Heiner Hug: «Viele Zeitungen sind schlechter geworden»

Publiziert am 10. Juli 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Heiner Hug, Ex-Chef der «Tagesschau» und Gründer von Journal21.ch, über seinen persönlichen Mediengebrauch, seinen Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Er sagt, dass viele Zeitungen «Einheitsbrei, keine Recherchen mehr, nur noch wenige Auslandberichte» veröffentlichen. Auch die sogenannten Qualitätszeitungen hätten Federn gelassen. «Viele Printmedien haben begonnen, zusätzlich Filmchen aufzuschalten.» Doch der Informationswert dieser Schnipsel sei oft sehr bescheiden. Hug ist überzeugt, dass es weiterhin professionelle Journalisten braucht: «Viele Leute möchten glauben können, was man ihnen sagt. Deshalb braucht es seriöse Informationen und redliche Journalisten.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke nie.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich brauche Facebook und Twitter, um die neuen Artikel in unserem Journal21.ch anzukündigen. Persönliches poste ich nie.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Übers Internet. Ich schalte die grossen Medien auf, Print, Radio, Fernsehen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Viele Zeitungen sind schlechter geworden: Einheitsbrei, keine Recherchen mehr, nur noch wenige Auslandberichte. Auch die sogenannten Qualitätszeitungen haben Federn gelassen. Dennoch findet man immer wieder Gutes.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Die Verlagerung des geschriebenen Wortes ins Netz wird sich beschleunigen. Doch es wird immer Papierzeitungen und Bücher geben. Eine Statistik des deutschen Börsenvereins zeigt, dass gerade junge Leute wieder mehr Bücher lesen, sogar Printausgaben. Viele Printmedien haben begonnen, zusätzlich Filmchen aufzuschalten. Auch Politiker verbreiten ihre Messages immer häufiger via Video-Schnipsel, die meist miserabel gedreht sind. Der Informationswert dieser Schnipsel ist oft sehr bescheiden. Es ist erstaunlich wie viele Leute lieber unscharfe, verwackelte Bildchen sehen, als dass sie ein paar Zeilen lesen. Offenbar wächst die Lesefaulheit. Wenn schon Bilder, dann lieber richtiges Fernsehen.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Das muss jeder selbst entscheiden. Ich lese Tageszeitungen, Magazine, surfe lange im Netz. Ich lese auch gerne Sachbücher mit Hintergründen zu aktuellen Themen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Wenn mich ein Buch nach dreissig, vierzig Seiten nicht fesselt, lege ich es weg. Ich lasse mir nicht gerne von komplizierten, aufgeblasenen Schriftstellern, die nicht schreiben können, die Zeit stehlen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Wenn man neugierig und offen ist, wenn man viel liest und viel hört, viele Menschen kennt, wenn man reist, dann stösst man immer wieder auf Dinge, von denen man nichts gewusst hat und die einen fesseln. Wichtig ist, dass man nicht immer auf den gleichen Pfaden wandert.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Viele gedruckte Zeitungen werden verschwinden. Oder sie fusionieren und fusionieren sich zu Tode, damit der Einheitsbrei noch grösser wird. Doch es wird immer gedruckte Zeitungen geben. Auf der einen Seite Gratisblättchen mit mässigem Niveau. Auf der anderen Seite wenige Qualitätsblätter, die sich an ein intelligentes, informiertes, weltoffenes Publikum wenden – und auch teurer sein werden. Gedruckte Bezahlzeitungen drohen, zum Luxusgut werden.

Funktioniert Journalismus online anders als über traditionelle Kanäle?

