Isabel Pfaff: «Mehr Tempo, mehr Streit, weniger Inseldenken!»

Publiziert am 3. Dezember 2025 von Matthias Zehnder

Das 362. Fragebogeninterview, heute mit Isabel Pfaff, Wirtschaftsredaktorin bei Radio SRF. Sie trauert dem alten Twitter nach: «LinkedIn ist zu meinem Twitter-Ersatz geworden, allerdings nur fast», sagt sie. «Vieles fehlt dort, vor allem die pointierten Meinungsminiaturen.» Sie nutzt zwar Medien nur noch on demand, davon abgesehen «bin ich in meiner Arbeits-, Lese- und Hörpraxis eher konservativ, schätze ich: keine Revolutionen so far.» Obwohl sie für das Radio arbeitet, schätzt sie geschriebene Worte sehr: «Nirgendwo ist das Verhältnis von Zeiteinsatz und Tiefe besser als bei einem Text.» Die Digitalisierung habe «enorme Möglichkeiten geschaffen. Wie toll ist es, dass ich im Zug auf dem Handy erst einen Text der «Financial Times» lesen und dann das «Rendez-vous» als Podcast hören kann?» Fehlt nur noch das Geschäftsmodell für digitalen Journalismus. Ein Problem sieht sie in der Verbreitung von Fake News: «Das Geraderücken von Falschmeldungen kriegt nach der ersten Aufregung kaum jemand mehr mit.» Dies insbesondere, weil Journalismus «heute eine nie da gewesene mediale Konkurrenz» habe. «Wir müssen auf diesen sozialen Plattformen präsent sein – und dabei das Kunststück vollbringen, weiterhin gute, tiefe Berichterstattung zu liefern.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Deutschlandfunk Kultur oder SRF4 News, je nach dem, welches Familienmitglied das Radio anstellt. Etwas anderes als Audio ist während der Morgenroutine mit zwei Kindern leider nicht drin.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

LinkedIn ist zu meinem Twitter-Ersatz geworden, allerdings nur fast. Vieles fehlt dort, vor allem die pointierten Meinungsminiaturen. Ich habe kurz BlueSky ausprobiert, aber es ist einfach nicht dasselbe. Instagram ist für mich ein reines Eskapismus-Medium, deshalb muss ich diese App vom Handy verbannen, sonst bin ich verloren.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Dass ich heute nicht mehr auf Hermes-Seiten, sondern in einem CMS Texte schreibe, ist für mich eher ein gradueller, kein fundamentaler Unterschied. Zum Text kam bei mir nach zehn Jahren Journalismus noch Audio dazu, das war schon aufregender. Ansonsten bin ich in meiner Arbeits-, Lese- und Hörpraxis eher konservativ, schätze ich: keine Revolutionen so far.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Schon eher besser, weil mehr Ressourcen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich. Nirgendwo ist das Verhältnis von Zeiteinsatz und Tiefe besser als bei einem Text.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Neben Büchern: Immer noch meine erste berufliche Liebe, die «Süddeutsche Zeitung». Aber auch die Leitartikel der WoZ, die Analysen der NZZ, die Recherchen der «Republik». Ich mag auch den lokalen Blick der «Hauptstadt».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese sie wirklich immer zu Ende. Sie verfolgen mich sonst als unvollendete Projekte meines Lebens.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Tatsächlich immer noch sehr oft beim Zeitungsblättern. Ansonsten: die nerdigen Gespräche mit alten Freund:innen von der Journalistenschule. Aber unbedingt auch das Gegenstück: Gespräche mit Nicht-Journalist:innen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Als ich 2012 auf die Journalistenschule kam, hiess es: noch fünf Jahre. Ich beteilige mich nicht mehr an solchen Schätzungen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Angesichts der begrenzten Medienzeit der Nutzer:innen: eindeutig eine Gefahr. Das Geraderücken von Falschmeldungen kriegt nach der ersten Aufregung kaum jemand mehr mit.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio gerne ab und zu linear, Fernsehen praktisch nie. Ich liebe es, dass ich im On-demand-Zeitalter lebe.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre natürlich deutlich mehr seit meinem Wechsel zu SRF. Schweizerische Podcasts, aber auch immer noch viele deutsche, weil mir in der Schweiz manchmal das Tempo fehlt. Ich mag «Der Tag» vom Deutschlandfunk, «Politik mit Anne Will» oder den «Gyncast» vom Tagesspiegel. Eine Empfehlung: «Die Peter Thiel Story». Am meisten höre ich wohl trotzdem das «Echo der Zeit». Exzellent ist auch, was die Kolleg:innen von «Newsplus» in wenigen Stunden auf die Beine stellen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Es ist natürlich nicht gut. Journalismus hat heute eine nie da gewesene mediale Konkurrenz, und damit muss man umgehen. Wir müssen auf diesen sozialen Plattformen präsent sein – und dabei das Kunststück vollbringen, weiterhin gute, tiefe Berichterstattung zu liefern. Davon abgesehen glaube ich, dass wir manchmal vergessen, dass so richtig intensiver Medienkonsum bei den meisten schon immer eher spät im Leben angefangen hat – auch bei mir selbst. Als hätten Zeitungen früher von Studierenden-Abos gelebt …

