Ivana Pribaković: «Menschen wollen von Menschen informiert werden.»

Publiziert am 29. Januar 2025 von Matthias Zehnder

Das 318. Fragebogeninterview, heute mit Ivana Pribaković, Leiterin der Nachrichtensendungen «Rendez-vous» und «Info 3» bei Radio SRF. Sie sagt, die Geschwindigkeit sei heute viel höher: «Der Druck und der eigene Anspruch ist es, schneller zu publizieren als früher und natürlich trotzdem korrekt zu sein.» Dabei gehe es oft «nicht nur um eine Tatsache, sondern auch schon um die Einordnung». Das erfordere «profundere Kenntnisse der Materie als früher, da wir uns nicht immer lange einlesen können». Die Konkurrenz sei heute vielfältiger: «Neben etablierten Medien fühlen sich viele befähigt, Inhalte zu transportieren und zu kommentieren.» Das Geschäft sei deshalb «volatiler, komplexer, aber nicht unbedingt besser und verlässlicher geworden». Bei den Zeitungen in der Schweiz vermisse sie die «Breite der Berichterstattung in den Regionen, die gesunde Konkurrenz auf Augenhöhe, die das Geschäft belebt». Zu Donald Trump hat sie ein zwiespältiges Verhältnis. Trump habe dazu geführt, dass auch viele Junge auf Fake News aufmerksam geworden seien «Plötzlich diskutierte man auch auf Pausenplätzen über Journalismus und die Macht des Wortes». Allerdings habe mit Donald Trump auch das «postfaktische Zeitalter» begonnen und es habe «eine gewisse Polarisierung auch in Medienhäusern» eingesetzt.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das Radio. Die Musik macht so früh am Morgen (5 Uhr) gute Laune, und die Informationssendungen auf SRF1 und SRF3 datieren mich dazu über die Newsentwicklung in der Nacht auf. Beim Radiohören (übrigens über die SRF play app) habe ich zudem die Hände frei für die ersten Handgriffe am Morgen. Im Zug, wenn ich nach Bern pendle, lese ich die Zeitungen, meist digital und oft dem ABC nach («Aargauer Zeitung», «Blick», NZZ, «Tagesanzeiger»), dazu die «Süddeutsche Zeitung», die FAZ, den «Spiegel», die Front von BBC News, manchmal die «New York Times», die «Weltwoche» und die WoZ. Dann bin ich eingelesen bis 7.30 und bereit für meine Arbeit.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Auf LinkedIn bin ich regelmässig, einerseits weil die Beiträge oft interessant und weiterführend sind, was mir Ideen für journalistische Geschichten geben kann, andererseits auch, weil LinkedIn zur Zeit für mich das beste Verhältnis hat von Bildschirmzeit und inhaltlichem Gewinn. Auf YouTube konsumiere ich Dokus, zum Beispiel von Arte oder 3Sat.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Die Geschwindigkeit ist viel höher: News kommen aus mehr Quellen, zum Teil weniger vertrauenswürdigen, die es zu prüfen gilt nach den SRF-Leitlinien. Der Druck und der eigene Anspruch ist es, schneller zu publizieren als früher und natürlich trotzdem korrekt zu sein. Oft geht es nicht nur um eine Tatsache, sondern auch schon um die Einordnung. Das erfordert profundere Kenntnisse der Materie als früher, da wir uns nicht immer lange einlesen können.

Weniger Konkurrenz im Inland: Statt AP und SDA gibt es noch eine Nachrichtenagentur in der Schweiz. Umso wichtiger ist die zwei-Quellen-Regel, die bei SRF gilt. Mehr Konkurrenz im In- und Ausland: neben etablierten Medien fühlen sich viele befähigt, Inhalte zu transportieren und zu kommentieren. Das Geschäft ist volatiler, komplexer, aber nicht unbedingt besser und verlässlicher geworden.

Die drei Kilo schweren Aufnahmegeräte für Radioaufnahmen (das Nagra war nicht das schwerste), die eine Herausforderung waren, wenn man bei Demonstrationen zwischen die Fronten geriet und wegrennen sollte, sind kleinen, handlichen Geräten oder dem Smartphone gewichen. Ebenso ist Wühlen im Papierkorb nicht nötig, wenn ein Teil des Interviews fälschlicherweise weggeschnitten worden war, jetzt klicke ich mich zurück zum Original.

