Isabelle Jacobi: «Die Medienfreiheit ist schneller weg als wir denken.»

Publiziert am 6. Dezember 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Isabelle Jacobi, USA-Korrespondentin für Radio SRF in Washington, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Sie sagt, dass sie in den USA stärker empfinde, «wie winzig der Schweizer Medienmarkt ist». Sie glaube, «dass wir in der Schweiz medienübergreifend glücklicherweise noch einen Konsens haben, was ‹Fakten› sind, was journalistische Ethik bedeutet.» Das sei in den USA nicht mehr gegeben: «Es gibt eine Parallelwelt von Fakten, je nach politischer Ausrichtung der Medien.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Washington Post», «New York Times», «Wall Street Journal», «Politico» und «Axios», auf dem Tablet. Das sind meine Grundnahrungsmittel am Morgen; dazu schlürfe ich einen Cappuccino, höre nach Bedarf die Podcast-Briefs von NPR und «Politico», schaue über die Stadt bis zum Kapitol am Horizont. Ich habe eine schöne Aussicht vom Wohnzimmer aus! Dann geht es ab ins Büro.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin auf allen aktiv, aber unterschiedlich intensiv. Auf Twitter platziere meine SRF-News-Artikel oder Dokumente, die ich spannend finde, wie kürzlich den Brief von Rep. Jerry Nadler an Präsident Trump, in dem er diesen einlädt zum Impeachment-Hearing im Justizausschuss des Repräsentantenhauses. Auf Instagram poste ich ein bisschen persönlicher. Twitter und Facebook sind für mich als Recherche-Tool extrem wichtig.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Primär Fernsehen, zuerst per «Fox News», sie sind derzeit in Regierungsdingen einfach  besser informiert, weil sie einen direkten Draht ins Weisse Haus haben. Dann zappe ich zu CNN und MSNBC, zu den «Oppositions»-Sendern, sozusagen. Gleichzeitig schaue ich auf dem iPhone, was andere Medien schreiben, Reaktionen suche ich auf Twitter.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Technologische Innovation, Experimente, neue Märkte finde ich enorm spannend. Ich bin keine Kulturpessimistin. Jedes Medienzeitalter hat seine Vor- und Nachteile. Trotzdem ist (Selbst)-Kritik angebracht. Das hohe News-Tempo schadet der journalistischen Qualität. Die Medienmaschine läuft und will gefüttert werden. Es gibt zu viele News, die keine News sind. Die Omnipräsenz von reisserischen Medien, der  Siegeszug der sozialen Medien, hat unseren Bezug zu Fakten relativiert – und das schätze ich als gefährlich ein für unsere Gesellschaft und nicht zuletzt für die Demokratie.

Hat sich Dein Blick auf die Schweizer Medienlandschaft verändert, seit Du in den USA bist?

Ja, ich empfinde stärker, wie winzig der Schweizer Medienmarkt ist. Ich sehe ihn fast ein bisschen als schützenswertes Pflänzchen. Ich glaube, dass wir in der Schweiz medienübergreifend glücklicherweise noch einen Konsens haben, was «Fakten» sind, was journalistische Ethik bedeutet. Das ist in den USA nicht mehr gegeben – es gibt eine Parallelwelt von Fakten, je nach politischer Ausrichtung der Medien.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Die gedruckte Zeitung wird zum Luxus-Gut werden, aber online wird das geschriebene Wort weiterhin blühen. Wir sehen zum Beispiel, dass Analysen auf SRF News sehr nachgefragt sind.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Wenn man an Macht und Politik interessiert ist: William Shakespeares Rosenkrieg-Stücke – wegen seinem archetypischen Personal und der genialen Architektur seiner Stücke.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe keine Zeit für schlechte Bücher – und auch für viele gute Bücher, auch sie lese ich leider oft nur teilweise oder quer. Ich würde gerne mehr Bücher lesen!

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Durch Kontakte mit Menschen. Deshalb ist es enorm wichtig, auf Reportagereisen zu gehen und sich Zeit zu nehmen für Begegnungen. So ergeben sich exklusive Geschichten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Diese Frage musst Du nicht einer Radio-Journalistin stellen. Aber hoffentlich noch lange. Ich würde sie vermissen, auch wenn ich selber selten noch Papier zur Hand nehme.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich habe Mühe mit dem Begriff, weil er propagandistisch verbrämt ist. «Fake News» sind meistens Tatsachen, die nicht ins eigene Weltbild passen. Die Raserei gewisser Kreise gegen uns Medien ist politisch motiviert

Wenn ich – und das ist leider so – um meine Sicherheit fürchten muss, wenn ich an ein Trump-Rally gehe, oder angepöbelt werde, wenn ich in Alabama eine Reportage über eine Abtreibungsklinik mache, dann finde ich das nur schlimm – und brandgefährlich überdies. Die Medienfreiheit ist schneller weg als wir denken.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Audio-visuelle Medien gehören selbstverständlich zu meinem Alltag – aber ich achte nicht sehr darauf, ob ich linear oder digital unterwegs bin.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich erwähnte schon die Morgen-Briefings von NPR und Politico. Das ist für News-Junkies und Journis ein zeitsparender Service. Ansonsten höre ich bisweilen «The Daily» und NPRs «Embedded» – auch als Ideenquelle für Gesprächspartner*innen. Grundsätzlich finde ich viele Podcast-Produkte momentan etwas abgelutscht – mehr oder weniger gut geführte Gespräche mit ein bisschen mehr oder weniger guten Musik untermalt. Oder der subjektive Zugang wirkt erzwungen – oder alles klingt irgendwie nach «serial». Aber klar, wir sind in einer Experimentierphase, alle wollen mitmachen. Bald wird das Handwerk wieder eine grössere Rolle spielen, da bin ich mir sicher.

