Guy Krneta: «Wir verschwinden in einem schwarzen Loch»

Publiziert am 7. Oktober 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Autor und Spoken Word-Artist Guy Krneta. Ihm macht vor allem der Abbau des Feuilletons zu schaffen. Er sagt: «Es ist komplett ungewiss geworden, wie mit künstlerischen Produktionen eine Öffentlichkeit noch erreicht werden kann.» Das ist besonders in Coronazeiten bitter, wenn auch Veranstaltungen kaum möglich sind. Dann «verschwinden wir Künstlerinnen und Künstler allesamt in einem schwarzen Loch». Krneta sagt, für den Journalismus an sich sei die Digitalisierung ein Segen. Das Problem sei, dass «der digitale Journalismus noch kaum taugliche Geschäftsmodelle kennt». Deshalb werde es dem Journalismus früher oder später ergehen wie der Kultur: «Das Marktversagen muss durch öffentliche Gelder kompensiert werden.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die Kaffeemaschine. Wenn dann alle Kinder aus dem Haus sind und ich nicht auch gleich wegmuss, lese ich gelegentlich die «bz Basel», die ich als einzige Tageszeitung noch abonniert habe. Später schaue ich meine Mails an und lese den «Bajour»-Newsletter. Donnerstags kommt die «WoZ», aber leider erst mittags.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Auf FB bin ich relativ aktiv, auf Twitter mitlesend. Twitter und FB ersetzen mir heute einen Grossteil meiner früheren Zeitungslektüre. Ich war ein treuer Zeitungsleser. Nun lese ich querbeet, Online-Medien von «Republik» über «Infosperber» bis «Journal B». Und oft auf Empfehlung von Leuten, deren «Follower» ich bin. FB und Twitter sind zudem Kanäle, auf denen ich Themen verbreite und auf eigene Veranstaltungen hinweise. Immer mehr Veranstalter verlangen ja, dass ich nicht nur auftrete, sondern mich gleich auch noch an der Öffentlichkeitsarbeit beteilige.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Den medialen Alltag hat es wenig verändert. Im Lockdown habe ich mich vermehrt über SRF (Fernsehen, Radio) informiert. Den beruflichen Alltag hat es stark verändert. Ab Mitte März wurden sämtliche Veranstaltungen abgesagt. Neue Anfragen gab es nicht. Und der Veranstaltungsstau erstreckt sich an manchen Kulturorten bis in den nächsten Sommer. Dabei macht mir eine Entwicklung zu schaffen, die sich schon länger angebahnt hat: Der Abbau des Feuilletons. Es ist komplett ungewiss geworden, wie mit künstlerischen Produktionen eine Öffentlichkeit noch erreicht werden kann. Und wenn dann Veranstaltungen nur eingeschränkt möglich sind oder entfallen, verschwinden wir Künstlerinnen und Künstler allesamt in einem schwarzen Loch.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Wann genau ist früher? Im Kalten Krieg hatten wir Parteiblätter, zum Teil mit gutem Kulturteil. Die Inland- und Lokalredaktionen waren politisch verbandelt mit den Mächtigen und Besitzenden. Mit dem Ende des Kalten Krieges öffneten sich die grösseren Zeitungen geistig, das Feuilleton wurde aufgewertet und graste im Politischen und Wissenschaftlichen. Ab 2000, mit dem Wegbrechen von Werbung und Kleininseraten, kamen die Sparmassnahmen. Es folgte der Abbau und neuerliche Ideologisierung.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja, unbedingt. Wörter sind nach wie vor denk-prägend. Wer Menschen gefügig machen will, stülpt ihnen Begriffe über, bis sie diese verinnerlichen. Wer Menschen ausgrenzen will, heftet ihnen diffamierende Begriffe an und wiederholt die Begriffe so oft, bis sie kleben bleiben. Auf all das kann nur sprachlich geantwortet werden, durch öffentliche Reflexion und Unterwanderung.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Gerade auch weil er nächstes Jahr hundert würde: Kurt Marti. Zum Beispiel sein fulminantes Werk «Notizen & Details».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege sie nicht weg. Ich lasse sie mit schlechtem Gewissen angelesen liegen. Auch gute Bücher übrigens. Und meist weiss ich gar nicht so schnell, was ein gutes und was ein schlechtes Buch ist. Dafür müsste ich es schon zu Ende gelesen haben…

