Ina Bullwinkel: «Leider machen sich Tageszeitungen für junge Menschen nicht attraktiv genug»

Publiziert am 12. Januar 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Ina Bullwinkel, Redaktorin beim Basler Onlinemagazin «Bajour». Sie fragt sich, warum die Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen heute «so schlecht bzw. vor allem über Social Media erreicht» werden kann. «Ich glaube, (Online-)Magazine haben grosses Potenzial, mehr von den Jüngeren zu erreichen und schaffen das teils schon heute.» Sie möchte deshalb die Digitalisierung «nicht verteufeln», sie bedauert eher, dass es die Verlage verpasst haben, «Medien mit einem Bezahlmodell in die Digitalisierung zu überführen. Das Bewusstsein, dass man für Nachrichten und gute Recherchen bezahlen muss, ist verloren gegangen.» Sie selbst ist, obwohl sie bei einem Onlinemedium arbeitet, nicht nur digital unterwegs: «Termine auf dem Handy gehen gar nicht für mich. Ich muss mir alles mit der Hand notieren».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Radio. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Auf Facebook bin ich kaum noch unterwegs. Auf Twitter müsste ich aktiver sein (weil man für sich als Journalistin werben soll) und auf Instagram verbrenne ich zu viel Zeit. Obwohl ich dort auf interessante (News-)Themen stosse, die mir früher bei Facebook begegnet wären.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Als die Pandemie losging, habe ich noch am Newsdesk bei ntv.de in Berlin gearbeitet. Das hiess, wir hatten plötzlich einen Corona-Ticker und alles drehte sich um die Pandemie. Für mich bedeutete das, dass ich mich nicht vor den Corona-News verstecken konnte, wenn es mir zu viel wurde. Das ist in meinem jetzigen Job zum Glück anders, obwohl ich immer noch jeden Tag zu Corona lese.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich lebe noch nicht lange genug in der Schweiz, um so einen Vergleich zu ziehen. In Deutschland hatte ich vor allem die «NZZ» wahrgenommen. Mein Gefühl ist, dass sie über die vergangenen Jahre noch konservativer geworden ist.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Daran glaube ich zumindest. 

Was soll man heute unbedingt lesen?

Nicht nur Zeitung und Magazine, sondern auch Bücher. Ich empfehle aktuell zum Beispiel «Die Erschöpfung der Frauen» von Genderforscherin Franziska Schutzbach.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bücher, die mir nicht gefallen, lege ich meistens weg. Wobei es gute Bücher gibt, durch die man sich quälen muss. So ging es mir zum Beispiel bei Elfriede Jelineks «Die Klavierspielerin». «GRM» von Sibylle Berg habe ich allerdings nicht geschafft.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf Instagram und in Podcasts.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bis die Welt untergeht.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ich sehe sie als grosse Gefahr. Sie untergraben die Autorität und Glaubwürdigkeit der Medien, die sauber arbeiten. Jede:r kann Fake News verbreiten und leider wird ihnen von einigen Menschen Glauben geschenkt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ich höre regelmässig Radio. Lineares Fernsehen schaue ich nur im Stream, das sind dann entweder Nachrichten oder Polit-Talkshows.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja! Ich höre Podcasts vor allem zur Unterhaltung oder zu Themen, die mich gerade umtreiben. im Moment höre ich am liebsten «Conan O’Brien needs a Friend».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Man muss sich fragen, warum diese Altersgruppe so schlecht bzw. vor allem über Social Media erreicht wird. Leider machen sich Tageszeitungen für junge Menschen nicht attraktiv genug. Ich glaube, (Online-)Magazine haben grosses Potenzial, mehr von den Jüngeren zu erreichen und schaffen das teils schon heute. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich glaube, zum Teil ist das durchaus möglich und findet ja im Prinzip schon statt, wenn per Copy und Paste Meldungen von den Agenturen übernommen werden. Aber es gibt immer jemanden, der oder die recherchieren und einordnen muss. Das macht Journalismus aus. Komplett automatisierte Medien widerstreben mir.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung würde ich nicht verteufeln, sondern eher die sehr früh verpasste Chance, Medien mit einem Bezahlmodell in die Digitalisierung zu überführen. Das Bewusstsein, dass man für Nachrichten und gute Recherchen bezahlen muss, ist verloren gegangen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja, zumindest, wenn es genügend Menschen gibt, die dafür etwas bezahlen wollen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich schreibe Tagebuch. Zwar nicht regelmässig, aber immerhin. Und ich habe einen altmodischen Kalender. Termine auf dem Handy gehen gar nicht für mich. Ich muss mir alles mit der Hand notieren, auch auf Reportage.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Was die Klickzahlen betrifft, war er wohl gut. Und manche US-Medien haben Aufwind bekommen durch die Berichterstattung über ihn, die Washington Post zum Beispiel. Insgesamt ist Trump allerdings eine riesige Fake-News-Schleuder, und viele seiner kruden Aussagen mussten weiterverbreitet werden, weil er eben der US-Präsident war. Schlecht war er für die Medien deshalb, weil er die seriösen dauernd als Fake News beschimpfte und ihm viele Amerikaner*innen glaubten.