Ein Podcast, der mich total hingerissen hat, ist «1619» von «NYT Magazine»: Die Episode «The Birth of American Music» ist ein wirkliches Hörerlebnis. Hervorragend produziert!

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich hoffe, dass sie mit 30 eine bessere Kost wählen. Ich habe mich auch erst ab 28 regelmässig informiert. Vorher war ich zu sehr damit beschäftigt zu studieren und mich zu verlustieren. Medienkonsum ist auch ein Frage des Lebensabschnitts.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Man sollte sich nicht alles wünschen, was technologisch machbar ist und auch nicht, was ausschliesslich Gewinne maximiert. Die Frage ist doch nicht: Was lässt sich machen? Die Frage ist: Was wollen wir?

Ich möchte an dieser Stelle kurz ein kleines Plädoyer für die KollegInnen vom Nachrichten-Desk halten. Oft wird ins Feld geführt, dass News ohne Qualitätsverslust automatisiert werden können. Aber Nachrichten sind nicht einfach simple reproduzierbare Abläufe. Eine Nachrichten-Redaktion muss gewichten, Kontext berücksichtigen, propagandistische Motive durchschauen, also hochwertige journalistische Leistung erbringen. Nachrichten bilden die Faktenbasis im Journalismus – das Handwerk, das hinter Nachrichten steckt, abzuwerten, halte ich für Brandstiftung.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, natürlich. Ich bin trotz meiner skeptischen Veranlagung eine Optimistin. Ich finde es aber schwierig vorauszusagen, wie der Medienmarkt in zehn Jahren aussieht. Man denke nur an den Erfolg von Long-Form-Audios aka Podcasts. Den hat niemand vorausgesehen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Täglich, und leider unleserlich! Mein Handschrift ist durch den ausschliesslich für mich selber gedachten Gebrauch so ziemlich degeneriert. Ich mache Notizen, wenn ich z.B. ein Hearing mitverfolge, oder ich zeichne manchmal Strukturen von Hand auf, wie etwa das Beziehungsgeflecht in der Ukraine-Affäre, die zum  Impeachment-Verfahren gegen Präsident Trump geführt hat.

Notizen für einschätzende Radiogespräche schreibe ich am Computer – ich hätte sonst Angst, sie nicht lesen zu können. 🙂

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Manchmal geht vergessen, dass Donald Trump ein Medienphänomen ist und Medien wunderbare Ratings beschert. Die Beziehung zwischen Trump und den US-Medien ist komplexer, als man denkt. Seine grosse Stärke ist, dass er weiss, wie man auf der Klaviatur der Medien spielt; er hat zudem einen hervorragenden Spürsinn dafür, wie Politik in der Öffentlichkeit ankommt. Er ist ein begnadeter Polemiker.

Die Medien spielen mit und stecken das Geld ein. Dann schimpfen sie über Trump. Es ist eine antagonistische Symbiose.

Ist etwas gut daran? Ja, Journalisten und Journalistinnen, die es schaffen, in diesen Zeiten das Prinzip der News-Würdigkeit hochzuhalten und sich nicht instrumentalisieren zu lassen, erhalten eine grosse Relevanz.

Wem glaubst Du?

Glauben? Nur wenn ich zwei unabhängige Quellen habe. 🙂

Ich vertraue Menschen, die mir persönlich nahestehen oder für die ich eine hohen professionelle Achtung verspüre. Aber jedermann ist fehlbar oder kann falsch informiert sein. Wir sind Menschen.

Dein letztes Wort?

Check Deine eigenen Fakten, bevor Du mit dem Finger auf andere zeigst.


Isabelle Jacobi

Isabelle Jacobi hat Kommunikation in Los Angeles studiert; Anglistik, Geschichte und Theaterwissenschaften in Bern mit einem Master abgeschlossen; und sie hat ein Business-Zertifikat der Columbia-Universität in New York. Seit 20 Jahren ist sie eine passionierte Radiojournalistin, meistens im Dienst von SRF.  Sie begann als Stagiaire, danach als Redaktorin und Moderatorin bei DRS2. Nach einem dreijährigen Aufenthalt als freie Journalistin in New York kehrte sie in die Schweiz zurück, zur Sendung «Echo der Zeit» von Radio SRF, zuerst als Produzentin, dann als Ressortleiterin und Moderatorin. Seit Sommer 2017 ist sie USA-Korrespondentin für Radio SRF in Washington. Das Bild auf dieser Seite zeigt Isabelle Jacobi während einer Repotour in Nashville: Sie berichtete über einen Protest der Klimajugend des Sunrise-Movement.
@jacobiis


Basel, 6. Dezember 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Isabelle Jacobi: «Die Medienfreiheit ist schneller weg als wir denken.»"

  1. Zwei Aussagen gefallen mir speziell. „Es gibt zu viele News, die keine News sind.“ und „«Fake News» sind meistens Tatsachen, die nicht ins eigene Weltbild passen.“ Beide haben unter anderem damit zu tun, dass Medien eine der Waffen im Kampf um Macht und Reichtum sind. Ähnlich wie Schulen, bei denen es darum geht zu gewinnen, und nicht um Bildung.

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