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall. An sich interessiert mich fast alles, wenn ich einen Bezug dazu habe, über Menschen und Begegnungen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Nicht mehr lange. Wochenzeitungen bleiben vermutlich.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Zumal die Medien bei ihren «Recherchen» viel zu sehr auf soziale Netzwerke abstellen und öfters dazu beitragen Fake News zu adeln und weiter zu verbreiten.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich gelegentlich. Fernsehen schaue ich fast nur im Internet.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Den «Kulturstammtisch» von Eric Facon höre ich manchmal. Ab und zu wirke ich auch selbst daran mit. Das Podcastlab von Christoph Keller schätze ich, höre mir aber zu selten die Beiträge an. Schliesslich stiess mich der «Bajour»-Newsletter vor einiger Zeit auf «Ballaballa-Balkan». Da hörte ich zwei Folgen, die fand ich super.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Man darf sich nicht täuschen lassen – sage ich als vierfacher Vater: Junge wissen viel und erfahren etliches, vor allem über den Austausch untereinander, über Instagram und YouTube. Ich merke auch, dass sich mein eigener Medienkonsum zunehmend demjenigen meiner Kinder annähert. Was sollte ich ihnen denn empfehlen? Einzelne Beiträge, ja. Aber ein Medium an sich? Welches?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein. Computer können Daten in langweilige Sätze umgiessen. Das ist kein Journalismus. Journalismus braucht Sprache. Journalismus braucht Stil.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Beides. Für den Journalismus an sich wäre die Digitalisierung ein Segen – wenn er denn finanziert werden könnte. Der digitale Journalismus kennt noch kaum taugliche Geschäftsmodelle.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Ja. Nur eben – wie finanziert er sich? Früher oder später wird es ihm vermutlich ergehen wie der Kultur: Das Marktversagen muss durch öffentliche Gelder kompensiert werden.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nein. Ich habe früher von Hand entworfen und mit der Schreibmaschine geordnet und geformt. Mit dem Laptop war auf einmal beides mit der gleichen Tastatur möglich. Geblieben ist mir, dass ich Texte immer wieder abschreibe und nur in einer allerletzten Phase in den Text hineinkorrigiere.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist übel für alle und alles. Dass ein so beschränkter Mensch in angeblich demokratischen Wahlen reüssieren kann, erschüttert das Vertrauen in die demokratischen Prozesse.

Wem glaubst Du?

Vielen, die mehr wissen als ich und sich in Bereichen besser auskennen als ich. Ich neige eher zum Glauben als Nichtglauben und beginne erst zu misstrauen, wenn Gedanken sprachlich verkürzt und Widersprüche ignoriert werden zu Gunsten von schnittigen Aussagen. Ich mag Ideologen nicht und Konvertiten erst recht nicht.

Dein letztes Wort?

Das kenne ich zum Glück noch nicht.


Guy Krneta
Guy Krneta, begann Theaterwissenschaft und Medizin zu studieren und ging mit 22 ans Theater. Er wurde Dramaturg und Autor. Ab 1986 arbeitete Krneta am Stadttheater Bern und am Theater Basel als Regieassistent. Eine Zeit lang war er stellvertretender Leiter des Theaterfestivals AUAWIRLEBEN, ehe er als Dramaturg zunächst nach Esslingen an die dortige Württembergische Landesbühne und später ans Staatstheater Braunschweig ging. In die Schweiz zurückgekehrt, sass er seine sechsmonatige Haft wegen Dienstverweigerung ab, bevor er stellvertretend das Theater Tuchlaube in Aarau leitete und als Dramaturg am dortigen freien Theater Marie tätig war. Guy Krneta ist Mitglied der Autorengruppe «Bern ist überall» und steht häufig als Spoken Word-Autor auf der Bühne. Seit nunmehr siebzehn Jahren lebt er als freischaffender Schriftsteller in Basel.
www.kunstprojekte.ch

