offensichtlich: Sie verzichten auf gar nichts. Frau Sommaruga hat keinen Rappen weniger auf ihrem Konto wenn sie einen Lockdown oder einen Shutdown befiehlt. Auch nicht Hr. Berset, alle Professoren, alle Moralphilosophen, Lockdownprediger und Lockdownpriester, welche auf Staatskosten eine gesicherte Existenz haben und hier die Notwendigkeit dieser Massnahmen predigen. Alle zahlen keinen Preis für die Politik, die sie uns aufzwingen. Fr. Sommaruga hat Ende Jahr wie immer rund 500‘000 Fr mehr auf ihrem Konto; alle anderen Bundesräte natürlich auch. Sie haben sogar noch Anreize, dies zu tun: Mehr Macht, mehr Gehör bei den Medien. Und:
    Dort bei den Medien – kritisiert das niemand. Das geht einfach so durch. Keine Zeitung. Gar nichts. Die Restaurants müssen schliessen, die Museen müssen schliessen, andere Betriebe müssen schliessen; wenn Frau Sommaruga hinsteht und das so sagt, sie hat Null-Risiko. Die Gastronomen haben 0 Franken Umsatz, die Politiker, im Falle eines Bundesrates haben 500‘000 Fr Jahresumsatz, Jahreslohn, egal ob sie die Schweiz stillgelegt haben oder nicht.
    Wer kritisiert das eigentlich? Die Medien kritisieren das nicht! Die Medien bejubeln das, die Medien übertrumpfen die Politik noch mit Lockdownforderungen.
    Wie ist denn das möglich? Das ist eine komplette Verfehlung des Auftrags der Medien als 4 Gewalt. Die Massnahmen der Politik kritisch zu hinterfragen! Wir leben in einer Zeit, wo die Politik noch nie so viel Macht hatte wie heute, aber die Medien bejubeln diese Macht, ja sie fordern gar die Aufrüstung dieser Macht. Für die Medien und Journalisten gehen diese Politiker noch viel zu wenig weit.
    Warum eigentlich? Es ist keine Verschwörung, es ist keine finstere Macht, die da im Hintergrund die Fäden zieht, es ist ganz offensichtlich: Es geht ums Geld.
    Die Medien profitieren von dieser Cornoapolitik, die Medien profitieren von dieser Staatsausdehnung. Denn die Medien, die Verlagshäuser, diese Milliardärsfamilien (Ringier, Tamedia), die diese Verlagshäuser leiten, die auch kein Problem haben, wenn das Land monatelang oder ein halbes Jahr stillgelegt wird, denn sie haben immer noch gegnügend Geld auf dem Konto, diese Leute rennen jetzt, kriechen auf den Knien nach Bern, betteln um Subventionen damit sie noch mehr Geld aus Bern bekommen und da ist es klar, da kann man natürlich nicht die Bundesräte kritisieren. Die einem dann das eigene Geschäft, das eigene Leben mit Subventionen ermöglichen sollen. Deshalb sind die Medien auch nicht ehrlich unterwegs, deshalb sind die Medien auch nicht journalistisch unterwegs, sondern es sind eigentlich Claqueure, Propagandisten dieser Politik, und wir bekommen in unseren Meiden leider nur noch ideologisch eigefärbter Brei vorgesetzt.
    Tendenzen in unseren Medien – Leider Zustand im 20/21.
    Gegensteuer geben, dann kann es nur noch besser kommen.

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