Harry Stitzel: «Vielleicht kann bald nur noch K.I. die K.I entlarven»

Publiziert am 17. Mai 2023 von Matthias Zehnder

Das 229. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Harry Stitzel, Journalist auf der Wirtschaftsredaktion des Schweizer Fernsehen SRF. Er sagt, er habe Papierzeitungen «nicht nur aus Solidarität abonniert, sondern lese wirklich lieber und auch konzentrierter auf Papier.» Er vermutet allerdings, dass er «als Papierleser zu einer aussterbenden Spezies» gehöre. «Meine Hoffnung ist, dass ein digitaler Verweigerungstrend zu einem Print-Revival führt.» Die riesige Konkurrenz, die den Medien im digitalen Raum entgegenschlägt, sieht er nicht negativ: Die Medien würden dadurch «angeregt, noch besser zu sein, genau zu arbeiten, die wichtigen Themen zu wählen, gute Geschichten zu erzählen, einzuordnen wo nötig, aber vor allem unvoreingenommen zu berichten.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Tages-Anzeiger» und «NZZ», am Wochenende ausgiebiger: «Sonntagszeitung» und die «NZZ am Sonntag» und zwar immer noch Oldschool, die gedruckte Ausgabe. Ich habe die Zeitungen nicht nur aus Solidarität abonniert, sondern lese wirklich lieber und auch konzentrierter auf Papier. Dazu Radio SRF1 «Heute Morgen», und diverse Newsletters per iPhone.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter nutze ich regelmässig beruflich für Ideen-Inputs, Dasselbe gilt für LinkedIn, das ich auch als berufliches Vernetzwerk nutze. Facebook, Instagram zur privaten Unterhaltung oder ab und zu fürs Selbstmarketing.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Das Homeoffice klingt nach, das heisst, es bleibt möglich, ab und zu von zu Hause zu arbeiten, was ich begrüsse (wenn die Kinder nicht zu Hause sind 😉). Generell bevorzuge ich jedoch die Arbeit im Büro, vor allem wegen des inspirierenden Austausches mit Kolleg:innen. TV-Produktionstechnisch ist es zudem meist nicht anders möglich, als vor Ort zu sein.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Besser waren früher wohl vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen, vor allem bei den «Privaten», was mehr Mittel und Zeit für Recherche bedeutete. Da wähne ich mich bei SRF nach wie vor in einer privilegierten Situation.

Ich glaube auch, dass die Medienvielfalt trotz Konzentration heute gross ist, was mir natürlich gefällt: Von der «Republik» bis zur «Weltwoche». Und was die TV-Landschaft anbelangt: Der Service Public trägt nach wie vor zur Vielfalt bei, und das bleibt hoffentlich noch lange so. Für meine Arbeit sind die digitalen Recherche-Möglichkeiten ein Paradies.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ich hoffe es doch sehr – vor allem die von Menschen geschriebenen.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Da bin ich kein guter Ratgeber. Auf meinem Nachttisch liegen «Agromafia» von Oliver Meiler, Martin Suters «Melody» und Yuval Noah Hararis «Eine kurze Geschichte der Menschheit». Leider erliege ich Abends jedoch oft der Verlockung der Netflix-Welt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich gebe relativ schnell auf, wenn es mich nicht packt.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Ich glaube, es ist nicht das «wo». Voraussetzung dafür ist, wie offen ich durchs Leben gehe, mich für die Menschen interessiere, denen ich begegne, geplant oder zufällig, ihnen zuhöre, mich in ihre Welt hineinfühle und hineinerfrage. Vermeintlich Unspektakuläres und auf den ersten Blick Langweiliges wird dann oft spannend. Regelmässig passiert mir das auch an den täglichen Morgensitzungen auf der Redaktion. Dort leiste ich diesbezüglich jedoch oft zuerst Widerstand, was meinen Vorgesetzten nicht nur leicht fällt. Ich nenne dies kritisches Umzingeln einer Materie.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Weil ich als Papierleser offenbar zu einer aussterbenden Spezies angehöre, leider vermutlich nicht mehr allzu lange. Meine Hoffnung ist allerdings, dass ein digitaler Verweigerungstrend zu einem Print-Revival führt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine riesige Herausforderung, vor allem jetzt, wo die Künstliche Intelligenz immer besser wird und gefakte Texte immer schwieriger als solche erkennbar sind. Es braucht eigentlich Transparenz: K.I.-Texte müssten als solche deklariert werden. Doch vielleicht ist es blauäugig, dies zu fordern. Vielleicht kann bald nur noch K.I. seinesgleichen entlarven.