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Gewisse Bereiche ja: Wahlergebnisse, Sportberichte, Unternehmensmeldungen. Aber die sind überschaubar. Ein Drittel der Artikel? Glaube ich nicht. Ist wohl kein Zufall, dass das ein Nicht-Journalist prognostiziert.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung hat enorme Möglichkeiten geschaffen. Wie toll ist es, dass ich im Zug auf dem Handy erst einen Text der «Financial Times» lesen und dann das «Rendez-vous» als Podcast hören kann? Aber klar: Das perfekte Geschäftsmodell für digitalen Journalismus suchen wir immer noch.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. In einem Land mit derart weitreichenden Mitbestimmungsrechten braucht es deutlich mehr mediale Grundversorgung als in anderen, repräsentativeren Demokratien. Mich erstaunt, dass dieser wichtige Unterschied so wenig diskutiert wird.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Sehr oft sogar. Telefonnotizen, Beobachtungen, Gliederungen von Texten oder Beiträgen – das funktioniert für mich schneller und besser von Hand. Und landet irgendwie anders im Hirn.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Auf eine kurzfristige Art gut, es hat gewissen Medien Auftrieb gegeben. Aber seine «alternative Facts», gepaart mit seiner schieren finanziellen Macht, haben den Diskurs derart verschoben, dass wir Journalist:innen uns und unsere Arbeit oft so grundsätzlich erklären müssen, dass wir gar nicht mehr richtig zum Arbeiten kommen.

Wem glaubst Du?

Den SRF-Nachrichten-Redaktor:innen. Die sind extrem verlässlich und genau.

Dein letztes Wort?

Eine Art Wunschliste für den Schweizer Journalismus: mehr Tempo, mehr Streit, weniger Inseldenken.


Isabel Pfaff

Isabel Pfaff, Jahrgang 1985, ist seit 2024 Wirtschaftsredaktorin bei Radio SRF und berichtet dort vor allem über Agrarthemen, die Pharmaindustrie und Rohstoffe. Vorher arbeitete sie zehn Jahre für die «Süddeutsche Zeitung», zunächst als Auslandredaktorin mit Berichtsgebiet Afrika, dann war sie über fünf Jahre Schweiz-Korrespondentin mit Sitz in Bern. Isabel Pfaff hat Afrikanistik, Politologie und Geschichte studiert und ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule.
https://www.srf.ch/news/wirtschaft


Basel, 03.12.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Stephan Rumpf

Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Isabel Pfaff: «Mehr Tempo, mehr Streit, weniger Inseldenken!»"

  1. Fr. Pfaff (SRG-Mitarbeitende) traut den SRF-SRG-Nachrichten(redaktoren).
    Ich traue den SRG-SRF-Nachrichten(redaktoren) nicht.
    So sind die Menschen anders….
    Der Grund: Praktisch täglich gibt es einen Grund. Der letzte Grund(…Das Letzte): Wie Stefan Millus gestern in seinem „The daily mill“ (auf You-Tube, nicht auf SRF) raussuchte und bekannt gab, wurde über die schwersten Demonstrationen und Krawallen in Giessen, welche dieses Bundesland noch nie so erlebte, von der Deutschland-Korrespondentin SRF folgendes den Schweizern weisgemacht: „Es gab Demonstrationen, sie blieben weitgehend friedlich und waren bunt.“
    Fact war: Es wurden Journalisten angegriffen, Polizisten mit Wurfgeschossen und schwerem Geschützt (Containern usw) verletzt, die Bild-Zeitung fragte: „Sehen so friedliche Demos aus“ – daneben Bilder mit Rauch, Feuer und unglaublicher Zerstörung, auch die Ausrüstung vom Bild-Journalisten-Team wurde zerstört.
    Einfach nur traurig, solch aufgetischte „Märlistunden“ (anständig ausgedrückt.)
    Das war gestern. Was ist heute wieder lätz bei SRF?
    Es ist zwar „freier“ Journalismus (durch Zwangs-Gebühren finanziert und nicht durch Firmenimperien usw) aber trotzdem keinesfalls ein neutraler Journalismus welcher die SRG uns bietet. Es ist ein ideologisches Weltbild, immer contra Rechts, immer links lobgehudelt. Schweizweit, Europaweit, Weltweit.
    Genau deshalb und wegen vielem mehr (uferloser Moloch, zu viel Luxus, zu viel Output, zu grosse Gehälter in gew. Etagen im kaufkraftbereinigten Europavergleich) mag ich nicht mehr über 300 Fr meines sauer verdienten Geldes an SRG-SRF-Medien-Zwangs-Gebühren für dieses Treiben und Tun hinblättern. Und laut BaZ und BZ vom 3. Dez., welche beide von einer (geheimen) Somoto-Umfrage zu berichten wissen, viele Bewohnende (Schweizer, Zugewanderte, Migranten, Expats, KMU’s und Beizen, Firmen und und und) anscheinend auch nicht mehr.
    Wann vernehmen wir wohl DIES von den SRG-Nachrichten(redaktoren) ?

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