Hansi Voigt: «Nicht der Journalismus hat ein Problem, sondern die Verleger»

Publiziert am 28. November 2018 von Matthias Zehnder

Das Fragebogen-Interview mit «watson»-Gründer Hansi Voigt über seinen persönlichen Mediengebrauch, den Umgang mit Handy, Facebook und Fernsehen auf Abruf und die Zukunft des Journalismus.

Welches Medium darf bei Dir zum gepflegten Frühstück nie fehlen?

Mein Gegenüber.

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Egal. Hauptsache interessanter Inhalt.

Was ist aktuell das Hintergrundbild auf Deinem Handy?

Diabolisch hinterleuchteter Barcode auf schwarzen Hintergrund. Sieht aus wie das Knastfenster einer stockdunklen, vier Meter hohen Zelle.

Und wie tönt der Klingelton?

Der tönt nur aus Versehen. Normalerweise brummt er.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook habe ich zurzeit App deaktiviert. Aus Gründen der Selbstdisziplinierung. Dafür aktuell mehr auf Twitter. Instagram ab und an. Dort ist zwar mehr los, aber insgesamt ist mir Insta zu harmlos.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich habe grad ein sehr gutes Buch nicht zu Ende gelesen. Das vom Dani Ryser über den Köppel. Der Ryser hat seine Sache sehr gut gemacht. Nüchtern. Unemotional. Stück für Stück. Aber irgendwann war der Roger in seiner ganzen Verwirrung und politischen Aussichtslosigkeit dermassen vermenschlicht und demontiert, dass ich das Buch beruhigt zur Seite gelegt habe.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

Ich suche ein UKW-Radio. Weil alles andere nicht mehr läuft.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbstverständlich. Das geschriebene Wort ist die Kommunikationsform, die massenmedial mit dem geringsten Aufwand zu leisten ist. Entsprechend gefährlich wäre es, bei der künftigen Medienförderung ausschliesslich auf audiovisuelle Formate zu setzen. Ohne geschriebene Informationen, hinterlegt als Worte oder als Code-Zeilen, findet Alexa auch in 20 Jahren nichts. Vielleicht sehen wir geschriebene Worte immer weniger, aber als kontextuelle Basis werden sie sogar noch wichtiger.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Als Medienmensch «Katharina Blum» von Heinrich Böll. Es wäre schön, wenn es eine Fassung «Katharina Blum 4.0» gäbe. Denn inzwischen sind wir alle Medienakteure geworden.

Papierbuch oder Kindle?

Ist mir egal. Ich lasse mir auch gerne vorlesen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

«Blick am Abend» dürfte es aus kommerziellen Gründen heute schon nicht mehr gedruckt geben. «20 Minuten» geb ich halt noch weitere zwei Jahre bis zum Sturz unter die Fixkosten. Regionalzeitungen und insbesondere die Halbtöchter der liberalen NZZ machen sich gerade fit für staatliche Unterstützung. Schwer zu sagen, also. Vermutlich laufen wir gerade auf ein Zeitungkartell zu, das sich die Druckerei und den Vertrieb von der öffentlichen Hand bezahlen lässt. Die Schweizer Zeitungslandschaft erinnert mittelfristig, in ihrer Anlage und Sortenarmut, stark an die Emmentaler-Schwemme der Käseunion in den neunziger Jahren. Aber da müssen wir durch. «Die Zeit» wird’s vermutlich im deutschsprachigen Raum aus eigener Kraft am längsten gedruckt geben. 15 Jahre locker. Übrigens mit einer immer weiter ausgebauten Schweizer Redaktion. Die machen das alles richtig. «Zeit online» macht unter den «Qualitätstiteln» in der Schweiz vermutlich auch digital in zehn Jahren klar am meisten Reichweite. Einerseits wegen der Qualität und der Glaubwürdigkeit und andererseits wegen dem Verbund mit der deutschsprachigen Ausgabe der «New York Times». Der ist bei einem Abo-Preis von 3 Dollar pro Monat fürs digitale Gesamtpaket einfach unschlagbar gut.