Was dies anbelangt: Ich weigere mich, allzu intensiv vor einer düsteren Zukunft mit immer leistungsfähigeren Maschinen zu fürchten. Das gelingt mir meist.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio: Meist linear, punktuell und zur Recherche auch on demand. Fernsehen: meist zeitversetzt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Diese Welt habe ich irgendwie noch nicht richtig entdeckt, obwohl meine alte Liebe das Radio ist, wo ich meine Medien-Karriere gestartet habe. Wenn ich nicht mit der Vespa, sondern mit den ÖV pendeln würde, wäre es wohl häufiger mein Begleiter. Ich höre Podcasts «nur» während des Fitnesstrainings: «Doppelpunkt» mit Roger Schawinski, Mark Kermode & Simon Mayo: Filmreviews( Bis 2022 auf BBC 5 live radio, heute Kermode & Mayo’s Take auf YouTube), oder auch das «Echo der Zeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Eine riesige Herausforderung, diese Zielgruppe via Social oder Newsapps später doch noch auf den Geschmack zu bringen. Ich habe Hoffnung, dass meine Söhne irgendwann von YouTube und TikTok aus auch vertiefende News-Inhalte konsumieren werden. Eine Challenge, neue Erzählarten und -formen zu finden.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Teile davon wohl schon. Bekannt ist ja zum Beispiel von der Sportberichterstattung, dass es möglich ist. Wo es jedoch Recherche, Einschätzung, Intuition, Mitgefühl, Spontaneität und Kreativität braucht, hoffe ich doch sehr, dass es noch sehr, sehr lange dauert, bis K.I. das übernehmen werden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich sehe das recht positiv. Zwar ist das Angebot für die Konsument:innen unendlich gross geworden, jeder kann seine Meinung online verbreiten. Damit wächst die Konkurrenz für die Massenmedien. Diese werden damit aber angeregt, noch besser zu sein, genau zu arbeiten, die wichtigen Themen zu wählen, gute Geschichten zu erzählen, einzuordnen wo nötig, aber vor allem unvoreingenommen zu berichten. Das bleibt wohl immer gefragt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Eigentlich fast nur noch an Pressekonferenzen, wo ich nie mit dem Laptop hingehe oder an internen Sitzungen, um Stichworte zu notieren. Für ausführliche Notizen während Recherche-Telefonaten bin ich einfach massiv schneller am Computer.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Zahlenmässig war es ja eindeutig Ich glaube aber, der Trump-Effekt hat inzwischen abgenommen. Was die Polarisierung anbelangt, bedeutete er, vor allem in den USA, eine Katastrophe. Die Medien berichteten dort ja nur entweder für oder gegen ihn, was wohl auch die Bevölkerung zusätzlich spaltete…

Wem glaubst Du?

Meinen Liebsten, guten Freunden und Kolleg:innen und meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

… ist hoffentlich noch lange nicht gesprochen. Zum Thema Medien: Trotz grosser Umwälzungen in der Branche, Spardruck und ungewisser Zukunft, überwiegt für mich noch immer grosse Freude an meinem Job. Wo sonst könnte ich meine Neugierde und Entdeckungslust derart ausleben, während einer Recherche leiden, durch das Tal der Tränen gehen, fast daran verzweifeln und es am Schluss doch wieder geschafft haben, eine Story «gebändigt» haben, Euphorie erleben und dann von Neuem am Berg stehen? Man liebt es oder man hätte längst aufgegeben.


Harry Stitzel
Harry Stitzel (*1969) hat die Handelsmittelschule absolviert und danach als Reiseberater gearbeitet. Nach Stationen beim Lokalradio und Privat-TV absolvierte er die Medienausbildung am Maz, einen Master of Mass Communications in Leicester und einen Master of applied history an der Universität Zürich. Seit 2006 arbeitet er als Journalist beim Schweizer Fernsehen SRF, zunächst auf verschiedenen Redaktionen, seit ein paar Jahren hat er in der Wirtschaftsredaktion eine Heimat gefunden. Am liebsten ist er mit der Kamera unterwegs auf der Suche nach guten Geschichten. Er dokumentiert das Leben von Bitcoin-Millionären, Ölarbeitern in Texas, Unternehmerinnen im Silicon Valley oder Robotikforschern in Japan. Kerngebiet ist die Schweizer Wirtschaft in all ihren Facetten.
https://www.harrystitzel.ch/

Basel, 17. Mai 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Harry Stitzel: «Vielleicht kann bald nur noch K.I. die K.I entlarven»"

  1. Die Leidenschaft, mit der Herr Stitzel sein Metier sieht, gefällt mir. Noch ein Gedanke dazu: Zwischen „besser“ im Sinne von Qualität, und was sich „besser“ verkauft, kann in einer von Kommerz und Konsum beherrschten Welt (auch) bei den Medien ein grosser Unterschied sein: Und dies unabhängig von ihrer Erscheinungsform.

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