Die Perücke

Soeben erschienen ist das neuste Buch von Guy Krneta: «Die Perücke». Regisseurin Rike widmet kompromisslos ihr ganzes Leben dem Theater. Die junge Esther erwartet dagegen nichts mehr vom Leben. Sie bringt sich kompromisslos um. Der Ich-Erzähler im Buch versucht, beiden gerecht zu werden. An der Seite von Regisseurin Rike entwickelt er sich vom Regieassistenten zum Autor. Als Freund von Esther muss er hilflos zuschauen, wie sie verzweifelt. Guy Krneta hat aus einem Stück Theatergeschichte einen bewegenden Roman geschrieben. In farbigen Szenen zeichnet er die beiden Frauenfiguren und weitere, engagierte Theatermenschen. Die einen haben sich leidenschaftlich dem Theater verschrieben, die anderen nutzen es opportunistisch für ihre Zwecke. So wird das Theater, wie schon bei Goethe und Karl Philipp Moritz, zum Medium der Selbstfindung. Guy Krneta hat den Text auf Berndeutsch geschrieben. Im Buch liegt eine hochdeutsche Übersetzung von Uwe Dethier vor. Den berndeutschen Text gibt es als Donwload.

www.menschenversand.ch


Basel, 7. Oktober 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman. Einfach hier klicken. Videos dazu gibt es auf meinem Youtube-Kanal.

Bild: Ayse Yavas

2 Kommentare zu "Guy Krneta: «Wir verschwinden in einem schwarzen Loch»"

  1. Vieles, was es an Informationen gibt, scheint – oft auch medientechnisch perfekt und/oder wissenschaftlich top designt – einem ‚Spiel mit den gezinkten Karten der Manipulation‘ zu entsprechen. Es ist irrsinnig viel und wird immer noch mehr, was mit diversen Absichten und Interessen auf immer noch mehr Kanälen verbreitet wird. Zu einem immer grösser werdenden Teil verstehe ich als ein Geschäft mit Ängsten, wo deren Schutzfunktion missbraucht wird, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Teilnahme zu bewirken. Es kann uns – wenn wir dafür auch noch bezahlen – primär Geld, aber nebenbei auch noch den Verstand kosten. Und das ist eigentlich ganz und gar nicht lustig; auch wenn es geil und lustig gemacht wird.

  2. Guy Krneta ist nebst seinem künstlerischen Schaffen, welches stets links eingefärbt ist, auch überall „mit-drbyy“, wenn es um linke Politaktionen geht (z.B. „Rettet-Basel“, jene Gruppierung, welche die alte BaZ unter Markus Somm zum Teufel jagte, um jetzt eine Züricher Zeitung in Basel zu haben, nur weil das Zeitgeschehen aus einer anderen Warte beleuchtet wurde…).
    Natürlich musste ich erst gar nicht lesen, was bei der „Trump-Frage“ zur Antwort kam. Ei der Daus: „Er ist übel für alle und alles“. Punkt.
    Auch hier das alte Schema: Was nicht ideologisch auf linker Linie ist, ist übel, schlecht und muss gejagt werden…
    Doch gemach, gemach:
    Wenn Trump jetzt in 2 Monaten abgewählt wird, kommt Biden – für die nächsten ca. 4 Monate. Er wird aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten und seine Vizepräsidentin Harris übernimmt die Präsidentschaft. Sie ist wirklich ultra-links und wird mit ungebremsten Migrationsströmen aus Südamerika, gedrosselter Polizei, ultralagen Strafen und straffreiheit für Vieles die USA total verändern. Und so auch die Welt damit.
    Ob dies so kommt – das Orakel Zweidler ist ungewiss.
    Das aber dann Guy Krnetas Welt wieder in Ordnung ist – das ist gewiss.

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