Hannes Britschgi: «Tageszeitungen werden mich überleben»
Hannes Britschgi, Leiter der Ringier Journalistenschule, gibt im Fragebogeninterview kurz und lakonisch Auskunft über die Medien in der Schweiz und wie er sie selbst konsumiert. Er sieht die Medienwelt vor allem beschleunigt: «Früher ging es im Primeur-Rennen um Tage oder Stunden – heute geht es um Minuten oder Sekunden.» Anders als viele Journalisten sieht er in Fake News keine Chance, sondern eine «Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Medien, weil sie den Menschen im News-Gewand untergejubelt werden.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Während ich mein Budwig-Creme-Müesli mache, tauche ich mit Radio SRF 4 News in die Tagesaktualität ein.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Facebook ist für mich Personenrecherche, Twitter ist der Info-Kanal (Gott, gib mir täglich meine Ration Trump) und auf Instagram amüsiere ich mich über die ästhetischen Duftnoten meiner Freunde.
Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?
Via Twitter, Newsportale (zum Beispiel Spiegel.de), Breaking-News-Sender wie BBC World News, TF 1 oder CNN.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Früher ging es im Primeur-Rennen um Tage oder Stunden – heute geht es um Minuten oder Sekunden.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja.
Was muss man unbedingt gelesen haben?
Alles was einem Vorleserinnen und Vorleser begeistert empfehlen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Heute bin ich soweit: Ich kann sie weglegen – oder besser gesagt: Ich nehme sie nicht wieder zur Hand und irgendwann schaffe ich die Büchertürme vom Tisch.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Gespräch, in Tages- und Wochenzeitungen, beim Radiohören oder beim Online-Surfen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Sie werden mich überleben, also noch lange.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Sie sind eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Medien, weil sie den Menschen im News-Gewand untergejubelt werden.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio höre ich durchaus live als Begleitmedium. Wenn überhaupt Fernsehen, dann zeitversetzt – ausser bei Live-Sport-Ereignissen.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ja, aber meist auf Empfehlung oder beim Recherchieren.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Es bedeutet für die Medien, dass sie herausfinden müssen, wo und wie sie die Jungen erreichen können.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ja, das ist in gewissen Bereichen – zum Beispiel Resultate-Berichterstattung im Sport – möglich.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Die Digitalisierung eröffnet Journalistinnen und Journalisten neue Möglichkeiten: schnelleren Zugriff auf Texte, Bilder, Archive und schnellere Transportwege in der Verbreitung.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Unbedingt.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, denn meine Schrift können neugierige Augen schlecht entziffern. Manchmal schaffe ich es selbst nicht mehr.
Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Er ist der beste Beweis, wie unverzichtbar Medien sind.
Wem glaubst Du?
Zum Verb «glauben» habe ich ein schwieriges Verhältnis. Ich bin schliesslich ein Journalist. Wenn ich dieses Verb unbedingt anwenden muss, dann zum Beispiel so: Ich glaube an die Endlichkeit von Gewissheiten. Sie werden erfahrungsgemäss auf kurz oder lang von neuen Enddeckungen pulverisiert.
Dein letztes Wort?
Journalismus ist ein toller Beruf für neugierige Menschen.
Hannes Britschgi
Hannes Britschgi (*1955) stammt aus Obwalden. Er studierte an der juristischen Fakultät Bern und machte 1984 das Berner Anwaltspatent. Seit über 30 Jahren ist er Journalist. Zuerst beim Schweizer Fernsehen: «Karussell», «Max», «Kassensturz», «Rundschau». Für seine «Rundschau»-Interviews erhielt er den «Telepreis 1997». 2001 wechselte er als Chefredaktor zum Schweizer Nachrichtenmagazin «FACTS». 2005 übernahm er die Programmleitung von «Ringier TV». 2008 wurde er «SonntagsBlick»-Chefredaktor. Seit 2011 leitet er die Ringier Journalistenschule und beim Zürcher Journalistenpreis als Präsident die Jury.
https://www.ringierjournalistenschule.ch/
Basel, 11. März 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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