Medienministerin Doris Leuthard und Hansi Voigt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Wir hören linear auf Dab+ Virus oder KanalK während der wöchentlichen, einstündigen Autofahrt zum Ferienhaus und zurück. Zwischenrein wird auf SRF4 gedrückt. Linear war’s das. Fernsehen wird immer seltener und sowieso alles Replay. Die persönliche Senderliste kommt auf den Top 20 Positionen völlig ohne Privat-Fernsehen aus. Ausnahme Pro7 – wegen den Simpsons. «Echo der Zeit» kommt als Podcast zum Tagesabschluss in Doppelfunktion als zuverlässige Informationsquelle und Einschlafhilfe zum Einsatz.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Im Moment höre ich «The History of Rome» von Mike Duncan. Ein Podcast in ungefähr 36, jeweils eineinhalbstündigen Folgen. Ist ein bisschen wie «Binge Hearing».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Wir Älteren sind in der Illusion aufgewachsen, dass eine informierte Gesellschaft viel  verändern kann. Aktuell werden wir vor allem täglich darüber informiert, dass das nicht so ist. Ich kann es den Jungen nicht verdenken. Vermutlich haben sie Gescheiteres zu tun. Ich treffe sehr viele junge Menschen, die vielleicht nicht jeden Furz aus dem Parlament vortragen können, aber insgesamt sehr klare Vorstellungen und eine gefestigte Meinung haben. Und wenn als News-Depriviert gilt, dass man die Zeit besser nutzt, als «20 Minuten» zu lesen, ist das vor allem ein Hoffnungsschimmer. Unterschätzt die Jungen nicht! Die stellen viel die besseren Fragen und kommen aus sich selber zu wichtigen Gedanken. Und vor allem: Die lassen sich – im Gegensatz zu vielen Alten – nicht verarschen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Natürlich. Die Nachfrage nach glaubwürdigem Journalismus steigt ständig. Nicht der Journalismus hat ein Problem, sondern die Verleger und ihr einstmals grossartig funktionierendes System. Das Eigentum der teuren Produktionsmittel bietet keinen Konkurrenzschutz mehr. Es zählt nur noch der Inhalt und Glaubwürdigkeit. Und Informationen stehen beinahe unendlich und entsprechend billig bzw. gratis zur Verfügung. Als Finanzierungsmodell bleibt nur die Identifikation. Schaut die «Woz» oder die «New York Times» an. Steigende Qualität, steigende Leserzahlen, steigende Umsätze und steigende Identifikation. Tamedia und Trump sei Dank. Glück für die Journalisten, Pech für die Verleger. Es braucht sie auf lange Sicht schlicht nicht mehr. Das ist in einigen Fällen sehr bedauerlich. Verändern lässt es sich nicht.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreib den ganzen Tag Notizen von Hand, die ich nie lese.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Falls es das jetzt endlich war mit der neoliberalen Antithese auf den Nachkriegs-Keynesianismus und den American Dream, wäre Trump – im Hegelianischen Sinn – ein absoluter Segen. Für die Medien ist er sowieso ein Gewinn. Endlich wird über die Rolle der Medien, über Medienfreiheit, die Unabhängigkeit der Medien etc. gesprochen. Trump greift nicht die Medien an, sondern die Autorität der Wahrheit. Das hat etwas zutiefst Vorreformatorisches. Vor der Erfindung des Buchdrucks war alles wahr, was einem (von der Kirche) glaubhaft gemacht werden konnte. Mit der Verbreitung des Wissens einigten wir uns auf einen rationalen und wissenschaftlichen Konsens. Wenn ich, wie Trump, ein Oil Man wäre, würde ich auch versuchen, die unbequeme Wahrheit der Klimaerwärmung zur Glaubensfrage zu machen. Er hat mit seinen Dauerlügen zum Frontalangriff auf die Autorität der Wahrheit geblasen und stiftet damit sehr viel Verunsicherung und Verwirrung. Aber die Wahrheit ist ein mächtiger Gegner. Auf lange Sicht ist Trumps Versuch aussichtlos. Er ist, aus meiner Sicht, das letzte Aufgebot der neoliberalen Angstmacher. Nach ihm wird’s konstruktiv und ausgleichender weiter gehen. Es sei denn, er schafft es, irgendwie ein umgreifendes Inferno losbrechen zu lassen. Dann nehme ich alles zurück!

Welches Medium begleitet Dich ins Bett?

Youtube

Wem glaubst Du?

Ursula

Dein letztes Wort?

Gute Nacht, Schatz.

 

Hansi Voigt

Hansi Voigt (* 1963) war Textchef beim «Beobachter» und stellvertretender Chefredaktor beim «Cash»-Magazin. 2007 bis 2012 war er Onlinechef von «20 Minuten». Nach der Zusammenlegung der Online- und Print-Redaktionen von «20 Minuten» verliess Voigt Tamedia und gründete zusammen mit Peter Wanner das Online-Newsportal «watson.ch», das er 2014 bis 2016 leitete. Heute ist er Digitalberater bei dasnetz.ch. https://www.dasnetz.ch/

 

Basel, 28. November 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Hansi Voigt: «Nicht der Journalismus hat ein Problem, sondern die Verleger»"

  1. Angst vor der Wahrheit scheinen vor allem Menschen zu haben, die durch sie etwas zu verlieren hätten: Ansehen, Ehre, Geld, Gewohnheiten, Prestige, Macht beispielsweise. Ist, wer wenig davon hat, offener für die Wahrheit? Und: Kann Wahrheit auch einen Gewinn bringen – und wenn ja: welchen?

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