Ivo Bachmann: «Die früheren Zeiten werden heftig verklärt»

Publiziert am 12. Mai 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Ivo Bachmann, Gründer und Geschäftsführer von Bachmann Medien AG. Er sagt, glaubwürdiger Journalismus sei in Zeiten von Fake News wichtiger denn je, «das zeigt nicht nur ein Blick in die USA. Eine demokratische Gesellschaft sollte alles tun, um ihn zu erhalten.» Früher sei nicht alles besser gewesen. Aber immerhin: «Das Medienmachen war noch ein florierendes Geschäft, und eine Tätigkeit in der Medienbranche schien ein Job mit Zukunft zu sein.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich habe eine ungesunde, aber zeitsparende Angewohnheit: Ich frühstücke nur sonntags, dann aber ausgiebig. Zur geistigen Nahrung gehört die «NZZ am Sonntag»– eine der letzten, noch wirklich gut gemachten Zeitungen des Landes.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Da regt sich stets mal wieder mein schlechtes Gewissen. Und das Erstaunen, wie viel Zeit manche Berufskollegen für all ihre Tweets und Posts auf Social Media haben.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Wir arbeiten in unserem kleinen Verlag seit über einem Jahr primär im Homeoffice. Das klappt inzwischen zwar recht gut. Aber so allmählich hat man die Büchergestelle in den Videokonferenzen gesehen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder, noch. Journalistisch sozialisiert wurde ich in den 1980er Jahren. Wenn ich heute eine Zeitung von damals zur Hand nehme oder mir eine TV-Sendung aus jenen Tagen anschaue, muss ich sagen: Die früheren Zeiten werden heftig verklärt. Was ohne Zweifel besser war: Das Medienmachen war noch ein florierendes Geschäft, und eine Tätigkeit in der Medienbranche schien ein Job mit Zukunft zu sein.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber sicher. Sogar meine vierjährige Enkelin tippt schon eifrig alle möglichen Buchstaben und Smileys ins Handy und verschickt sie per WhatsApp. Die kleine Feldstudie zeigt: Die Lust am Schreiben wird bleiben, die Form sich verändern.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«Kritik der Vögel» von Jürgen und Thomas Roth. Die perfekte Lektüre für Kaffeepausen im Homeoffice und kleine Auszeiten im Garten.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Wenn mich ein Buch auch nach der fünfzigsten Seite nicht packt, hat es seine Chance vertan.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Immer wieder auf YouTube – eine unendliche Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Lebenslagen. Und als unfreiwilliger Zuhörer im Zug.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Mein Herz wünscht: für immer und ewig. Und mein Kopf sagt: Sie werden mit meiner Generation in die ewigen Jagdgründe einziehen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Glaubwürdiger Journalismus ist in Zeiten von Fake News wichtiger denn je, das zeigt nicht nur ein Blick in die USA. Eine demokratische Gesellschaft sollte alles tun, um ihn zu erhalten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Sie begleiten mich immer seltener. Zum Glück fürs Radio bin ich recht oft im Auto unterwegs. TV schaue ich fast nur noch zeitversetzt im Tablet oder Smartphone.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Es zeigt, dass man massiv in die Medienbildung an (Volks-) Schulen investieren sollte – mit modernen Lehrmitteln und attraktiven Bildungsangeboten. Da hapert es nach wie vor.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn der Journalismus Glück hat, übernehmen Roboter nur die lästige Pflicht. Wenn er Pech hat, kapern sie auch die Kür. Wichtig wär, dass man dann auch die unzufriedenen «Tagi»-Leser durch Roboter ersetzen könnte.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wenn ich an die grossen und kleinen Trumps dieser Welt denke, an all die Wutbürger und Verschwörungstheoretiker im Netz, dann würde ich sagen: Digitalisierung führt zur Befreiung vom Journalismus.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Das wäre eine sehr schlaue Frage an die künstliche Intelligenz.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Zum Beispiel Geburtstagswünsche und Weihnachtskarten. Aber ich stelle mit wachsender Beunruhigung fest, dass meine Handschrift selbst für mich immer schlechter entzifferbar wird.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er war wie ein schlechter Traum. Man hatte kurz heftigen Pulsschlag. Gottlob sind wir aufgewacht.

Wem glaubst Du?

Den amtlichen Bestattungsanzeigen.

Dein letztes Wort?

Kommt hoffentlich noch länger nicht.


Ivo Bachmann
Ivo Bachmann, geboren 1963, war unter anderem Chefredaktor des «Beobachters» und der «Basler Zeitung». Seit 2007 ist er Inhaber und Geschäftsführer des Medienunternehmens bachmann medien ag, das zum Beispiel die «TagesWoche» in Basel lanciert hatte, und seit einigen Jahren auch Verleger des Schweizer Medienmagazins «Edito» und des Zentralschweizer Saisonmagazins «echt».
bachmannmedien.ch/unternehmen/team/ivo-bachmann


Basel, 12. Mai 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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www.matthiaszehnder.ch/abo/

Ein Kommentar zu "Ivo Bachmann: «Die früheren Zeiten werden heftig verklärt»"

  1. Auch bei mir gehörte die «NZZ am Sonntag» 19 Jahre lang dazu. Nachdem sie sich wie viele andere Medien der Realität immer weniger gestellt und gewachsen gezeigt hat, habe ich jetzt das Abo nicht mehr erneuert. Ausser den „Büchern am Sonntag“ fehlt mir nichts.

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