Und heute käme es niemandem mehr in den Sinn, auf der Redaktion Zigarette um Zigarette anzuzünden oder über Mittag mal ein Bierchen zu trinken. Statt voller Aschenbecher stehen unter einigen Pulten Joggingschuhe.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war anders, es war eine andere Zeit. Was ich heute bei den Zeitungen vermisse, ist die Breite der Berichterstattung in den Regionen, die gesunde Konkurrenz auf Augenhöhe, die das Geschäft belebt. Was ich heute schätze, ist der einfachere Zugang über digitale Plattformen, sowie eine ansprechendere Darstellung in den Texten. So war die NZZ früher nur schwarz-weiss, ohne Fotos in Farbe, und in gewissen Artikeln musste ich Sätze zwei Mal lesen, bis ich die Botschaft ganz verstand, weil sich die Sprache damals stärker an amtlichen Texten orientierte. Auch die Radiolandschaft war in den 90er-Jahren vielfältiger, es gab zum Beispiel Radio Z, das noch nicht zu Energy (und damit Teil einer Kette) geworden war, Radio 24 war eigenständig und nicht Teil von Peter Wanners Radio Medien AG, heute CH Media. DRS war unangefochten, fast ein nationales Heiligtum wie die Swissair.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ganz sicher. Der Mensch und das geschriebene Wort, das ist eine unverbrüchliche Verbindung. Die Sumerer hinterliessen ihre Botschaften vor 5000 Jahren in Keilschrift, die Ägypter in Hieroglyphen, die Kelten in Runen. Nicht erst seit Johannes Gutenberg scheint mir klar: das geschriebene Wort wird bleiben so lange es Menschen gibt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher, Bücher, Bücher. Auch wenn er schon einigen Jahren erschien: der «Distelfink» von Donna Tartt ist toll. Oder von Philipp Blom «Die Hoffnung. Über ein kluges Verhältnis zur Welt». Die «Umlaufbahnen» von Samantha Harvey entführen die Lesenden in eine fremde Welt. Zu Büchern unbedingt viele andere Texte lesen in Tages- und Wochenzeitungen, Magazinen. Unterschiedliche Standpunkte bereichern die eigene Wahrnehmung.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es gibt mehrere, durch die ich mich nicht gequält habe bis zum Schluss. Das heisst nicht unbedingt, dass die Bücher nicht gut sind. Aber die «Schnapsstadt» von Mo Yan ist eine Groteske, eine politische Allegorie über das China, das der Autor kommen sah 1992. Bei der journalistischen Arbeit, in der die Wirklichkeit zuweilen schwer erträglich ist, brauche ich manchmal beim Lesen in der Freizeit ein gewisses Mass an Erfreulichem. Auf die letzten 40 Seiten der Schnapsstadt habe ich daher verzichtet.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von meinen Freunden, von Interviewpartnerinnen, aus Begegnungen, in Ausstellungen, aus geschenkten Büchern, auch Filmdokumentationen … Es gibt überraschend viel Überraschendes.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange Menschen Wasser trinken, wenn sie Durst haben.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Oder konstruktiver formuliert: sie sind eine Herausforderung für die Medienhäuser. Denn sie verlangen von den Medien sehr viel Aufklärungsarbeit. Um Fake News als solche zu enthüllen, müssen Journalistinnen und Journalisten Zusammenhänge aufzeigen. Das braucht Zeit (und die fehlt dann eventuell auch für andere Recherchen) – und dafür müsste das Publikum auch bezahlen wollen. Wie viele bezahlen einem Medienhaus, dem sie nicht unbedingt trauen?

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich sehr oft, aus privatem und professionellem Interesse, per Handy oder im Auto, live Fernsehen eher selten, da ich abends lieber Zeit mit Freunden und Familie verbringe.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Regelmässig höre ich «International» von Radio SRF, da klingt, riecht und schmeckt es wie vor Ort, so nahe gehen die Korrespondentinnen und Korrespondenten ran und zeigen politischen Entwicklungen auf. Dazu immer wieder den Kunstpodcast der «Zeit», den «Augen zu», wenn ich wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen will, klicke ich ab und zu in den «Geldcast» von Swissinfo. Und manchmal höre ich in ganz anderes hinein wie in die Geschichtspodcasts von Alessandro Barbero.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Das heisst, dass die Medienkunde in den Schulen sehr wichtig ist, um den Jugendlichen die Bedeutung der Medien aufzuzeigen. Und es zeigt, dass wir als Inhaltslieferanten überlegen müssen, wie wir die relevanten Themen zu den heute Newsdeprivierten bringen können.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Schlicht und einfach: nein. Oder würden Sie für etwas zahlen, das Sie selbst die KI fragen können? Menschen wollen von Menschen informiert werden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung ist primär eine andere Art, Inhalte zu konsumieren. Übers Smartphone, den Computer. Es ist wie wenn wir fragen würden: verschwinden Bücher, wenn das Internet kommt.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Unbedingt. Unabhängige Medien sind die vierte Gewalt. Sie sind das Auge und das Ohr der Bevölkerung und damit einer der Garanten für Demokratie und Transparenz.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Interviewskizzen, Gedanken, To-do-Listen, Glückwunschkarten und vieles mehr. Und wenn ich etwas lerne, schreibe ich Zusammenfassungen, wenn immer möglich, von Hand; das lernt sich leichter.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er war gut, indem er viele Junge auf, sagen wir «andersartige Kommunikation», sprich Fake news aufmerksam gemacht hat. Plötzlich diskutierte man auch auf Pausenplätzen über Journalismus und die Macht des Wortes. Schlecht, weil mit ihm das postfaktische Zeitalter begann. Und eine gewisse Polarisierung einsetzte, auch in Medienhäusern.