Online-Journalismus ist schneller. Das haben inzwischen auch die letzten Schweizer Zeitungen gemerkt. Ein Online-Auftritt hat fast schon – neben der klassischen Berichterstattung – die Funktion einer Nachrichtenagentur. Aber Journalismus ist Journalismus. Ob Online oder traditionell sollten die gleichen Kriterien gelten. Vor allem das Kriterium Qualität. Doch ich kann das ewige Gerede vom Qualitätsjournalismus nicht mehr hören. Noch nie haben Unis, Fachhochschulen, das MAZ und andere so viele Kurse zum Qualitätsjournalismus angeboten. Auf Podien und an Seminaren spricht man von Qualitätsjournalismus. Unaufhörlich. Immer die gleiche Leier. Und was ist die Folge? Die Zeitungen werden immer schlechter. Vieles im Journalismus kann man eben nicht in Seminaren und Vorlesungen lernen. Journalismus ist geprägt durch den Charakter des Journalisten, seine Bildung, sein Wissen und seine Analysefähigkeit. Journalismus ist also vor allem eine Charakterfrage. Ein redlicher, seriös arbeitender Journalist wird keine Fake News produzieren (unter Fake News verstehe ich, «absichtlich», gegen besseren Wissens in die Welt gesetzte Falschinformationen; Fehler hingegen können allen passieren). Andererseits bleibt ein unredlicher Mensch auch unredlich, wenn er drei Jahre lang Kurse in Qualitätsjournalismus besucht hat.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind vor allem ein Gefahr für jene, die diesen Quatsch glauben. Einige Medien könnten sich profilieren als No-fake-news-Medien, als Fels in der Brandung von seichten, manipulierten Informationen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre oft Radio, vor allem natürlich im Auto. Am Fernsehen konsumiere ich einzig Informationssendungen. Die Unterhaltung ist mir zu blöd.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Nein. Aber ich weiss, dass Podcasts die Zukunft sind.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Solche Statistiken müssen mit Vorsicht betrachtet werden. War es nicht immer so, dass etwa die Hälfte der Jungen (und der Erwachsenen) sich kaum für News interessierten. Sobald sie älter werden, Karriere machen wollen, ändert sich das Blatt. Wir müssen damit leben, dass die Gesellschaft aus verschiedenen Teilen besteht. Da gibt es die Menschen, die neugierig und interessiert sind, Anteil am nationalen und internationalen Geschehen nehmen, sich weiterbilden und sich à fond informieren. Das ist wohl der kleinere Teil der Gesellschaft. Und dann gibt es jene Menschen, die durchs Leben floaten, sich von den Medien unterhalten lassen wollen, sich für Faits divers interessieren, es sei denn die Zwillingstürme brechen zusammen. Und es gibt eine dritte Je-nachdem-Gruppe, die sich zwischen den beiden Kategorien bewegt. Das war immer schon so. Die Menschheit ist nicht dümmer geworden. Gescheiter wohl auch nicht.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Für Kurzmeldungen können ja Roboter eine Funktion haben. Aber für den richtigen Journalismus nicht. Ein Roboter kann nicht abwägen, analysieren, kommentieren, Stimmungen erkennen, ethisch denken, eine Meinung äussern.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Es braucht den professionellen Journalismus und wird ihn immer geben. Die Menschen lassen sich nicht gerne mit unqualifiziertem Journalismus von unqualifizierten Möchte-gern-Journalisten übers Ohr hauen. Viele Leute möchten glauben können, was man ihnen sagt. Deshalb braucht es seriöse Informationen und redliche Journalisten.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nein. Ich kann meine Schrift nicht lesen.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist wunderbar. Die New York Times hat ihre Auflage um einen Drittel gesteigert. Die Zahl der digitalen Abonnements der New York Times hat sich seit Trumps Amtsantritt mehr als verdreifacht. Auch der Washington Post geht es gut. Beide hoffen, Trump würde wiedergewählt. Bei uns bringt er wohl kaum Auflage und Quoten. Es sei denn, er erklärt irgendwem einen Krieg.

Wem glaubst Du?

Wenn man 50 Jahre lang Journalist war und weiter ist, fällt man nicht so schnell auf Fake News herein. Wer informiert ist, ein breites Hintergrundwissen hat, kritisch ist, lässt sich nicht so schnell hereinlegen. Wie sagte die böhmische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: «Wer nichts weiss, muss alles glauben.» Das gilt auch umgekehrt: Wer etwas weiss und informiert ist, kann die Spreu vom Weizen besser unterscheiden.

Dein letztes Wort?

Wir haben oft die Tendenz, die Jungen als uninteressierte, langweilige Gattung Mensch zu disqualifizieren, die an seriösem Journalismus kein Interesse hat. Ich stelle heute etwas Anderes fest. Ich glaube die jetzige, junge Generation unterscheidet sich von jener, die vor ihr war. Ich kenne viele junge Leute (einige schreiben für uns), die stark an Politik, am nationalen und internationalen Geschehen interessiert sind, die sich mobilisieren (nicht: manipulieren) lassen, die sogar richtige Zeitungen kaufen, die über Themen diskutieren, streiten, Lösungen suchen. Da könnte sich etwas geändert haben. Aber natürlich gibt es immer auch andere.


Heiner Hug

Heiner Hug arbeitete 38 Jahre lang für das Schweizer Fernsehen. 17 Jahre lang war er Korrespondent in Genf und Paris sowie Mitarbeiter für das ZDF, die NZZ und die Agentur AP. Er war Auslandchef der «Tagesschau» und fünf Jahre lang Chef der «Tagesschau». Nach seiner Pensionierung mit 62 gründete er die Internetzeitung Journal21.ch.

www.journal21.ch


Basel, 10. Juli 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Heiner Hug: «Viele Zeitungen sind schlechter geworden»"

  1. Mit der Qualität der Bildung scheint es wie mit der Qualität von Journalismus: Je mehr davon geredet wird, desto geringer ist sie. – Was Herr Hug über die Jungen sagt, macht zuversichtlich: Ist die Generation, die es anders will, kann und tut, vielleicht doch schon gezeugt?

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