Wem glaubst Du?

Christian Drosten. Ich möchte zumindest daran glauben, dass die Pandemie bald vorbei ist und vertraue der Wissenschaft.

Dein letztes Wort?

Journalismus lohnt sich und verdient mehr Anerkennung, auch finanziell. 


Ina Bullwinkel
Ina Bullwinkel hat Aussenwirtschaft und Europawissenschaften studiert. Nach dem Master volontierte sie in Bremen bei der Tageszeitung «Weser-Kurier». Ihre erste Anstellung als Redaktorin hatte sie am Newsdesk bei ntv.de in Berlin. Kurze Zeit später zog es sie nach Basel, wo sie bei «Bajour» eine journalistische Heimat fand. Sie schreibt dort vor allem über Politik und Wirtschaft und regelmässig den Newsletter «Basel-Briefing» inklusive ihrer Kolumne «Baseldytsch mit Ina».
https://bajour.ch/


Basel, 12. Januar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Disclaimer: Ich bin Präsident von «Bajour» – auf das Fragebogeninterview hatte das aber keinen Einfluss.

Seit Ende 2018 sind über 150 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier:
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Ein Kommentar zu "Ina Bullwinkel: «Leider machen sich Tageszeitungen für junge Menschen nicht attraktiv genug»"

  1. Vom „Weser-Kurier“ über „ntv-Berlin“ zu „Bajour“. Interessante Frau. Und als Frischzuzüger dann gleich Basel-Insider-Rubriken wie „Basel-Briefing“ oder „Baseldytsch mit Ina“ übernehmen/schaffen Respekt.
    Richtig so, denn 1.) gibt’s ja den richtigen „Basler/in“ gar nicht mehr und 2.) tut „Sicht von Aussen“ auf Basel gut und not. Bleibt abzuwarten, ob sich die Artikel wie anbiedernde Oden an die neue Heimatstadt lesen, um bei „einflussreichen Personen“ aufzusteigen und vorwärts zu kommen oder ob der kritische Blick auf z.B. den vandalisiertesten Platz Europas, genannt Basel aufgezeigt wird (www.schoenesbasel.ch), weshalb in Basel fremdes Eigentum systematisch vandalisiert wird, wieso in Basel zwischen „Dein und Mein“ nicht mehr unterscheiden werden kann, wieso diese krankhaften Berufs-Chaoten in der „Intelligenzia-Stadt“ so um sich greifen, Missstände angesprochen werden und der Finger auf die Wahnsinns-Wunden gelegt wird, denn das wäre/ist Journalismus.
    Berufs-Basler, Schönschreib-Basler, PR-Schreibe über Basel haben wir von „Stadt-Konzept Basel“ über „Pro-Innerstadt“ bis zu „Basel-Tourismus“; welcher tief in der Bredouille steckt (wir sprechen vom Tourismus bis zum Tourismus-Verein selbst) genug – denn Totschweigen und auch die (beste) Selbsttäuschung geht immer nur bis zu einem bestimmten Punkt…..

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