Hanna Girard: «Ich bin für mehr Akzente am Radiomikrofon»

Publiziert am 26. April 2023 von Matthias Zehnder

Das 226. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Hanna Girard, Radiojournalistin bei Radio SRF in Basel. Sie sagt, sie «rede wahnsinnig gern mit den unterschiedlichsten Leuten.» Sie ist zuversichtlich, was die Zukunft der Medien angeht: «Leute lieben Geschichten und das wird wohl auch noch so lange bleiben, wie es uns gibt.» Um sich zu inspirieren, geht sie schon mal «spontan ins Kino, ohne zu wissen, welcher Film als Nächstes läuft, oder kaufe Bücher nach ausgedachten Kriterien – zum Beispiel, dass etwas Oranges auf dem Cover sein muss.» Auf den Redaktionen wünscht sie sich unterschiedlichere Menschen: «Wenn man ein junges und diverses Publikum erreichen will, müssen auch die Redaktionen jünger und diverser sein und unterschiedlichere Lebensrealitäten abdecken.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Frühstück mag ich nicht, ich bin eher ein Zmittagmensch, darum lasse ich das aus. Mein Radiowecker klingelt um 05:45 Uhr, dann gibt es das «Heute Morgen» und das erste «Regi» auf die Ohren, noch liegend lese ich das «Bajourbriefing» und später beim Cappuccino auf der Redaktion die «Basler Zeitung» und die «bzBasel». Auf den Dienstag freue ich mich immer besonders, dann erscheint die «Volksstimme».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook habe ich nur noch, weil mein italienischer Onkel mir dort so viele liebe Sachen schickt. Zu Twitter habe ich ein geteiltes Verhältnis, wie die Leute dort miteinander umgehen, finde ich unterirdisch. Instagram mag ich sehr. Da sind die Leute nett und supporten einander. Ich muss aber auch sagen: Ich achte dort sehr genau darauf, wem ich folge. Bloggerinnen mit Tight Gap, die an einem Avacadotoast auf den Malediven knabbern, haben in meinem Feed nichts verloren. Lieber eine lokale Künstlerin von nebenan, spannende Aktivistinnen, Musiker, Fotografen und Alltagspoetinnen: Das inspiriert mehr. Auf Instagram entdecke ich auch immer wieder Geschichten fürs Radio.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe Fernsehen geschaut. So richtig. Das mache sonst eigentlich nicht. Ich bin ein Ohrenmensch.

Und ich habe manchmal aktiv Medienpausen eingelegt, – das Radio ausgelassen, die Zeitung extra im Briefkasten vergessen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich bin 25. Habe keine Ahnung, was früher war. Das, was zählt, ist doch das «jetzt».

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Schon die alten Ägypter vor Tausenden von Jahren haben geschrieben. Wieso sollte geschriebenes Wort genau jetzt an Bedeutung verlieren? Leute lieben Geschichten und das wird wohl auch noch so lange bleiben, wie es uns gibt. Darum: Klar hat das geschriebene Wort eine Zukunft.

Was soll man heute unbedingt lesen?

«Wolken über Taiwan: Notizen aus einem bedrohten Land» von Alice Grünfelder. Eine wunderbare Autorin und Sinologin, welche die Coronazeit in Taiwan verbrachte und über die ausserordentliche Zeit, die Gesellschaft und die stetige Bedrohung durch China in einer Art essayistischer Miniaturen festgehalten hat. Irgendwie erfrischend, bedrückend und wunderschön zugleich.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Fertiglesen. Das hat für mich irgendwie etwas mit Anstand zu tun.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Puh überall. Ich rede wahnsinnig gern mit den unterschiedlichsten Leuten, dabei entdecke ich immer wieder Neues. In meinem Arbeitsalltag kann eine kleine Spalte in einem Lokalblatt schon ausreichen. Und sonst gehe ich gerne spontan ins Kino, ohne zu wissen, welcher Film als Nächstes läuft oder kaufe Bücher nach ausgedachten Kriterien – zum Beispiel, dass etwas Oranges auf dem Cover sein muss.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Tausende Jahre Ägypter und Tausende Jahre Zeitung, wär das was?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Ganz klar eine Gefahr. Sie untergraben die Gesellschaft, spalten, schaffen Parallelwelten. Das ist für eine Gesellschaft nicht gesund.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre immer Radio. In jedem Zimmer meines Zuhauses steht eines und läuft pausenlos. Am liebsten SRF 4, manchmal Deutschlandfunk, häufig SRF 1 (da kämpfe ich aber mit Gianna Nannini, die singt mir dort etwas zu oft). Das Fernsehen und ich halten unsere Beziehung aktuell eher distanziert.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«Deutschlandfunk Hintergrund», «NZZ Akzent», «Die Zeit: Hinter der Geschichte». Das sind meine absoluten Lieblinge. Und ich muss zugeben (irgendwie ist mir das unangenehm): Putzen geht am einfachsten mit «Zeit Verbrechen».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist gar nicht gut. Solange aber Medien hauptsächlich von Müllers, Meiers und Hugentoblers gestaltet werden, wird das wohl so bleiben. Wenn man ein junges und diverses Publikum erreichen will, müssen auch die Redaktionen jünger und diverser sein und unterschiedlichere Lebensrealitäten abdecken.