Wem glaubst Du?

Glaube ist immer eine Annäherung. Eine Annahme. Eine Annahme, dass jemand ohne versteckte Agenda im Dienste einer Sache handelt. In den Medien glaube ich denen, denen es um Inhalte, um Tatsachen geht und nicht um Klicks, saftige Schlagzeilen und billige Effekte. Denen, die ihr Leben im Feld riskieren, damit wir uns daheim selbst ein Bild der Lage machen können. Denen, die wirklich zuhören und einen Sachverhalt von vielen Seiten zu beleuchten versuchen. Denen, die aufgrund eines journalistischen Kodexes arbeiten. Denen nehme ich ihr journalistisches Handwerk ab, glaube also, dass sie ihr Bestes geben. Trotzdem versuche ich mir selbst eine Meinung zu bilden.

Dein letztes Wort?

Gerne zitiere ich zum Thema Medien eine grosse Denkerin:

«Die einzige Regel, auf die sich jedermann in einem totalitär beherrschten Lande verlassen kann, ist, dass ein Apparat desto weniger Macht hat, je öffentlicher und bekannter er ist.» (Hannah Arendt in «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft)


Ivana Pribaković
Ivana Pribaković leitet die Nachrichtensendungen «Rendez-vous» und «Info 3» bei Radio SRF. Sie ist in Winterthur aufgewachsen und hat in Zürich Germanistik studiert. Direkt nach dem Studium stieg sie beim Winterthurer Radio Eulach in den Journalismus ein. Nach einem Wechsel zum Zürcher Radio Z arbeitete sie ab 1998 bei Radio DRS, zuerst beim Regionaljournal Zürich Schaffhausen, danach beim «Rendez-vous am Mittag» (wie es damals noch hiess). Seit 2016 leitet sie diese Mittagssendung von Radio SRF – bis 2020 gehörte auch das «Tagesgespräch» dazu – sowie die Sendung «Info 3» auf SRF 3.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous


Basel, 29.01.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten,  abonnieren Sie einfach meinen Newsletter. Das kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen «Medienmenschen» sowie den aktuellen Wochenkommentar, einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman: www.matthiaszehnder.ch/abo/

2 Kommentare zu "Ivana Pribaković: «Menschen wollen von Menschen informiert werden.»"

  1. Mit Schrecken stelle ich fest, wie Präsident Trump nach dem Prinzip des toxischen Positivismus (gut ist, was mir nützt) immer mehr ein Hoffnungsträger zu werden scheint. Dabei gilt Trumps Interesse nicht Frieden und Freiheit, sondern Donald Trump. So war er sein ganzes Leben lang. Und so dürfte er bleiben. Die Frage ist, wie viele er auf seinem Höhenflug mit in den Abgrund stürzen lassen wird?

  2. „(Unabhängige) Medien sind die vierte Gewalt“….
    Die vierte Gewalt…. immer noch wird dieser Ausdruck gebraucht. Gewalt ist nix. Ob 1., 2., 3., oder 4…..
    Zudem: Unabhängige Medien haben oft intern (in den Redaktionen) Tendenzen. Was gut zu sein ist und was schlecht zu sein ist. Über was man berichtet, über was man nicht berichtet. Welche Leserkommentare veröffentlicht werden, welche nicht (oft jene, welche den Nagel auf den Kopf treffen)…
    Unabhängig heisst eben nicht ideologisch frei. Und das ist das traurige an der heutigen Medienlandschaft. Ob SRG (oder gerade die) bis Ringier, ob Tamdia bis Klarsicht AG…
    Neigungen, Schlagseiten, Fälscherwerkstätten.
    Leider – sehr leider. Welchem Medium soll man da noch trauen….

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.