Kurz: Ich bin für mehr Akzente am Radiomikrofon.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Im Sportjournalismus bei Resultaten wird das ja heute zum Teil schon gemacht. Das bereitet mir keine Sorgen. Wer schon mal ChatGPT dazu aufgefordert hat, ein Gedicht zu schreiben weiss: Da ist noch viel Luft nach oben, – auch bei den Artikeln, obwohl die Redaktion meines privaten Projekts «Viral. Magazin» eine täuschend echte Reportage über styleaffine Fischer im Dorf «Pescovestito» veröffentlicht hat. Spass beiseite: Dass der Journalismus mal ganz automatisch funktioniert, glaube ich nicht, aber wenn die Technik uns bei der Arbeit hilft, – dann ist ja gut.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich sehe die Digitalisierung vielmehr als Chance. Das Internet macht es zum Beispiel möglich, dass Journalist:innen in politisch schwierigen Ländern ortsungebunden ihre Stimme erheben können. Das ist vielleicht eine Art Befreiung.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja, für den Nachwuchs und die Ausbildung. Journalismus ist ein Handwerk: Das gilt es zu bewahren und zu pflegen. Und für die Medienvielfalt.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich bin vielleicht etwas altmodisch. Wenn ich recherchiere, drucke ich alle Artikel und Dokumente aus, um mir darauf von Hand Notizen zu machen. Von dem her: Ja, häufig.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht.

Wem glaubst Du?

Niemals meinem ersten Eindruck. Der ist eigentlich immer falsch.

Dein letztes Wort?

Schaut mehr nach oben, in den Himmel, und hört einander zu.


Hanna Girard:
Hanna Girard (1998) arbeitet in Basel als Radiojournalistin und studierte an der Schweizer Journalistenschule MAZ. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit gestaltete sie ein vielseitiges Feature zur Geschichte des Basler Sommercasinos. Früher bei Radio X, ist ihre Stimme heute im Regionaljournal Basel von Radio SRF zu hören. 2019 gründete Hanna Girard das Basler Jugendmagazin «Viral», ist im Vorstand der jungen Kultur Basel und Stiftungsrätin der Stiftung Radio Basel. Ausgleich findet sie in ihrem Schrebergarten.


Basel, 26. April 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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3 Kommentare zu "Hanna Girard: «Ich bin für mehr Akzente am Radiomikrofon»"

  1. Ich empfinde bei SRG-Mitarbeiter einen repetiven Reflex: Auf die Frage «Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?» erfolgt darauf immer ein «JA».
    Meine Empfindung schreibt das auf die SRG-Förderung in Form von «Zwangs»-Förderung von uns allen (auch mir) zu, ohne diese sich der Medienmegastore SRG sich nicht einen Tag halten kann. (In der SRG-Jahresbilanz dann noch von «Gewinn» zu schreiben, ist schon sehr frivol, «Überschuss» wäre da angemessener – aber dies ist eine andere Geschichte)….
    Ebenfalls fällt mir auf, dass bei der Frage «Ist Trump medial gut oder schlecht?» von SRG-Mitarbeitern/innen stets sofort ein zuverlässigstes «Nein» herschallt… Keine Differenzierung oder Erläuterung – einfach nur «Nein»….
    Vielleicht kommt das Fehlen der Differenziertheit von der Aussage: «Ich höre immer Radio. In jedem Zimmer meines Zuhauses steht eines und läuft pausenlos. Am liebsten SRF 4, manchmal Deutschlandfunk, häufig SRF 1 (da kämpfe ich aber mit Gianna Nannini, die singt mir dort etwas zu oft).»
    Nicht verwunderlich; wer rund um die Uhr beschallt wird, in jedem Zimmer – und dann noch von DRS 1…. – dem entgeht jegliche Chance des Klaren Denkens….
    Immer wieder interessante Einblicke in die Medienwelt, die Medienmenschen und Medienhäuser. Wobei ich bei der «SRG-Anstalt» – wen verwundert es, immer wie mehr Mühe habe. Wer solche Gemeinheiten und Diskreditierungen mit meinem / unserm Zwangsgebühren verbreitet, gehört verwarnt, bestraft oder abgestellt! – Nur weiter so = Irgendwann ist dann Zuvielen Zuviel zuviel! Wahnsinn!
    https://weltwoche.ch/daily/fuck-uf-d-esther-friedli-staenderats-kandidatin-gysi-entschuldigt-sich-den-rap-song-geteilt-zu-haben-nicht-so-das-srf/

    1. Ach Herr Zweidler. Umgekehrt reagieren Sie reflexartig auf jeden SRG-Mitarbeiter mit einem despektierlich-ablehnenden Kommentar. Deshalb hier mal wieder eine Klarstellung:
      1) Medienförderung ist nicht dasselbe wie Radio- und Fernsehgebühren. Im klitzekleinen Medienmarkt Schweiz lassen sich Medien nur schwer finanzieren, deshalb werden seit Jahrzehnten Printmedien unterstützt (zum Beispiel über die Postgebühren). Seit Jahrzehnten gibt es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ohne Gebühren wäre es mindestens in der Romandie und im Tessin gar nicht möglich, ein journalistisch umfassendes Radio- und Fernseh-Programm zu gestalten, in der Deutschschweiz wäre es zumindest schwieriger. Sie blenden zum Beispiel völlig aus, dass alle Landesteile der Schweiz von gleichsprachigen Ländern mit einem grossen Medienangebot umgeben sind. Die Deutschschweiz ist medial nicht autark, Deutschschweizer konsumieren in der Summe mehrheitlich Fernsehen aus Deutschland. Ohne Gebühren wäre das Schweizer Fernsehen nur noch ein Schweizer Fenster in einem grossen deutschen Sender.
      2) Was die Auswirkungen von Trump AUF DIE MEDIEN angeht, sind sich Fachleute einig: Sein laxer Umgang mit Wahrheit und Lügen hatte fürchterliche Auswirkungen auf die Medien. Siehe Entwicklung bei Fox News…
      Aber das haben Sie ja meinem letzten Wochenkommentar entnehmen können…

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